Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Der Erste
Bodo Ramelow ist der bislang einzige Ministerpräsident der Linken und er will sein Amt verteidigen
Erfurt. Die Frage missfällt dem Ministerpräsidenten. Sie lautet: „Wie lange will die Linkspartei noch behaupten, der Aufbau Ost sei gescheitert?“Das Gesicht wird rot, die Stimme laut. „Das hat die Linkspartei nie gesagt!“, ruft Bodo Ramelow. LinkenVorsitzenden Bernd Riexinger, hat jedoch genau dies in einem Interview mit dieser Zeitung erst im Juli erklärte.
Plötzlich ist Ramelow wieder ruhig. Die Beschreibung sei ja völlig zutreffend, der Satz müsse nur vollständig heißen: „Der Aufbau Ost als Nachbau West ist gescheitert.“Er halte diese Präzisierung für notwendig. Und er schiebt nach: „Wenn für die gleiche Arbeit weniger Lohn gezahlt wird als im Westen, wenn eine längere Arbeitszeit verlangt wird, dann führt das zu großer Unzufriedenheit. Das können wir nicht hinnehmen.“
Ramelow, 63, zieht seit Monaten durchs Land, wandert, debattiert, streitet. Seine Partei hat überall Plakate aufgehängt, die den Ministerpräsidenten in weiser Denkerpose zeigen, wobei oft das Parteilogo fehlt. Warum das? „So funktioniert Werbung“, antwortet Ramelow. Die Menschen würden sich unbewusst das Logo dazu denken, das hätten Tests gezeigt. „Der Effekt ist so viel nachhaltiger.“
In seinem Kern ist Ramelow ein gewerkschaftlich geprägter, linker Sozialdemokrat, der, wenn er will, genauso gut mit Hausbesetzern kann wie mit Unternehmern. Das macht ihn gleichermaßen für die Antifa wählbar wie für Bürgerliche.
Bei einer Direktwahl würde fast jeder Linke für den Ministerpräsidenten stimmen – aber eben auch fast jeder vierte CDUWähler. Überhaupt liegt Ramelow mit seinen persönlichen Umfragewerten deutlich vor allen anderen Spitzenkandidaten. Er profitiert von seinem Amtsbonus – und von der Polarisierungsdynamik zwischen der AfD und der Partei, die den Ministerpräsidenten stellt. So war es schon in Sachsen und Brandenburg zu beobachten.
Aber selbst seine Kritiker räumen insgeheim ein, dass Ramelow in sein Amt hineingewachsen ist. Er füllt inzwischen die Rolle des Landesvaters aus, auch körperlich. In den Ministerpräsidentenrunden wird er akzeptiert, duzt sich mit etlichen Unions- und SPD-Kollegen. Im Ausland ist er diplomatisch eingeführt, in Israel, Polen, Vietnam, den USA, selbst beim Papst in Rom. So oder so: Die Linke, die überall anderswo in der Republik darniederliegt, ist in Thüringen komplett von ihrem Ministerpräsidenten abhängig. Während die Partei in Sachsen und Brandenburg um jeweils rund acht Prozentpunkte auf etwa 10 Prozent abstürzte, liegt sie in den Thüringer Umfragen sogar über ihrem 2014er-Rekordergebnis von 28,2 Prozent.
Dabei ist der Ministerpräsident kein Mensch, der es anderen einfach macht. Immer hat er gegen etwas gekämpft, in Niedersachsen als Schüler gegen die Legasthenie, in Hessen als Gewerkschafter gegen den Kapitalismus, in Thüringen als Parteipolitiker gegen die CDU. Und immer kämpfte er um etwas: Anerkennung.
Doch seit seiner Wahl zum ersten linken Ministerpräsidenten am 5. Dezember 2014 wirkt er zunehmend so, als sei er angekommen. Dies gilt für sein Amt, in dem er es schaffte, die Koalition zu moderieren und den immer wieder aufkommenden Streit nicht eskalieren zu lassen. Und dies gilt für sein Privatleben mit seiner dritten Frau Germana Alberti, dem Terrier Attila, dem Haus in Erfurt und dem Häuschen an der Bleiloch-Talsperre, zu der auch ein Viertelhektar Wald gehört.
Dabei bleibt Ramelows Regierungsbilanz durchmischt. Fast alle bekamen mehr Geld: Kindergärten, Krankenhäuser, Kommunen... Das hat vor allem damit zu tun, dass das Land so viel einnahm wie nie. Rot-RotGrün konnte die Ausgaben um 20 Prozent steigern und trotzdem mehr als eine Milliarde Euro an Schulden tilgen.
Dennoch wurde zum Beispiel der Notstand an den Schulen, den frühere Regierungen verursacht hatten, zu spät erkannt. Dies lag auch an dem Fehler, den Ramelow beging als er die Abgeordnete Birgit Klaubert zur Kultusministerin beförderte. Seine Favoritin Susanne Hennig-Wellsow hatte sich verweigerte. Klaubert war sichtlich für dieses schwierige Amt ungeeignet. In der Mitte der Wahlperiode kam Helmut Holter...
Ramelows größtes Versagen ist die verunglückte Kreisreform. Als Fraktionschef hatte er das Vorhaben lange als zentrale Forderung vor sich hergetragen. Als Ministerpräsident ließ er zu, dass ein Jahr vertrödelt wurde, bis die Planungen konkret wurden, und delegierte die Umsetzung. Als er endlich eingriff, war es zu spät, zeitlich wie inhaltlich.
Auch in der sogenannten Flüchtlingskrise nahm Ramelow zwar die ersten Ankommenden aus Syrien persönlich in Empfang. Doch ins operative Integrationsgeschäft mischte er sich zumeist erst ein, wenn der Migrationsminister wieder alle gegen sich aufgebracht hatte.
Ramelow arbeitete viel, im Kabinett, im Bundesrat, auf Reisen; ab und an, etwa beim Thema Kali, zog er Themen mit Erfolg an sich. Trotzdem tat er immer öfter das, was alle seine Vorgänger bevorzugt getan hatten: Er repräsentierte, besuchte jedes Fest, jede Kirmes, jedes Konzert von Nordhausen bis Sonneberg, von Bad Salzungen bis Altenburg. Hier zeigte sich Ramelow so nahbar wie fast kein anderer Spitzenpolitiker. Einer, der über alles offen reden kann und vielleicht auch muss, über seine Legasthenie, den evangelischen Glauben, den frühen Tod des Vaters, die Schläge der Mutter und die Krebserkrankung seines Sohnes. Aber Nähe bedeutet auch, dass jemand, der ihn auf Twitter anschreibt, im Zweifel angemotzt wird.
Und wenn dem Ministerpräsidenten Menschen Protesttransparente entgegenhalten, werden sie auch mal angebrüllt. „Der Bodo ist halt so“, sagen sie in seiner Partei, zudem wirke er dadurch nur noch authentischer, als er es eh schon sei. Trotzdem hat Ramelow selbst schon vor langer Zeit verstanden, dass ihm seine Art womöglich auch schaden kann.
Und so versucht er, da der Wahltag näher rückt, sich stärker zu disziplinieren: im Parlament, auf Kundgebungen oder eben in einem Interview. Er ist der erste Linke im Ministerpräsidentenamt in Deutschland, und er hat, wenn man Umfragen glaubt, die knappe Chance, es zu bleiben. Allein das zählt.