Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Koalitionsspitzen einigen sich auf Grundrente
Kompromiss von Union und SPD sieht Einkommens- statt Bedürftigkeitsprüfung vor
Die große Koalition hat sich nach monatelangem Ringen auf eine Grundrente für Geringverdiener verständigt. „Wir haben einen dicken Knoten durchschlagen“, sagte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nach Ende des Koalitionsausschusses Sonntagnachmittag im Kanzleramt in Berlin. „Es ist ein sozialpolitischer Meilenstein“
sagte die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer.
Gewinner der Einigung bei der Grundrente sind die Menschen, die trotz lebenslanger Arbeit nur geringe Renten bekommen und die, deren Erwerbsbiografien im Osten unterbrochen und nur geringe Löhne bezogen haben“, erklärte der Thüringer CDU-Landes- und Fraktionschef
Mike Mohring per Twitter. Er war Mitglied der Arbeitsgruppe, die den Kompromiss verhandelt hatte.
Auch SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee hatte monatelang in Berlin mitverhandelt. Dass jetzt zehn Mal so viel Menschen von der Grundrente profitierten, als die Union es gewollt habe, sei „ein sehr achtbares Ergebnis“, sagte der Wirtschaftsminister dieser Zeitung – „auch wenn sich die SPD mehr gewünscht“hätte“. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPDBundestagsfraktion, Carsten Schneider, lobte die Einigung als „Ergebnis, das weit über einer Millionen Menschen in unserem Land“helfe.
Am Ende dauerte es noch einmal fast sechs Stunden, um den letzten Knoten zu durchschlagen: Um zehn Uhr hatten sich die Spitzen der großen Koalition am Sonntag im Kanzleramt getroffen, kurz vor 16 Uhr drang dann die Nachricht von der Einigung nach draußen: Union und SPD haben sich nach monatelangem Ringen auf einen Kompromiss bei der Grundrente verständigt. Eine Stunde später traten die drei Parteichefs von CDU, CSU und SPD vor die Kameras: Die Grundrente soll am 1. Januar 2021 kommen – für bis zu 1,5 Millionen Rentner, die trotz langer Beitragszeit nur eine kleine Rente bekommen.
„Die Kuh ist vom Eis“, fasste CSU-Chef Markus Söder sichtlich erleichtert die Stimmung in der Runde zusammen. Die Einigung bei der Grundrente runde die Halbzeitbilanz der großen Koalition perfekt ab, so der bayerische Ministerpräsident. „Aus meiner Sicht gibt es jetzt auch keinen Grund mehr, über den Fortbestand zu diskutieren.“
CDU-Chefin Annegret KrampKarrenbauer, die um die großen Widerstände in den eigenen Reihen weiß, betonte: Der Kompromiss sei „eine gute, auch für die CDU vertretbare Lösung“. Die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer sprach von einem „sozialpolitischen Meilenstein“. Vor allem Frauen mit kleinen Renten würden von der neuen Grundrente profitieren.
Die Einkommensprüfung soll automatisch ablaufen
Streit hatte es vor allem darüber gegeben, ob die Grundrente von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig gemacht wird. Teile der Union hatten bis zuletzt darauf beharrt, die SPD lehnte eine solche Prüfung anfangs komplett ab. Am Sonntag einigten sich die Koalitionäre auf einen Mittelweg: Nun soll der „Bedarf“in jedem Einzelfall durch eine umfassende Einkommensprüfung ermittelt werden. Dabei sollen auch Einkünfte aus Kapitalbesitz einbezogen werden. Ermöglicht werden soll die Prüfung durch einen automatisierten Datenaustausch zwischen Rentenversicherung und den Finanzämtern.
Mit der Grundrente bekommen jene Rentner einen Zuschlag, die 35 Beitragsjahre haben und deren Beitragsleistung unter 80 Prozent, aber über 30 Prozent des Durchschnittseinkommens liegt. Flankierend zur
Grundrente will die Koalition zudem einen noch nicht näher bezeichneten Freibetrag beim Wohngeld einführen. So soll verhindert werden, dass die Verbesserung in der Rente nicht durch eine Kürzung des Wohngeldes aufgefressen wird.
