Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Der Erste

Bodo Ramelow ist der bislang einzige Ministerpr­äsident der Linken und er will sein Amt verteidige­n

- VON MARTIN DEBES UND JOCHEN GAUGELE

Erfurt. Die Frage missfällt dem Ministerpr­äsidenten. Sie lautet: „Wie lange will die Linksparte­i noch behaupten, der Aufbau Ost sei gescheiter­t?“Das Gesicht wird rot, die Stimme laut. „Das hat die Linksparte­i nie gesagt!“, ruft Bodo Ramelow. LinkenVors­itzenden Bernd Riexinger, hat jedoch genau dies in einem Interview mit dieser Zeitung erst im Juli erklärte.

Plötzlich ist Ramelow wieder ruhig. Die Beschreibu­ng sei ja völlig zutreffend, der Satz müsse nur vollständi­g heißen: „Der Aufbau Ost als Nachbau West ist gescheiter­t.“Er halte diese Präzisieru­ng für notwendig. Und er schiebt nach: „Wenn für die gleiche Arbeit weniger Lohn gezahlt wird als im Westen, wenn eine längere Arbeitszei­t verlangt wird, dann führt das zu großer Unzufriede­nheit. Das können wir nicht hinnehmen.“

Ramelow, 63, zieht seit Monaten durchs Land, wandert, debattiert, streitet. Seine Partei hat überall Plakate aufgehängt, die den Ministerpr­äsidenten in weiser Denkerpose zeigen, wobei oft das Parteilogo fehlt. Warum das? „So funktionie­rt Werbung“, antwortet Ramelow. Die Menschen würden sich unbewusst das Logo dazu denken, das hätten Tests gezeigt. „Der Effekt ist so viel nachhaltig­er.“

In seinem Kern ist Ramelow ein gewerkscha­ftlich geprägter, linker Sozialdemo­krat, der, wenn er will, genauso gut mit Hausbesetz­ern kann wie mit Unternehme­rn. Das macht ihn gleicherma­ßen für die Antifa wählbar wie für Bürgerlich­e.

Bei einer Direktwahl würde fast jeder Linke für den Ministerpr­äsidenten stimmen – aber eben auch fast jeder vierte CDUWähler. Überhaupt liegt Ramelow mit seinen persönlich­en Umfragewer­ten deutlich vor allen anderen Spitzenkan­didaten. Er profitiert von seinem Amtsbonus – und von der Polarisier­ungsdynami­k zwischen der AfD und der Partei, die den Ministerpr­äsidenten stellt. So war es schon in Sachsen und Brandenbur­g zu beobachten.

Aber selbst seine Kritiker räumen insgeheim ein, dass Ramelow in sein Amt hineingewa­chsen ist. Er füllt inzwischen die Rolle des Landesvate­rs aus, auch körperlich. In den Ministerpr­äsidentenr­unden wird er akzeptiert, duzt sich mit etlichen Unions- und SPD-Kollegen. Im Ausland ist er diplomatis­ch eingeführt, in Israel, Polen, Vietnam, den USA, selbst beim Papst in Rom. So oder so: Die Linke, die überall anderswo in der Republik darniederl­iegt, ist in Thüringen komplett von ihrem Ministerpr­äsidenten abhängig. Während die Partei in Sachsen und Brandenbur­g um jeweils rund acht Prozentpun­kte auf etwa 10 Prozent abstürzte, liegt sie in den Thüringer Umfragen sogar über ihrem 2014er-Rekorderge­bnis von 28,2 Prozent.

Dabei ist der Ministerpr­äsident kein Mensch, der es anderen einfach macht. Immer hat er gegen etwas gekämpft, in Niedersach­sen als Schüler gegen die Legastheni­e, in Hessen als Gewerkscha­fter gegen den Kapitalism­us, in Thüringen als Parteipoli­tiker gegen die CDU. Und immer kämpfte er um etwas: Anerkennun­g.

Doch seit seiner Wahl zum ersten linken Ministerpr­äsidenten am 5. Dezember 2014 wirkt er zunehmend so, als sei er angekommen. Dies gilt für sein Amt, in dem er es schaffte, die Koalition zu moderieren und den immer wieder aufkommend­en Streit nicht eskalieren zu lassen. Und dies gilt für sein Privatlebe­n mit seiner dritten Frau Germana Alberti, dem Terrier Attila, dem Haus in Erfurt und dem Häuschen an der Bleiloch-Talsperre, zu der auch ein Viertelhek­tar Wald gehört.

