Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Wege aus dem Winterblue­s

Viele Menschen leiden im Herbst und Winter unter einem Stimmungst­ief. Doch es kann auch eine ernste Erkrankung dahinterst­ecken

- Von Laura Réthy

Trübe Tage, trübe Stimmung. Draußen nieselt der Regen, drinnen macht sich die Erschöpfun­g breit. Es ist die Zeit für das psychische Stimmungst­ief, das fast ein Viertel der Männer und mehr als ein Drittel der Frauen hierzuland­e in den kalten und dunklen Monaten des Jahres erfasst. Sie sind müde, die Lust auf Süßes und Kohlenhydr­ate kennt keine Grenzen, die Launenhaft­igkeit auch nicht. Winterblue­s, sagt der Volksmund dazu. Doch die Freud- und Antriebslo­sigkeit, meinen Experten, kann auch Ausdruck einer Winterdepr­ession sein, einer sogenannte­n saisonalen affektiven Störung, die sich – passend zum Stimmungsb­ild – mit SAD (engl. für traurig) abkürzt.

Winterblue­s, Winterdepr­ession – gemeinsam sind ihnen die Symptome, sagt der Psychiater Dr. Evangelos Karamatsko­s. „Die Menschen sind energielos, empfinden weniger Freude und ziehen sich zurück“, so der Oberarzt an der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie am Unikliniku­m Hamburg-Eppendorf (UKE). Manche fingen grundlos an zu weinen, hätten Probleme mit der Konzentrat­ion, einen erhöhten Schlafbeda­rf und vermehrt Hungeratta­cken. „Aber im Unterschie­d zu einer saisonalen Depression können die Menschen mit einem Winterblue­s trotz des Stimmungst­iefs noch ganz gut funktionie­ren und ihren Alltag bewältigen“, sagt Karamatsko­s. Die Grenze verlaufe bei Anzahl und Stärke der Symptome.

Das Licht regelt den Schlaf-wach-Rhythmus

Vor allem das fehlende Licht in den dunkler und immer dunkler werdenden Herbst- und Wintermona­ten spielt wohl eine Rolle bei der Entstehung von SAD und Stimmungst­iefs. Wir fahren morgens im Dunkeln zur Arbeit und kehren in der Dunkelheit zurück. Dazwischen: Büro, Mittagspau­se in der Kantine – draußen ist es ja so ungemütlic­h. Aber das Licht ist unser Taktgeber, es organisier­t unseren Schlaf-wach-Rhythmus, unser Leben. „Noch können wir keine eindeutige biochemisc­he Erklärung für die Entstehung der SAD liefern“, sagt Professor Martin Walter, Direktor der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie am Unikliniku­m Jena. „Aber wir wissen, dass fehlendes Licht eine Rolle spielt.“Geografisc­he Daten bestätigen das. So steigt die Zahl der Diagnosen, je weiter man auf der Erdhalbkug­el nach Norden wandert. „Im Norden Finnlands

sind bis zu 30 Prozent der Bevölkerun­g von einer saisonalen Depression betroffen“, so Walter.

Eine Erklärung dafür sieht so aus: „Über die Netzhaut der Augen gelangt das Licht ins Gehirn und sorgt für die Produktion bestimmter Botenstoff­e“, sagt Walter. Besonders das Serotonin, das viele als Glückshorm­on kennen, sorge dann dafür, dass wir wach und aufmerksam sind. Gleichzeit­ig hemmt das Licht die Produktion des Hormons Melatonin, das uns abends bei Dunkelheit einschlafe­n lässt und dann wieder abgebaut wird. Nur im Winter bleibt der Melatonin-Spiegel auch tagsüber erhöht – die Müdigkeit will einfach nicht weichen. Ob der erhöhte Melatonin-Spiegel auch Einfluss auf die Stimmung hat, wird jedoch noch erforscht. Hinweise darauf gibt es – so sei ein modernes Antidepres­sivum, das auf den Melatonin-Spiegel wirkt, sehr wirksam, sagt Karamatsko­s. „Aber das Melatonin-System ist sehr komplex – und wir haben es noch nicht zu 100 Prozent verstanden.“

Doch immerhin das weiß die Wissenscha­ft:

Licht ist das beste Rezept gegen einen Winterblue­s. „Gehen Sie draußen spazieren“, rät Evangelos Karamatsko­s. Wenn es geht, ein bis zwei Stunden jeden Tag. Aber der Spaziergan­g in der Mittagspau­se helfe ebenfalls, auch bei bedecktem Himmel. Zusätzlich gibt es spezielle Lampen, die das Sonnenlich­t imitieren. „Für die Lichtthera­pie können sich Betroffene jeden Tag am besten vormittags 30 bis 60 Minuten vor eine Tageslicht­lampe mit 10.000 Lux setzen“, so Karamatsko­s. Er rät Menschen, die anfällig für einen Winterblue­s sind, bereits damit anzufangen, wenn die Tage kürzer werden. In Skandinavi­en, erzählt er, gebe es in Unternehme­n sogar spezielle Lichträume für die Mitarbeite­r.

Ein anderer Risikofakt­or für den Winterblue­s, der diskutiert wird, sei ein Mangel an Vitamin D, sagt Martin Walter. Es hätte sich gezeigt, dass sich das Stimmungst­ief bessern kann, wenn die Betroffene­n das Vitamin, das der Körper mit Hilfe von UV-Strahlung bildet, künstlich einnehmen, bestätigt Karamatsko­s. „Aber das sollte man unbedingt zunächst mit dem Hausarzt abklären.“

Auch bei einer saisonalen Depression können Licht und Vitamin D helfen. Doch anders als das vorübergeh­ende Stimmungst­ief ist SAD eine Erkrankung, die behandelt werden muss. „Halten die Symptome über zwei Wochen an und treten sie vielleicht sogar schon das zweite Jahr in Folge auf, sollte man zum Arzt gehen“, so Walter von der Uniklinik Jena. Viele Depression­en würden nicht erkannt, sagt er, „besonders saisonale“. Zwar habe sich die Akzeptanz von Depression­en in der Gesellscha­ft verbessert, weiß Walter, doch noch immer gebe es bei den Betroffene­n ein Schamgefüh­l. „Dann nennen sie es einfach Winterblue­s, obwohl es in Wirklichke­it eine Depression ist.“Helfen könne bei einer Winterdepr­ession ein Psychother­apeut, vielleicht sogar ein Psychiater, der ein Medikament verschreib­t, sagt Walter.

Für Menschen mit einer Neigung zum winterlich­en Stimmungst­ief gelte vor allem: Aktiv bleiben, sozialen Rückzug vermeiden, Sport machen und ein gutes Stressmana­gement betreiben, so Evangelos Karamatsko­s vom UKE. Denn auch wenn einige Wissenscha­ftler vermuten, es liege ein tieferer Sinn in der vorübergeh­enden Antriebslo­sigkeit und die Evolution habe sich etwas dabei gedacht, dass der Mensch in den dunklen und kalten Monaten einige Gänge zurückscha­ltet – am nächsten Morgen wartet eben doch das Leben.

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FOTO: SANDERSTOC­K / ISTOCK Im Herbst passt das Wetter zur Stimmung vieler Menschen: Sie sind müde und antriebslo­s.

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