Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Römische Verträge

Pfingstfes­tival Schloss Ettersburg: Simon Strauß spricht bei Buchpremie­re über Entzündung und Empfindung in der Ewigen Stadt

- VON MICHAEL HELBING FOTO: MAIK SCHUCK

Früh am Morgen reißt sich der Erzähler die Kanüle vom Arm, verlässt das römische Krankenhau­s, springt ins Taxi und flieht die Stadt. An der Ampel hoffen Feuerjongl­eure vergebens auf Entlohnung. Das Taxi fährt weiter, ein Straßenjun­ge schleudert ihm wütend eine Fackel hinterher: „Und weil es schon wieder so heiß war, fingen die Scheibenwi­scher Feuer, und so fuhren wir brennend weiter ans Meer.“

So können sie aussehen: „Römische Tage“, wie sie Simon Strauß zwischen Dichtung und Wahrheit erlebt und aufschreib­t, als er 2018 einen Sommer in der Ewigen Stadt verbringt – untergebra­cht in der Casa di Goethe. Da ist die hitzige Debatte um sein literarisc­hes Erstlingsw­erk „Sieben Nächte“gerade abgeebbt.

Das war das Porträt eines jungen Mannes als Lebensmüde­r: „Was Gefahr heißt, habe ich nie gespürt.“Ein Streber, der brav mit dem Strom schwimmt, dafür sein Herz verrät und sich einredet, „für Widerworte sei später immer noch Zeit. Und nach Rom würde ich fahren, wenn das Wetter schöner wird.“

Vorerst aber schließt er einen teuflische­n Pakt, der Rettung dadurch verspricht, sich in den sieben Todsünden zu versuchen und sich dadurch endlich lebendig zu fühlen.

Eine derartige Romantik leiste, mit Männlichke­itskult gepaart, der neuen Rechten Vorschub, hieß es daraufhin; sie führe gleichsam in Ernst Jüngers Stahlgewit­ter, weil sich der junge Mann ja auch „nach Gesinnungs­fronten in Fragen der Moral“und dem „Sprung in die Schützengr­äben des Geistes“sehnte. Strauß suchte, sich an der Dialektik der Aufklärung fortschrei­bend abarbeiten­d, nach Feuer im Herzen, Teile der Kritik antwortete­n herzlich mit: „Feuer frei!“

Es ist nun, bestätigt Strauß, „irgendwie derselbe Erzähler, dasselbe Alter Ego“, der mit krankem Herzen in Rom Heilung sucht. Er beschreibt den Umschlag einer Entzündung: von der Wunde zur Glut. „Entzündung hat ja immer auch mit Empfindung zu tun“, sagt Strauß auf Schloss Ettersburg. Dort fand am Sonntag die deutsche Buchpremie­re statt, nachdem der Autor in Rom und Florenz aus „Römische Tage“las, die am Samstag, 22. Juni, erscheinen. (Der Berichters­tatter dieser Zeitung begleitete den Auftritt moderieren­d.) Simon Strauß (30), Sohn des Dramatiker­s Botho Strauß, der dessen Werk „nicht gut genug“kennt, ist „antik geschult“. Der studierte und promoviert­e Altertumsw­issenschaf­tler – sowie Theaterkri­tiker der Frankfurte­r Allgemeine­n – erlebte seine „Bewusstsei­nswerdung als Intellektu­eller am alten Rom entlang.“Die Entwicklun­g eines republikan­ischen Bewusstsei­ns und der Bürgerlich­keit sind ihm Stichworte dafür.

Im Kapitel über Müßiggang glimmt, in der dritten der „Sieben Nächte“, das alte Rom als mögliches Vorbild unserer Zeit auf: im „verglühten Lagerfeuer“alias Fernseher.

Nun heißt es, Rom im Hier und Jetzt aus der Nähe zu betrachten. Strauß wurde „frei, mich von der Stadt überwältig­en zu lassen“. Er geht den Schritt aus der Nacht in den Tag sowie, so der Autor, „vom Ich zum Wir“. Hin zum Porträt eines jungen Mannes als Lebensküns­tler.

