Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Hinterm goldenen Vorhang
Wenn ich ein Vöglein wär’, flög ich zu Dir. So besingt ein altes Volkslied stimmungsvoll ein in den Menschen serienmäßig eingebautes altes Verlangen. Und der Volksmund, der sich immer und über alles das Maul zerreißen muss, fügt hinzu: Ja, und wenn ich zwei Vöglein wär’, könnte ich hinter mir herfliegen und zusehen, wie ich zu Dir flög’.
Dieses Bild, zuzusehen, wie wir hinter uns herfliegen, begleitete uns eine ganze Weile durch die Herbsttage, und wir wussten nicht gleich, warum. Erst dachten wir, es sei wegen des großen Vogelzuges nach Süden. Dann aber sahen wir im Fernsehen eine Sendung, die sich „Fantalk“nennt, und uns fiel eine Feder der Erkenntnis vom Hut. Diese Sportsendung gibt es schon seit 2009, und sie kommt aus der „11 Freunde Bar“in Essen. Womit schon einmal klar sein dürfte, dass es dabei um Fußball geht – und das geht ungefähr so: Eine Schar ins Studio handverlesener Fans sieht und hört einer Runde von Experten, die dafür bekannt sind, dass sie bekannt sind, bei der Übertragung eines Fußballspieles zu. Wir als Fernsehzuschauer sitzen dabei zu Hause auf dem Sofa vor dem Bildschirm und sehen drei Stunden lang zu, wie Fans Experten dabei zusehen, wie sie einem Fußballspiel zusehen – von dem wir nichts sehen. Wir sind sozusagen das dritte Vögelein in der Verwertungskette: Wir sehen dabei zu, wie wir uns dabei zusehen, wie wir hinter uns herfliegen. Ist das nicht großartig.
Nein, ist es nicht. Es ist moderner Fußball, der sich immer weiter von uns entfernt und dabei ist, hinter einem goldenen Vorhang aus Vermarktungs- und Übertragungsrechten, aus immer abenteuerlicheren Ablösesummen, Beraterhonoraren und Werbeverträgen zu verschwinden. Sicher, die glorreichen Zeiten, da sich die Nation noch sonnabends am Lagerfeuer der ARD-Sportschau die Hände wärmte, sind vorbei. Wie sollte das auch noch funktionieren, wenn der Bundesliga-Spieltag vom Freitag- bis zum Montagabend wie Konfetti über das Wochenende und alle möglichen Bezahlsender verstreut wird. Da wird es selbst Karl-Heinz Rummenigge, einem der BayernBosse, mulmig, und er monierte, dass die Champions League wieder ins Free-TV zurückmüsse.
Wo er recht hat, hat er recht: Fußball ist Menschenrecht. Er gehört zu unserer Grundversorgung mit Träumen. Wie dem von einer klügeren Gesellschaft, einer gerechteren Rente und überhaupt einer besseren Welt oder wenigstens einem erfolgreichen Fußballverein in Thüringen. Und das alles am liebsten an einem Wochenende – und noch bevor der Vorhang fällt. Über das Vögelein, das die goldenen Eier legt.