Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Von Bäckermeistern, die einst auch Bier ausschenkten
Heimatforscher Wolfgang Friese beendet seinen historischen Bummel durch die Lindenallee
Sie wird als die „Grüne Lunge der Altstadt“bezeichnet und war das frühere Stadtzentrum Heiligenstadts, bevor eine Verlagerung dieses Zentrums vom einst hier befindlichen Alten Markt in die Wilhelmstraße erfolgte: die Lindenallee.
Im Oktober 2017 hatte der Heiligenstädter Heimatforscher und das Vorstandsmitglied des Heiligenstädter Geschichts- und Museumsvereins Wolfgang Friese mit seiner Vortragsreihe zum Thema „Die Lindenallee – zur Geschichte einer Heiligenstädter Straße“begonnen. Mit dem Teil 3 fand dieser Ausflug in die Stadtgeschichte am vergangenen Donnerstag im Festsaal des Alten Rathauses seinen Abschluss. So wie schon bei den beiden vorhergegangenen Vortragsabenden war der Raum mit der höchstzulässigen Anzahl von Stühlen ausgestattet worden. Und die wurden auch diesmal gebraucht, ist doch das Besucherinteresse ungebrochen. Der informative Stadtbummel, bestehend aus Erzählungen, Namen, Fakten, Zahlen, historischen und aktuellen Fotos, führte die Interessenten auf die Strecke vom Gebäude der heutigen Lorenz-Kellner-Schule, also der früheren „Alten Kemnate“über den Fuchswinkel auf die Straßenseite mit der Propstei und dem katholischen Gemeindehaus „St. Marien“bis hinunter zum Eckhaus an der Göttinger Straße. Mit dem Namen Kemnate oder Kemenate wird ein heizbares, solide aus Stein gefügtes Bauwerk bezeichnet. Dieses Mit dem dritten Teil zur Geschichte der Lindenallee schloss Heimatforscher Wolfgang Friese seine Vortragsreihe zu diesem Thema ab.
Haus war im 16./17. Jahrhundert Witwensitz einer Familie von Kerstlingerode, dem Eichsfelder Adel angehörend.
Wolfgang Friese hat die Geschichte der einzelnen Häuser akribisch erforscht, wartete auf mit Angaben zum Bau, zur privaten oder gewerblichen beziehungsweise handwerklichen
Nutzung, nannte Namen früherer Hausbesitzer und Mieter. All das wurde unterlegt mit Jahreszahlen und Daten. Einige Häuser existieren nur noch auf historischen Ansichten.
Allein fünf Umnummerierungen, das heißt Hausnummer-Änderungen, habe es im Laufe der Jahrhunderte gegeben, ja zeitweise
hätten sogar dreistellige Hausnummern existiert. Darauf verwies eingangs Helmut Rosenthal als Vorsitzender des Geschichtsund Museumsvereins. Wolfgang Friese konnte Gebäude nennen und im Bild zeigen, deren Bewohner nicht mehr die Adresse Lindenallee, sondern je nach einer neuen Zuordnung die Postanschrift Fuchswinkel oder Obere Altstadt hatten. Über ein nicht zustande gekommenes Vorhaben waren viele Heiligenstädter gewiss nicht böse. Im 20. Jahrhundert hatte sich das Stadtparlament damit befasst, die Lindenallee in Stalinallee umzubenennen.
Alte Kemenate diente als Witwensitz
Schulgebäude einst als Lazarett genutzt
Die heutige Lorenz-KellnerSchule (Grund- und Regelschule) wurde am Ende des 2. Weltkrieges als Lazarett genutzt. Eingeweiht wurde die Schule am 9. April 1891 als Lehrerseminar. Der Pädagoge und PestalozziSchüler Heinrich Kellner, Vater des Lehrers Lorenz Kellner, hatte sich für dieses Lehrerseminar eingesetzt und sich entschieden gegen die aus preußischem Munde geäußerte Meinung gewehrt, die Eichsfelder seien hinterwäldlerisch und nicht sehr gebildet. Dem hielt er entgegen: „Wer gebildete Schüler haben will, muss gebildete Lehrer haben.“
Doch gab es auch Geschichtliches zum Schmunzeln. Es war durchaus nicht ungewöhnlich, dass Bäckermeister die Erlaubnis für das Betreiben einer Gaststätte – und damit für den Bierausschank – erhielten. Ein Bäckermeister Gaßmann im heute nicht mehr existierenden Haus Lindenallee/Ecke Ratsgasse wählte für seinen Ausschank den Namen „Prinz von Preußen“. Sein Namensvetter Gaßmann, ebenfalls Bäckermeister mit Ausschankgenehmigung, der auf derselben Straßenseite im heute noch bestehenden Geschäft ansässig war, setzte noch eins drauf: Wer bei ihm sein Bier trank, tat dies im „König von Preußen.“