Dabei bleibt Ramelows Regierungs­bilanz durchmisch­t. Fast alle bekamen mehr Geld: Kindergärt­en, Krankenhäu­ser, Kommunen... Das hat vor allem damit zu tun, dass das Land so viel einnahm wie nie. Rot-RotGrün konnte die Ausgaben um 20 Prozent steigern und trotzdem mehr als eine Milliarde Euro an Schulden tilgen.

Dennoch wurde zum Beispiel der Notstand an den Schulen, den frühere Regierunge­n verursacht hatten, zu spät erkannt. Dies lag auch an dem Fehler, den Ramelow beging als er die Abgeordnet­e Birgit Klaubert zur Kultusmini­sterin beförderte. Seine Favoritin Susanne Hennig-Wellsow hatte sich verweigert­e. Klaubert war sichtlich für dieses schwierige Amt ungeeignet. In der Mitte der Wahlperiod­e kam Helmut Holter...

Ramelows größtes Versagen ist die verunglück­te Kreisrefor­m. Als Fraktionsc­hef hatte er das Vorhaben lange als zentrale Forderung vor sich hergetrage­n. Als Ministerpr­äsident ließ er zu, dass ein Jahr vertrödelt wurde, bis die Planungen konkret wurden, und delegierte die Umsetzung. Als er endlich eingriff, war es zu spät, zeitlich wie inhaltlich.

Auch in der sogenannte­n Flüchtling­skrise nahm Ramelow zwar die ersten Ankommende­n aus Syrien persönlich in Empfang. Doch ins operative Integratio­nsgeschäft mischte er sich zumeist erst ein, wenn der Migrations­minister wieder alle gegen sich aufgebrach­t hatte.

Ramelow arbeitete viel, im Kabinett, im Bundesrat, auf Reisen; ab und an, etwa beim Thema Kali, zog er Themen mit Erfolg an sich. Trotzdem tat er immer öfter das, was alle seine Vorgänger bevorzugt getan hatten: Er repräsenti­erte, besuchte jedes Fest, jede Kirmes, jedes Konzert von Nordhausen bis Sonneberg, von Bad Salzungen bis Altenburg. Hier zeigte sich Ramelow so nahbar wie fast kein anderer Spitzenpol­itiker. Einer, der über alles offen reden kann und vielleicht auch muss, über seine Legastheni­e, den evangelisc­hen Glauben, den frühen Tod des Vaters, die Schläge der Mutter und die Krebserkra­nkung seines Sohnes. Aber Nähe bedeutet auch, dass jemand, der ihn auf Twitter anschreibt, im Zweifel angemotzt wird.

Und wenn dem Ministerpr­äsidenten Menschen Protesttra­nsparente entgegenha­lten, werden sie auch mal angebrüllt. „Der Bodo ist halt so“, sagen sie in seiner Partei, zudem wirke er dadurch nur noch authentisc­her, als er es eh schon sei. Trotzdem hat Ramelow selbst schon vor langer Zeit verstanden, dass ihm seine Art womöglich auch schaden kann.

Und so versucht er, da der Wahltag näher rückt, sich stärker zu disziplini­eren: im Parlament, auf Kundgebung­en oder eben in einem Interview. Er ist der erste Linke im Ministerpr­äsidentena­mt in Deutschlan­d, und er hat, wenn man Umfragen glaubt, die knappe Chance, es zu bleiben. Allein das zählt.

 ?? ARCHIV-FOTO: MARCO KNEISE ?? Bodo Ramelow kleidet sich, wenn es nicht rein dienstlich zugeht, gern leger, eigenwilli­ge Kopfbedeck­ung inklusive. Hier ist er auf einer politische­n Sommerwand­erung im Landkreis Nordhausen zu sehen.
ARCHIV-FOTO: MARCO KNEISE Bodo Ramelow kleidet sich, wenn es nicht rein dienstlich zugeht, gern leger, eigenwilli­ge Kopfbedeck­ung inklusive. Hier ist er auf einer politische­n Sommerwand­erung im Landkreis Nordhausen zu sehen.
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