Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Als Kommissär nach Tokio
Der Thüringer Christian Magiera wurde vom Radsport-Weltverband für die Olympischen Spiele und Paralympics 2020 nominiert
Der Geraer Christian Magiera wurde vom Radsport-Weltverband UCI als Kommissär für die Olympischen Spiele und die Paralympics 2020 in Tokio nominiert. Der 38-Jährige erzählt, was seine Aufgaben als Jurychef und als Starter sind, welche Entscheidungen die Jury bei der Kalifornien-Rundfahrt treffen musste, warum er am Flughafen schon einmal abgeführt wurde und welche Erfahrungen er selbst als Radsportler mit Juryentscheidungen hatte. Wenn Sie so wollen, ja. Ich hab per Mail meine Nominierung für die Spiele bekommen. Bei den Olympischen Spielen bin ich Starter und bei den Paralympics der Jury-Chef. Aber ich möchte nicht der einzige Geraer sein, der an Tokio aktiv ist. Ich hoffe sehr, dass Tobias Vetter, der aus Gera kommt, bei den Paracycling-Wettkämpfen dabei ist und dass sich Robert Förstemann mit seinem Tandempartner für die Paralympics qualifiziert. Ja, das ist schon etwas sehr Besonderes. So wie die Sportler nach Olympia streben, ist der Einsatz in Tokio auch für mich als UCI-Kommissär etwas sehr Schönes. Als mich der Verband für die Weltcups in Hongkong und Brisbane eingeteilt hat, schwante mir schon, die werden dich doch nicht einfach mal so um die Welt schicken, und dann kam die Mail und Tokio steht in meinem Kalender.
Auch, ja. Ich nehme für meine Reisen als Kommissär meinen Urlaub. 2020 wird da nicht mehr viel übrig bleiben. Oh ja, es gab schon einiges. Allerdings hatte ich nicht den Hut auf, das war Philipp Marien … Das hat schon eine Welle geschlagen. In Kalifornien hat sich Peter Sagan einmal nicht vor der Etappe eingeschrieben, er habe es vergessen, war abgelenkt.
Schlau. Wir haben beschlossen, den Fall erst am nächsten Tag zu verhandeln. Sagan ist die Etappe gefahren. Alle haben eine Nacht drüber geschlafen und er hat eine Geldstrafe bekommen – das entspricht dem Reglement. Aber für viel mehr Aufsehen hat eine Juryentscheidung nach einem Massensturz gesorgt. Alles klar, Herr Kommissar? Christian Magiera fährt als UCI-Kommissär zur Olympiade nach Tokio.
Es gab einen Massensturz 3200 Meter vor dem Ziel. Eigentlich schreibt das Reglement vor, dass bei einem Massensturz erst ab 3000 Meter vor dem Ziel alle darin verwickelten Fahrer auf die gleiche Zeit gesetzt werden. Das war das eine, dass der Sturz eigentlich zweihundert Meter zu früh passiert. Das andere war, dass der Führende Tejay van Garderen zuvor in einen Sturz verwickelt war und sein Team EF Education First noch dabei war, ihn wieder ans Feld heranzufahren – vielleicht 200 Meter haben noch gefehlt, und wir als
Jury haben ausgerechnet, dass er in jedem Fall vor dem Ziel noch dran gewesen wäre am Feld und so keine Zeit eingebüßt hätte.
Wir haben alle, die in den Massensturz verwickelt waren, und auch den Mann in Gelb mit der gleichen Zeit in die Wertung genommen. Das entsprach dem, was jeder in der Etappe gegeben hat. Wir wollten, dass die Rundfahrt sportlich entschieden wird – was dann bei der nächsten Bergetappe auch passierte , und nicht durch einen Sturz. Wir haben
den sportlichen Aspekt in den Vordergrund geschoben. Die einen haben gejubelt, die anderen geschimpft. Das muss man aushalten. Gegenwind muss du schon aushalten können. Mir hilft es, dass mir die Natur eine gewisse Gelassenheit mitgegeben hat. Im Prinzip agieren wir Schiedsrichter wie die Sportler. Wir müssen fit sein, wir müssen Entscheidungen treffen, die eine große Tragweite haben, und wir müssen dann auch zu unseren Entscheidungen stehen. Gerade bei den Tatsachenentscheidungen können wir die Zeit ja nicht einfach zurückdrehen und noch mal entscheiden. Natürlich hofft man, dass alles glatt geht, dass nach dem Start das Rennen regelkonform abläuft. Aber für den Fall, dass es nach dem Start einen Sturz gibt, dann muss ich das Rennen unterbrechen – auch um die Sicherheit der Sportler zu gewährleisten. Ich schieße ab – erst recht, wenn die Kontrahenten durch das gestürzte Team blockiert werden könnten. Dann kommt aber die schwierige Entscheidung, ja. Da ist guter Rat teuer, aber eine Entscheidung muss her – und schnell. Wir können nicht in die Köpfe der Sportler schauen – und müssen dann auch in einem gewissen Maße subjektiv entscheiden. Da hilft nur Selbstvertrauen und Routine. Eins ist klar: Die Entscheidung der Jury geht um die Welt – vor allem bei Olympia. Das muss man wissen, wenn man als UCI-Kommissär im Einsatz ist. Als ich 2015 in Frankreich eine französische Sportlerin die Bronzemedaille im Scratchrennen aberkennen musste, weil sie ihrer Kontrahentin ins Rad gefahren war, da hatte ich in der Halle erst einmal keine Freunde mehr. Sie spielen bestimmt auf meinen Flug nach Wales an?
Die Reise an sich war schon stressig, weil die Bahn zum Flughafen Frankfurt Verspätung hatte. Nur Rennerei und Stress. Und als ich mit meinem Gepäck die Sicherheitskontrolle passieren wollte, wurde ich abgeführt. Da standen die Sicherheitsleute wegen Sprengstoffverdachts mit gezückter Waffe bei mir. Ich war zuvor als Starter im Einsatz und musste sehr, sehr viele Rennen an- und abschießen. Und da müssen auf meinem UCI-Anzug noch Schmauchspuren zu finden gewesen sein. Ich konnte aber alles aufklären und hab meinen Flug nach Cardiff noch erwischt. Meinen ersten Lehrgang habe ich besucht, weil ich wissen wollte, wie eine Jury arbeitet, wie sie zu den Ergebnissen kommt. Ich wollte sicherstellen, dass meine Sportler – damals war ich als Nachwuchstrainer beim SSV Gera aktiv – am Ende auch auf den richtigen Plätzen aufgeführt werden. Nur gute (Lacht). Bei einem Kriterium in Weimar war ich eigentlich eine Runde zurück, aber die Jury hat das nicht erkannt und mich im Endklassement mit der vollen Rundenzahl gewertet.