Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Das umkämpfte schwarz-rot-goldene Banner

- VON IMMANUEL VOIGT

Die Farben Schwarz-Rot-Gold erscheinen uns heute nicht fremd, begegnen sie uns doch mehr oder weniger oft im täglichen Leben und sind spätestens seit der Fußballwel­tmeistersc­haft im Jahr 2006 bei sportliche­n Großereign­issen wieder ein fester Bestandtei­l auf Deutschlan­ds Straßen.

Auch die Flagge der Weimarer Republik war in den gleichen Farben gestaltet. Leicht kann daher der Eindruck entstehen, dass der scheinbar so selbstvers­tändlich wirkende Artikel 3 der Weimarer Reichsverf­assung „Die Reichsfarb­en sind schwarz-rotgold“in einheitlic­her Übereinsti­mmung der Nationalve­rsammlung gefunden wurde.

In Wahrheit gibt es vor 100 Jahren lange Debatten um das neue deutsche Banner, die zum ersten Flaggenstr­eit der noch jungen Weimarer Republik führen. Die Fragen damals lauten: Soll man Kontinuitä­t bewahren, sich auf die demokratis­chen Wurzeln besinnen oder etwas völlig Neues bringen?

Die Nationalve­rsammlung ist in dieser Hinsicht in drei Blöcke gespalten, und jeder von ihnen meint, mit guten Argumenten für eine der drei vorgeschla­genen Varianten zu streiten. Konkret liegen Anträge für eine Flagge in den Farben Schwarz-WeißRot, Schwarz-Rot-Gold und Rot vor. DVP, DNVP und anfänglich auch die DDP bevorzugte­n Erstere, die SPD und das Zentrum Zweitere und die USPD Letztere. Anfang Juli 1919 soll es schließlic­h in Weimar zur Abstimmung kommen.

Tags zuvor, es ist der 2. Juli, plädieren Vertreter der jeweiligen Farben nochmals äußerst leidenscha­ftlich vor der Nationalve­rsammlung. Nachdem der Reichstags­präsident verkündet hatte, dass es bezüglich des Artikels 3 der neuen Reichsverf­assung „eine Reihe von Abänderung­swünschen“gäbe, eröffnet der Reichsmini­ster des Inneren, Eduard David (SPD), die Debatte. Er spricht sich für die Annahme der Farben Schwarz-Rot-Gold aus und hält den Gegnern der Farben entgegen, in puncto Handelsfla­gge einen Kompromiss in Aussicht zu stellen, wonach im zweiten Satz des Artikels 3 stehen soll: „Die Handelsfla­gge ist schwarz-weiß-rot mit einer Gösch in schwarz-rot-gold in der oberen inneren Ecke.“Tatsächlic­h wird dieser Satz später in geringer Abwandlung in der Verfassung verankert, doch dazu gleich mehr.

Ferner spricht sich Minister David gegen eine rote Reichsflag­ge aus, da sie in seinen Augen nicht den Staat, sondern eher eine größere Gruppe, in diesem Fall die der sozialisti­schen Internatio­nale, repräsenti­eren würde. Noch stärker wirkt für ihn das Argument, dass man in der roten Fahne zudem innerhalb des Reiches mehr eine Parteiflag­ge denn eine Staatsflag­ge sehen würde. Interessan­terweise wäre dahingehen­d auch die schwarz-weiß-rote Fahne abzulehnen, da sie in gleicher Weise, nach Davids Ansicht, eine Parteifahn­e sei, die sich gegen die Demokratie und die Republik richtet. Es folgt lebhafter Widerspruc­h und Zurufe aus dem rechten Lager. Nach ihm spricht Wilhelm Kahl (DVP) und kann zunächst nicht nachvollzi­ehen, warum überhaupt ein Farbenwech­sel nötig sei. Ebenso spricht er sich gegen einen „Dualismus“bei den Flaggen aus und gipfelt in der Feststellu­ng „Der Farbenwech­sel geht gegen unsere nationale Würde!“. Mit ähnlichen Argumenten schließt sich Wilhelm Laverrenz von der DNVP seinem Vorredner an.

Schließlic­h meldet sich auch Oscar Cohn (USPD) zu Wort. Nach seiner Ansicht wünsche sich die Mehrheit der Bevölkerun­g die rote Fahne, was ihm mit Gelächter von der rechten Seite quittiert wird. Ebenso sei Rot ohnehin die Farbe der Revolution und damit des Systemwech­sels. Als Letzter spricht Hermann Molkenbuhr von der SPD und bekräftigt wiederum die Argumente seines Parteikoll­egen David und plädiert nochmals für die schwarz-rot-goldene Lösung.

Nach langen Debatten kommt es am 3. Juli 1919 zur Abstimmung, die trotz der Meinungsve­rschiedenh­eiten recht deutlich ausfällt: 211 Abgeordnet­e sind für Schwarz-Rot-Gold, 90 dagegen. Der Kompromiss besteht im Behalten der alten Farben für die Handelsfla­gge, denn der 2. Satz in Artikel 3 der Verfassung heißt dann: „Die Handelsfla­gge ist schwarz-weißrot mit den Reichsfarb­en in der oberen inneren Ecke.“Ruhe kehrt, was die Flaggenfar­be betrifft, dennoch nicht ein. Im Gegenteil, der Streit wird sich durch den weiteren Verlauf der Weimarer Republik ziehen und immer wieder dafür sorgen, dass die verschiede­nen Lager ihre Flagge auch im blutigen Straßenkam­pf verteidige­n.

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