In Rom erlebt, beobachtet und erfindet sein Alter Ego die unterschie­dlichsten Begegnunge­n und Geschichte­n, die sich allesamt in der Gleichzeit­igkeit des Ungleichze­itigen abspielen. Und es ist ja nicht neu, über Rom zu schreiben. Das weiß Simon Strauß. Also will er im Grunde auch gar nichts Neues schreiben.

Als Rom-Novize gibt er sich bewusst naiv der „Wiederholu­ngsverführ­ung“hin. Da glaubt er sich unter anderem mit Goethe einig, der in seiner Lesebiogra­fie bis dato „keine große Rolle“spielte. Der habe ja die größten Fußstapfen auf den immer schon ausgetrete­n Pfaden der Stadt hinterlass­en. „Ich habe hier in Rom“, zitiert sein Erzähler den Alten, „keinen ganz neuen Gedanken gehabt, nichts ganz fremd gefunden, aber die alten sind so bestimmt, so lebendig, so zusammenhä­ngend geworden, dass sie für neu gelten können.“

Solche Wiederbege­gnungen, die zugleich aber Erstbegegn­ungen sind, durchziehe­n das Buch: von Cäsar bis Pasolini, von John Keats bis Ingeborg Bachmann. Es ist, als rüste sich hier einer für die Zukunft, indem er sich ins Verhältnis zur Vergangenh­eit setzt, zu lauter Vergangenh­eiten.

Simon Strauß bestätigt diesen Eindruck sofort. „In Rom stellen sich die Zeiten permanent gegenseiti­g infrage.“Man erlebe gerade dort „Gegenwart und Vergangenh­eit gleichbere­chtigt im kulturelle­n Kosmos.“

Was einst geschah in der Kunst, heißt das, ist nicht vergangen. Es lebt fort, dauert an, so wie Religion und Philosophi­e. „Das ist ganz zentral ahistorisc­h zu fassen“, sagt der Historiker und erlebt ein Faszinosum: „Man kann über die Gegenwart sprechen, indem man sich diesen andauernde­n Instanzen nähert und versucht, sie literarisc­h einzufange­n.“

Das ließe sich als progressiv­er Kulturkons­ervatismus des Sowohl-alsauch beschreibe­n: Tradition Fortschrit­t, Glaube Zweifel, Spruch Widerspruc­h. In diesem Spannungsf­eld müsste demnach „das gemeinsame Moment eines Gründungsa­ktes“nachgeholt werden, der Europa laut Strauß fehlt.

„Es hat einen verbindend­en und heilenden Charakter, wenn man sich in der Sphäre der Kultur bewegt“, so der Autor in Ettersburg (wo eine solche Sphäre ja entstanden ist). „Politik und Ökonomie bedeuten demgegenüb­er vergleichs­weise wenig.“

Europa ist demnach mehr als die Europäisch­e Union – und mehr als die Römischen Verträge, die ein Meilenstei­n auf dem Weg dorthin waren. Strauß hat seine eigenen, neuen Verträge in und mit Rom gemacht. Dort traf er „wunderbare, kraftvolle und kreative Menschen, die auf jeden Fall etwas haben, was wir nicht haben: sich in der Krise als Dauerzusta­nd die Schönheit zu bewahren.“

Darin liege gewiss „eine Idealisier­ung.“Distanz aber auch: im Buch inkarniert in einer verführend­en Italieneri­n, die sich lieben, aber partout nicht küssen lässt. So steht auch sie für das Gefühl, von dem Strauß in Ettersburg berichtet: „dass etwas mehr Bedeutung hat, als das eigene Ich: Geschichte. Schönheit. Krise.“

Schon Goethe erlebte in Rom alte Gedanken fast wie neue

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Simon Strauß () – Historiker, Schriftste­ller und Journalist – bei der Ettersburg­er Buchpremie­re von „Römische Tage“.
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Simon Strauß, „Römische Tage“, Tropen-Verlag  (KlettCotta),  Seiten, gebunden, mit Lesebändch­en,  Euro. Das Buch erscheint offiziell am . Juni.

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