Die Koalition schätzt, dass auf diesem Weg zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Rentner von der Grundrente profitieren könnten – die Kosten dafür dürften laut Söder bei einer Summe von bis zu 1,5 Milliarden Euro pro Jahr liegen. Finanziert werden soll die Grundrente über Steuern und aus Beiträgen der Rentenversicherung. Dafür soll der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt erhöht werden. Eine Erhöhung der Rentenbeiträge soll es nicht geben. Die nötigen Steuermittel kommen aus einer Steuer auf Börsengeschäfte, die es allerdings noch gar nicht gibt.
Zudem will die Koalition die betriebliche Altersvorsorge für Geringverdiener mit einem Monatseinkommen bis 2200 Euro brutto stärker fördern. Um die Attraktivität von Mitarbeiter-Kapitalbeteiligungen zur Vermögensbildung zu erhöhen, wollen Union und SPD auch den steuerfreien Höchstbetrag in diesem Bereich von 360 Euro auf 720 Euro anheben.
Eine Einigung hatte auch deshalb als kompliziert gegolten, weil die Koalitionsspitzen einen Kompromiss in ihren Parteien vertreten müssen. Sowohl in der Union als auch bei der SPD gibt es intern erhebliche Vorbehalte gegen die Zugeständnisse, die den Kompromiss am Ende möglich machten.
Vizekanzler Olaf Scholz muss die Einigung beim SPD-Parteitag Anfang Dezember vertreten. Auch Kramp-Karrenbauer musste gegen erhebliche Vorbehalte gegen die Grundrente etwa im Wirtschaftsflügel ihrer Partei angehen. Die CDUChefin hat Ende November einen schwierigen Parteitag vor sich: Zwar stehen hier keine Personalentscheidungen an – doch der Parteitag wird ein wichtiger Stimmungstest für die CDU-Chefin und die Frage, wer die Union als Kanzlerkandidat in die nächste Wahl führen wird.
Der CDU-Politiker Friedrich Merz bewertete den Kompromiss der Koalition am Sonntagabend allenfalls als ersten Schritt. „Vorbehaltlich einer genaueren Prüfung der Details könnte diese Einigung einen Weg aufzeigen, wie in Zukunft eine Grundrente mit Einkommensund Vermögensprüfung vernünftig ausgestaltet werden kann“, sagte der frühere Unionsfraktionschef unserer Redaktion. Positiv beurteilte Merz einen anderen Aspekt: „Die Vereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung ist sehr sinnvoll, denn sie kann zur Vermeidung von zukünftiger Altersarmut beitragen.“
Auch die Opposition reagierte umgehend auf die Grundrentenpläne der Koalition: Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch kritisierte den Kompromiss scharf. „Zynisch ist: Bei E-Autos gibt es üppige Kaufprämien mit der Gießkanne, und bei der Grundrente schaut die Koalition ins Portemonnaie der Rentner, die jahrzehntelang eingezahlt haben“, sagte Bartsch unserer Redaktion. Von der Grundrente würden viel weniger Menschen profitieren, als von Sozialminister Hubertus Heil (SPD) ursprünglich vorgesehen.
Die Grünen verlangten Nachbesserungen: „Im Gesetzgebungsverfahren werden wir dafür werben, dass die Zugangshürden der Grundrente abgesenkt werden – 30 statt 35 Jahre an Beitrags- und Versicherungszeiten – und eine unbürokratische Einkommensprüfung durchgeführt wird“, sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt unserer Redaktion. „Es kann nicht sein, dass die GroKo nur eine aufwändige, umfassende Einkommensprüfung durchführt, um den Wirtschaftsflügel der Union zufriedenzustellen.“
„Diese Einigung kann einen Weg aufzeigen, wie eine Grundrente vernünftig ausgestaltet werden kann.“Friedrich Merz, CDU-Politiker