Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Das umkämpfte schwarz-rot-goldene Banner
Die Farben Schwarz-Rot-Gold erscheinen uns heute nicht fremd, begegnen sie uns doch mehr oder weniger oft im täglichen Leben und sind spätestens seit der Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006 bei sportlichen Großereignissen wieder ein fester Bestandteil auf Deutschlands Straßen.
Auch die Flagge der Weimarer Republik war in den gleichen Farben gestaltet. Leicht kann daher der Eindruck entstehen, dass der scheinbar so selbstverständlich wirkende Artikel 3 der Weimarer Reichsverfassung „Die Reichsfarben sind schwarz-rotgold“in einheitlicher Übereinstimmung der Nationalversammlung gefunden wurde.
In Wahrheit gibt es vor 100 Jahren lange Debatten um das neue deutsche Banner, die zum ersten Flaggenstreit der noch jungen Weimarer Republik führen. Die Fragen damals lauten: Soll man Kontinuität bewahren, sich auf die demokratischen Wurzeln besinnen oder etwas völlig Neues bringen?
Die Nationalversammlung ist in dieser Hinsicht in drei Blöcke gespalten, und jeder von ihnen meint, mit guten Argumenten für eine der drei vorgeschlagenen Varianten zu streiten. Konkret liegen Anträge für eine Flagge in den Farben Schwarz-WeißRot, Schwarz-Rot-Gold und Rot vor. DVP, DNVP und anfänglich auch die DDP bevorzugten Erstere, die SPD und das Zentrum Zweitere und die USPD Letztere. Anfang Juli 1919 soll es schließlich in Weimar zur Abstimmung kommen.
Tags zuvor, es ist der 2. Juli, plädieren Vertreter der jeweiligen Farben nochmals äußerst leidenschaftlich vor der Nationalversammlung. Nachdem der Reichstagspräsident verkündet hatte, dass es bezüglich des Artikels 3 der neuen Reichsverfassung „eine Reihe von Abänderungswünschen“gäbe, eröffnet der Reichsminister des Inneren, Eduard David (SPD), die Debatte. Er spricht sich für die Annahme der Farben Schwarz-Rot-Gold aus und hält den Gegnern der Farben entgegen, in puncto Handelsflagge einen Kompromiss in Aussicht zu stellen, wonach im zweiten Satz des Artikels 3 stehen soll: „Die Handelsflagge ist schwarz-weiß-rot mit einer Gösch in schwarz-rot-gold in der oberen inneren Ecke.“Tatsächlich wird dieser Satz später in geringer Abwandlung in der Verfassung verankert, doch dazu gleich mehr.
Ferner spricht sich Minister David gegen eine rote Reichsflagge aus, da sie in seinen Augen nicht den Staat, sondern eher eine größere Gruppe, in diesem Fall die der sozialistischen Internationale, repräsentieren würde. Noch stärker wirkt für ihn das Argument, dass man in der roten Fahne zudem innerhalb des Reiches mehr eine Parteiflagge denn eine Staatsflagge sehen würde. Interessanterweise wäre dahingehend auch die schwarz-weiß-rote Fahne abzulehnen, da sie in gleicher Weise, nach Davids Ansicht, eine Parteifahne sei, die sich gegen die Demokratie und die Republik richtet. Es folgt lebhafter Widerspruch und Zurufe aus dem rechten Lager. Nach ihm spricht Wilhelm Kahl (DVP) und kann zunächst nicht nachvollziehen, warum überhaupt ein Farbenwechsel nötig sei. Ebenso spricht er sich gegen einen „Dualismus“bei den Flaggen aus und gipfelt in der Feststellung „Der Farbenwechsel geht gegen unsere nationale Würde!“. Mit ähnlichen Argumenten schließt sich Wilhelm Laverrenz von der DNVP seinem Vorredner an.
Schließlich meldet sich auch Oscar Cohn (USPD) zu Wort. Nach seiner Ansicht wünsche sich die Mehrheit der Bevölkerung die rote Fahne, was ihm mit Gelächter von der rechten Seite quittiert wird. Ebenso sei Rot ohnehin die Farbe der Revolution und damit des Systemwechsels. Als Letzter spricht Hermann Molkenbuhr von der SPD und bekräftigt wiederum die Argumente seines Parteikollegen David und plädiert nochmals für die schwarz-rot-goldene Lösung.
Nach langen Debatten kommt es am 3. Juli 1919 zur Abstimmung, die trotz der Meinungsverschiedenheiten recht deutlich ausfällt: 211 Abgeordnete sind für Schwarz-Rot-Gold, 90 dagegen. Der Kompromiss besteht im Behalten der alten Farben für die Handelsflagge, denn der 2. Satz in Artikel 3 der Verfassung heißt dann: „Die Handelsflagge ist schwarz-weißrot mit den Reichsfarben in der oberen inneren Ecke.“Ruhe kehrt, was die Flaggenfarbe betrifft, dennoch nicht ein. Im Gegenteil, der Streit wird sich durch den weiteren Verlauf der Weimarer Republik ziehen und immer wieder dafür sorgen, dass die verschiedenen Lager ihre Flagge auch im blutigen Straßenkampf verteidigen.