Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Liedermacher Gerd Krambehr spielte am 9. November 1989 vor 80.000 Menschen auf dem Erfurter Domplatz
Mit der Gitarre in der Hand stand er auf den Stufen des Doms. Das Wahrzeichen Erfurts leuchtete hinter seinem Rücken, vor seinen Augen drängten sich Zehntausende Menschen. „Komm, sing noch ein Lied zum Abschluss“, raunte ihm Matthias Büchner, Sprecher des Neuen Forums, auf der bis dahin wohl größten Erfurter Demonstration an jenem frühen Abend des 9. November 1989 zu.
Gerd Krambehr hauchte in seine klammen Finger. Als Verehrer der legendären Klaus-Renft-Combo kam ihm nach kurzem Überlegen deren Lied „Ermutigung“in den Sinn, in dem es am Schluss heißt:
Der mittlerweile 61-Jährige kann den Text des Songs bis heute mühelos zitieren und bekommt bei der Erinnerung an diesen magischen Abend immer noch eine Gänsehaut.
1981 war der geborene Rudolstädter als Student nach Erfurt gekommen. Lieder zu schreiben, war für ihn seit einigen Jahren ein unabdingbares Lebensgefühl. „Klassische“Liedermacher wie Wolf Biermann, Gerhard Schöne, Kurt Demmler, Gerhard Gundermann, Stephan Krawczyk oder Konstantin Wecker sah er dabei immer als Gleichgesinnte und Weggefährten, weniger als „Vorbilder“oder „Idole“. Wie sie war und ist Krambehr stets bemüht, politische wie alltägliche Begebenheiten nicht in platter Alltagssprache
zu verdichten, sondern in Poesie zu verpacken „lebensfroh, authentisch, fesselnd, rührend, nachdenklich und ehrlich“.
Zu seinen wertvollsten Liedern zählt er selbst die „Ballade vom Don Quichote“,
1986 für den von ihm verehrten Michael Gorbatschow geschrieben. „Ich war von Gorbis Perestroika und Glasnost nicht nur überzeugt, ich hoffte sehr darauf, dass sie auch bei uns Einzug halten würde, doch als die Zeitschrift Sputnik im Jahr
1988 verboten wurde, war das für mich mehr als eine Zäsur, es war ein Schock, ähnlich dem Verbot von Renft, der Ausbürgerung Wolf Biermanns oder der Inhaftierung und späteren Abschiebung von Stephan Krawczyk.“
Für Letzteren, den auch aus Thüringen stammenden, in Weida geborenen „liede(h)rlichen Seelenfreund“, verfasste Gerd Krambehr im Januar 1988 den Solidaritätssong „Die Richtstatt“.
Krawczyk war Ende der 1980er-Jahre zu einer der bedeutendsten Personen der DDR-Opposition geworden, wobei er nur noch im Schutz der Kirche auftreten konnte. Zusammen mit Freya Klier forderte er immer wieder öffentlich die Achtung der Menschenrechte, die Rücknahme
-DIE LIEDERMACHER-SZENE DER DDR
Die Liedermacher in der DDR – die singenden Philosophen, witzigen Denker, großartigen Wortakrobaten, schreibenden Träumer und virtuosen Musiker – schafften es auf unterschiedliche Art, verklausuliert politische Realitäten anzusprechen. Das Publikum wusste das, hörte genau hin, konnte in Bildern und Metaphern, die für die Künstler zugleich ein Schutz waren, versteckte Kritik am System erkennen. Zu ihnen gehörten:
ihrer Berufsverbote und die Unabhängigkeit von Kunst und Kultur in der DDR. Im Januar 1988 wurde er verhaftet und anschließend im Stasi-Gefängnis BerlinHohenschönhausen völlig isoliert, bevor er dann in die Bundesrepublik abgeschoben wurde.
Gerd Krambehr sieht sich allein wegen solcher Biografien nicht als Held. „Nein, da gab es viele, die wesentlich mutiger waren, mehr riskierten und deutlich Schlimmeres aushalten mussten“, so der Vater
n Reinhold Andert
n Wolf Biermann
n Kurt Demmler
n Gerhard Gundermann
n Gerd Krambehr
n Stephan Krawczyk
n Steffen Mensching
n Gerhard Schöne
n Barbara Thalheim
n Bettina Wegner
n Hans-Eckard Wenzel von drei erwachsenen Töchtern. Er sorgte zwar mit seinen poetisch-politischen Aktivitäten an der PH Erfurt für Aufsehen, wurde wegen „Verunglimpfung“und „staatsfeindlichem Auftreten“auch aus der Partei ausgeschlossen, aber ausreisen kam für mich nicht infrage. Und wenn, dann nur bei einer möglichen Verhaftung mit einem Antrag zur Ausreise nach Moskau“, meint der für seine russische Seele bekannte Liedermacher schmunzelnd. „Ich hoffte damals wie so viele auf eine doch noch mögliche Systemveränderung von unten und auf Reformen im Geiste Gorbatschows“.
Mit ihren oft kritischen Texten waren die Liedermacher der DDR zuvor schon häufig angeeckt. „Wir waren damals gewissermaßen ein Sprachrohr fürs Volk“, resümiert Gerd Krambehr. Und ergänzt: „Am Abend hielten wir den Leuten quasi einen Spiegel vor, um morgens selbst noch in diesen blicken zu können.“
Vor Zuschauern aufzutreten, das elektrisiert ihn nach wie vor, auch wenn er manche Illusion inzwischen begraben hat. „Ich finde es schon sehr schade, dass die meisten Bürgerrechtler, so auch viele Liedermacher, die die friedliche Revolution einst mit initiiert haben, inzwischen in der Versenkung verschwunden sind.“Aber, so Gerd Krambehr, „ich habe heutzutage auch keine Probleme damit, manchmal nur vor ein paar Leuten zu spielen.“Wichtig sei ihm nach wie vor, dass man ihm zuhört und seine Seele erfühlt. Vielleicht ja ein bisschen wie damals am feuchtkalten Abend des 9. November 1989, als sogar rund 80.000 im Kerzenschein mit dem Erfurter Liedermacher vereint waren.
Als dieser wenig später nach Hause kam, war die „Ermutigung“von Renft unfassbare Wirklichkeit geworden – die Mauer war gefallen.