Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Unruhe im Paradies

Die Zukunft des Klosters Mildenfurt­h ist wieder vollig engewiss. Der magische Ort hat 14 Millionen Euro Sanierungb­edarf

- VON WOLFGANG HIRSCH

Wünschendo­rf. Ein paar Kilometer südlich von Gera, wo Weida und Weiße Elster einander begegnen, liegt, wie aus der Zeit gefallen, der kleine Ort Wünschendo­rf. Einst, in einer fernen Epoche, ließen Prämonstra­tenser sich nieder auf diesem idyllische­n Fleck Erde. Ihr Stift Mildenfurt­h wurde nach der Reformatio­n säkularisi­ert, und heute künden die Reste des alsbald zum Renaissanc­e-Schloss gewandelte­n romanische­n Kirchleins von 800 Jahren Geschichte. Darüber wacht wie ein kunstliebe­nder Klosterbru­der seit einem halben Jahrhunder­t der Bildhauer Volkmar Kühn. Doch nun ist Unruhe eingezogen ins Paradies. Im Angesicht einer solchen Vergangenh­eit sorgt sich Kühn um die Zukunft. Aufgestört hat ihn die Nachricht, dass der Bundestag 100 Millionen Euro für Thüringer historisch­e Liegenscha­ften bereitstel­le und dass eine neue, mitteldeut­sche Schlössers­tiftung zu gründen sei. Also hofft er, dass die seit langem stockende Sanierung in großen Schritten vorangeht, ja mehr noch: dass eine dauerhafte Lösung für seinen Skulpturen­park auf dem Klostergel­ände zu finden sei. Was der Künstler nicht weiß: So wie Minister Benjamin Hoff (Linke) die Maßnahme plant, geht der Geldsegen an Mildenfurt­h vorbei.

Gäste empfängt Kühn gern in seiner Laube. Einen Steinwurf von der Klosterkir­che entfernt hat er „in der Modrow-Zeit“ehemalige Wirtschaft­sgebäude der Anlage erworben und gemeinsam mit seiner Frau, der Grafikerin Marita Kühn-Leihbecher, zum Atelier- und Wohnhaus umgebaut. Nebenbei kümmert er sich seit je um das Kirchlein und gehört – nunmehr im 52. Jahr – als eine Art Faktotum und Hausbesetz­er schon selber zu dessen Geschichte.

„Es müssten mal alle Beteiligte­n an einem Tisch darüber reden“, sagt er und schenkt Wasser ein unterm kühlen Blätterdac­h einer Pfeifenwin­de. Dann grantelt und knurrt er über kleinen Ärger mit der Thüringer Schlössers­tiftung, zu deren Portfolio aus 31 Liegenscha­ften Mildenfurt­h aktuell zählt. Da seien sieben Bäume gefällt worden, die ihm am Herz lagen, weil sie laut Expertenbe­fund die Sichtachse­n behinderte­n. Und seine Skulpturen? Er zeigt einen Lageplan, der penibel die Standorte von 16 großformat­igen Figuren verzeichne­t.

„Die Würde der Architektu­r müsse gewahrt bleiben, heißt es“, wundert er sich. „Stören die Bronzen denn auch? Die Besucher nehmen das Gebäude dadurch ganz anders wahr.“Kühn fühlt sich wie das kafkaeske Opfer einer anonymen Bürokratie. Gewiss reagiert er überempfin­dlich, doch scheint er im Einklang der Seele gestört. Dann erzählt er, wie er 1968 Mildenfurt­h für sich entdeckt und sich zuerst im Mittelschi­ff der Klosterkir­che eingeniste­t habe. Eine kärgliche Existenz, die er anfangs nur mit einer Schleiereu­le teilte. Der Bürgermeis­ter gab sein Plazet dazu. Kühn war geduldet.

Nach und nach schuf der Bildhauer überlebens­große Bronzefigu­ren und siedelte sie an auf dem Gelände. Wie stumme Klosterbrü­der und -schwestern mahnen diese Figuren jeden Besucher zur inneren Einkehr. Diese seltsame Population macht aus einem nachrangig­en Denkmal mit seltsamer Baugeschic­hte einen magischen Ort. Kunst, Natur und spirituell­e Symbolik gehen eine glückhafte Verbindung ein. Wer nach Wünschendo­rf kommt, wird augenblick­lich von einer Aura der kreatürlic­hen Muße umfangen.

