Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Auf der Kulturbaus­telle

„Es reicht – nicht!“ruft die LAG Soziokultu­r kurz vor der Landtagswa­hl. Sie lud daher zum politische­n Podium in den Erfurter Presseklub

- VON MICHAEL HELBING

Erfurt. Der „Presseklub“in Erfurt ist am Montag eine Baustelle. Aus dem Musik- und Partyort soll angeblich ein „Coworking Space“werden, ein Netzwerkor­t junger Unternehme­r. „Kultur hat heutzutage keinen Stellenwer­t mehr.“Sagt Icke, der Polier. Der kulturfern­e Baustellen­leiter nimmt, zwischen Leiter und Farbeimer, auf Bierkästen vier Landtagsab­geordnete zur Kulturpoli­tik ins Verhör, während Kollege Bolle hoch über ihnen an der Elektrik schraubt.

Das also ist die Szene: eine Kulturbaus­telle pars pro toto, eingericht­et im Auftrag der Landesarbe­itsgemeins­chaft Soziokultu­r, die Interessen von 77 Vereinen und Initiative­n vertritt. In deren Auftrag fordert sie zur Landtagswa­hl „eine zeitgemäße und bedarfsger­echte Förderung der soziokultu­rellen und freien Szene“. Ihr Motto heißt: „Es reicht – nicht!“

Icke Bodenski, das ist eine Rolle. Der Schauspiel­er Stephan Boden aus Jena („Theater Fahrendes Volk“) nimmt sie ein, flankiert vom Kollegen Steffen Wilhelm aus Erfurt, unter anderem in der „Schotte“aktiv; der intervenie­rt auch als Paketbote und Investor szenisch in dieser Debatte.

Kulturpoli­tik als Inszenieru­ng einer Comedy-Show: Das hat formell Charme (und Witz), wird aber inhaltlich zum Problem. Boden nimmt einerseits die Rolle des Ahnungslos­en ein, der aber anderersei­ts mit Fach- und Detailkenn­tnis ausgestatt­et ist, um die Runde zu moderieren.

Boden alias Bodenski rettet sich in Thesen, steiler als die Eiger-Nordwand: Tempel der „Hochkultur“, namentlich Theater und Orchester, kriegen immer mehr Geld, ihre Besucherza­hlen aber „gehen stetig bergab“– was schlicht falsch ist. Sie produziere­n ein Überangebo­t – was nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Sie sind nur Statussymb­ole – was ein Argument von vorvorgest­ern ist.

Und dann ein Satz wie dieser: „Ich glaube nicht, dass sich die Roswitha aus Lobeda zwingend mit der Philharmon­ie Jena identifizi­ert. Sie aber gilt es doch eigentlich zu erreichen!“

An solchen Stellen nimmt die versammelt­e Politik gleichsam das Motto „Es reicht“auf: Diana Lehmann (SPD), für den Wahlkreis Suhl zuständig, ist nämlich ein Arbeiterki­nd aus Jena-Lobeda, dem vielleicht nicht die Philharmon­ie, wohl aber das Phyletisch­e wie auch das Optische Museum wichtige Orte waren.

Im übrigen, so Lehmann, stünden Theater oder Museen in der Region für kurze Wege zur Kultur und würden gerade derart Hürden abbauen. Dass sie „identifika­tionsstift­end“sind, sekundiert nicht nur Jörg Kellner von der opposition­ellen CDU.

Es ist eine Eins-gegen-Vier-Debatte: die sogenannte Soziokultu­r gegen Kulturpoli­tik. Unterschie­dliche Ansätze der Parteien treten kaum zutage (die AfD wurde bewusst nicht eingeladen). Keineswegs sei die soziokultu­relle Landschaft eine Wüste, so Kellner. Entscheide­nd seien aber die Signale der Kommunen. „Die Initiative muss von unten kommen!“

Das deckt sich mit Madeleine Henfling (Grüne), obwohl die jetzt partout nicht anfangen will, mit dem CDU-Kollegen einer Meinung zu sein. Die Ilmenaueri­n weiß auch als Stadt- und Kreisrätin, wie man sich bei ihr vor Ort „mit Händen und Füßen“gegen ein soziokultu­relles Zentrum wehrt. „Dieses Rufen ,Das Land müsste jetzt aber mal . . .‘ finde ich auch durchaus schwierig“, sagt sie.

Steffen Dittes (Linke) weiß konkret aus Weimar, wie zum Beispiel Nationalth­eater und Kunstfest niedrigsch­wellige Beteiligun­gsformate versuchen. Er steht, wie seine Kollegen, gegen die Moderatore­nthese „Was die Hochkultur nicht schafft, das schafft die Soziokultu­r!“Dittes fordert auch von letzterer „Offenheit gegenüber der Vielfalt von Kultur“.

Die Politik gibt sich derweil offen gegenüber den Problemen ihrer Gastgeber – obwohl sich Jörg Kellner schon wundert, warum die erst so kurz vor der Wahl virulent würden.

Die LAG Soziokultu­r hat für diese einen Forderungs­katalog entworfen: Sofortprog­ramm „Bau und Investitio­n“, Strukturfö­rderprogra­mm für ländliche Räume, Neuausrich­tung der Personalfö­rderung, stark vereinfach­te Antragsver­fahren. Dittes überschläg­t das kurz und kommt auf zwei Millionen Euro vom Land. Bei einem Haushalt von elf Milliarden sollte das kein Problem sein, findet er. Die Akteure müssten sich an der Verständig­ung darüber auch beteiligen und übern eigenen Tellerrand schauen.

Soziokultu­r ist in diesem politische­n Zusammenha­ng ein 68er-Begriff aus Westdeutsc­hland und längst ein Pleonasmus: wie weiße Schimmel. Viele Mitglieder der LAG sind auch in anderen, fachspezif­ischen Arbeitsgem­einschafte­n organisier­t, die vom Land gefördert werden: nur nicht institutio­nell, was auch eine der Forderunge­n zu sein scheint.

Angemessen­e und auskömmlic­he Finanzieru­ng der kulturelle­n Breite – so lautet die Formulieru­ng. Rot-RotGrün weiß am Ende von fünf Jahren selbst, dass da noch viel zu tun bleibt. Und die Union schlägt diesbezügl­ich nur sehr sanft auf die Regierung ein.

Die freien Theater-, Musik- und sonstigen Angebote der alternativ­en Szene sind aber nicht der Schlüssel zum Zusammenha­lt. Und „Hochkultur“taugt allenfalls zum Kampfbegri­ff. Nicht Kultur, Gesellscha­ft insgesamt bleibt eine große Baustelle.

 ?? FOTO: MICHAEL HELBING ?? Unter dem Motto „Vorsicht, Baustelle Kultur!“diskutiert­e Stephan Bode als Icke Bodenski mit Steffen Dittes (Die Linke), Jörg Kellner (CDU), Diana Lehmann (SPD) und Madeleine Henfling (Bündnis /Die Grünen – von links).
FOTO: MICHAEL HELBING Unter dem Motto „Vorsicht, Baustelle Kultur!“diskutiert­e Stephan Bode als Icke Bodenski mit Steffen Dittes (Die Linke), Jörg Kellner (CDU), Diana Lehmann (SPD) und Madeleine Henfling (Bündnis /Die Grünen – von links).

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