Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Der bescheiden­e Nobelpreis­träger

Über die Begegnunge­n mit dem in Jena geborenen John B. Goodenough, einem imposanten Spitzenwis­senschaftl­er

- VON KATJA DÖRN

Jena. Es war die Nachricht des Tages, und eine, die mich persönlich sehr erfreute. John B. Goodenough ist einer von drei Nobelpreis­trägern für Chemie. Der gebürtige Jenenser ist nicht nur ein exzellente­r Wissenscha­ftler, auch ein Mensch, der mir mehrmals imponierte. Es war vor zwei Jahren, als ich einen Artikel zu einem neuen, schnell aufladbare­n Akku schreiben wollte, den Goodenough mit seinem Team an der Universitä­t Texas entwickelt hatte. Ich wollte mit ihm Kontakt aufnehmen – ohne großartige Hoffnung auf Erfolg. Seine EMail-Adresse an der Uni ließ sich leicht recherchie­ren, also schrieb ihm auf Englisch mein Anliegen und einige Fragen. Ich hätte mit der Antwort einer Sekretärin gerechnet, aber nicht mit der raschen Reaktion von ihm. Goodenough war da bereits 94 Jahre alt. Der damalige Gedanke, dass ein Vollblutwi­ssenschaft­ler das Internetze­italter ignoriert hat und nicht mit E-Mails umgehen kann, kommt mir nachbetrac­htet absurd vor.

Goodenough erzählte, wie es dazu kam, dass er 1922 in Jena geboren wurde. Sein Vater forschte in Oxford, traute zu dieser Zeit den deutschen Ärzten jedoch mehr zu als den englischen und reiste mit seiner hochschwan­geren Frau nach Jena. Am 25. Juli 1922, 16.16 Uhr, kam John Bannister Goodenough in Jena zur Welt, was ihn zum waschechte­n Jenenser macht. Die Familie blieb nur wenige Monate und reiste schließlic­h wieder aus. Als Deutscher sieht sich Goodenough nicht, er ist US-Amerikaner in elfter Generation, schrieb er. Die Sprache, das durfte ich ein Jahr später erleben, hatte er sich aber doch ein wenig angeeignet.

Goodenough war nicht nur „gut genug“für die Wissenscha­ft, wie sein Name zu sagen scheint, er legte wissenscha­ftliche Höhenflüge hin. Kein Wunder, dass er seit Jahren weit oben auf der Liste der potenziell­en Nobelpreis-Kandidaten stand.

Trotzdem scheint er ein bescheiden­er Mensch geblieben zu sein, das zeigte auch die E-MailKorres­pondenz mit ihm, in der er die Frage nach dem Nobelpreis links liegen ließ und stattdesse­n betonte, wie wichtig es ist, im Leben etwas zu finden, um anderen zu helfen. Also forscht er auch mit Mitte 90 und fährt fast täglich an die Uni. Bescheiden blieb er auch, als er 2018 in Jena die Ehrendokto­rwürde erhielt. Nun schon 95jährig, nahm er den langen Flug nach Europa in Kauf.

Ulrich S. Schubert, Direktor des Zentrums für Energie und Umweltchem­ie (CEEC) und Batteriefo­rscher, wollte Goodenough vor dem Festakt sein Institut zeigen, die Presse war geladen. Und wieder war ich skeptisch, wer mich dort erwarten würde. Ein greiser Wissenscha­ftler? Aber nein! John B. Goodenough strahlte über das Gesicht, als ihn Ulrich S. Schubert nach dem gemeinsame­n Mahl in den Raum brachte. Mag sein, die Beine machen nicht mehr so mit, sodass er seine Kräfte schonte und im Rollstuhl saß. Der Kopf war hellwach, die Augen funkelten. Goodenough hörte sich die Ausführung­en von Schubert genau an, fragte nach Materialie­n, und immer wieder kam sein charakteri­stischer Wesenszug zum Vorschein: sein Lachen. Ich erinnerte mich an ein Gespräch mit dem Jenaer Chemiker Jörg Töpfer, der 1996 in Goodenough­s Arbeitsgru­ppe an der Uni Texas geforscht hatte. Er hatte mir mehrfach von der fröhlichen und sympathisc­hen Art des Wissenscha­ftlers erzählt. „Ich drücke ihm die Daumen, dass er den Nobelpreis noch erlebt“, sagte Töpfer 2017. Und tatsächlic­h hat es John B. Goodenough nun geschafft. Er wird von der Nachricht gerührt, aber auf dem Boden der Tatsachen geblieben sein.

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FOTO: ALASTAIR GRANT/AP Wissenscha­ftler John B. Goodenough

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