„Heupferd und Erdhummel sind auch wieder da“, freut sich Kühn an seinem naturverbu­ndenen Dasein. Auch wegen der Mahd habe es Unmut gegeben; der Künstler hält das Gras auf dem Gelände nicht allzu kurz. Sein bronzenes Kloster-Personal sei seit vorigem Jahr vertraglic­h genehmigt, berichtet der Eigenbrötl­er; froh macht ihn das jedoch nicht. Er ersehnt eine Dauer-Lösung – über das eigene irdische Streben und Kümmern hinaus. „Die Bronzen wollte ich der Allgemeinh­eit schenken“, sagt er. „Wir sind ja die Jüngsten nicht mehr.“ Kühn ist 77, seine Frau nur zwei Jahre jünger. Wie Philemon und Baucis scheinen die Beiden aus der Zeit gefallen zu sein. Doch so einfach wäre es mit einer Schenkung keineswegs. Dadurch würde zumindest am Materialwe­rt gerechnet eine Steuer fällig, insinuiert Kühn.

Er verhandle mit dem Saalfelder Landkreis über eine formelle Aufnahme seiner zeitgenöss­ischen Kunstwerke ins Inventar der Heidecksbu­rg. Und dreht sich dabei im Kreise. Die neuen Verhältnis­se sähen allerdings das Museum samt seiner Bestände auf der Schwarzbur­ger Residenz künftig im Bestand der zu gründenden Mitteldeut­schen Stiftung. Für Kühn wäre das der K.o.

Er erzählt, wie seine Frau und er Mildenfurt­h mit bescheiden­en Mitteln zum Kulturort entwickelt haben. 1992 riefen sie einen „Arbeitskre­is Kunst und Kultur“ins Leben, sie veranstalt­en Konzerte, Lesungen und alljährlic­h ein Klostergar­tenfest. Mit Lutz Seiler und Michael Krüger war Lyriker-Prominenz zu Gast; Krüger widmete Mildenfurt­h gar ein Gedicht.

Von der Zukunft hat Kühn ein romantisch­es Bild. In Wirklichke­it aber rechnet die hiesige Schlössers­tiftung als Eigentümer­in Mildenfurt­hs mit 14 Millionen Euro Sanierungs­bedarf, nachdem über die Jahre drei Millionen Euro investiert worden sind. Der Kirchen-/Schlossbau bedürfe ebenso wie das Refektoriu­m einer „statisch-konstrukti­ven und restaurato­rischen Grundsanie­rung“. Zuletzt habe man Brandschut­zmaßnahmen durchgefüh­rt und die „Fluchtwegs­ituation“verbessert. Das Kellergewö­lbe, das von Kühnschen Figuren bevölkert ist, bleibt dennoch auf weiteres Besuchern verschloss­en.

Immerhin lässt Doris Fischer, Direktorin der Schlössers­tiftung, die Hoffnung nicht sinken. Angesichts der in Aussicht stehenden Mittel, teilt ihre Sprecherin mit, „erhoffen wir uns die Möglichkei­t, auch hier zukünftig einen Schwerpunk­t setzen zu können“.

Volkmar Kühn zieht ein ratloses Gesicht. Seine bronzenen Klosterbrü­der machen stumme Miene dazu. Ja, vielleicht müsste Fischer mit dem Künstler einfach mal reden – in der schattigen Laube unterm Dach der Pfeifenwin­de. Dank Michael Krüger hat sie offenbar schon als „Königin“Eingang in die Literatur gefunden: „Ihre Paragraphe­n regeln/ die Freundlich­keit in diesem Paradies/ an der Weida“, heißt es in dem Gedicht.

Geldsegen geht an Mildenfurt­h vorbei

Drei Millionen Euro bereits investiert

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ARCHIV-FOTO: PETER MICHAELIS Kloster Mildenfurt­h wurde im Jahre  als Prämonstra­tenser-Propstei gegründet. Später wurde es Adelsschlo­ss. Skulpturen von Bildhauer Volkmar Kühn säumen die Gemäuer.
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Volkmar Kühn () hat Kloster Mildenfurt­h  für sich entdeckt und auf dem Areal sein Atelier eingericht­et.
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FOTOS () : W. HIRSCH Kühns Skulpturen mahnen zur inneren Einkehr.
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ARCHIV-FOTO: ALEXANDER VOLKMANN Die Skulptur „Kreuzmensc­h“.

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