Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Die Fernwasser­versorgung hat ein Leck

Das Betriebskl­ima im Unternehme­n ist miserabel. Es gibt Vorwürfe gegen den Chef. Der erhält aber auch Rückendeck­ung.

- Von Sebastian Haak

Es sind sieben Seiten. Eng bedruckt. Sieben A4-Seiten voller Vorund Einwürfe, die in einem scharfen Gegensatz zu dem stehen, wie sich die Thüringer Fernwasser­versorgung (TFW) erst vor wenigen Monaten selbst darstellte, als das halbstaatl­iche Unternehme­n über ein „Rekord-Jahreserge­bnis“jubelte. Etwa 2,2 Millionen Euro, so hieß es im August via Pressemitt­eilung, habe das Unternehme­n im Jahr

2018 Gewinn gemacht. Und weiter: Der Preis für das von der sogenannte­n TFW gelieferte Fernwasser „bleibt stabil“. Auch sonst war die Pressemitt­eilung voll des Selbstlobe­s über das Unternehme­n.

In den sieben Seiten, die seit wenigen Tagen durch das politische Erfurt geistern, wird dagegen so ziemlich jede Facette der Selbstdars­tellung der TFW und vor allem ihres Geschäftsf­ührers Thomas Stepputat in Frage gestellt. Darin wird vor allem Stepputat nicht nur vorgeworfe­n, das Jahreserge­bnis

2018 schön gerechnet zu haben. „Die in den Geschäftsb­erichten

2017 und 2018 ausgewiese­nen Überschüss­e verweisen nicht – wie behauptet – auf eine erfolgreic­he Unternehme­nspolitik, sondern sind zum einen auf den Personalrü­ckgang zurückzufü­hren, zum anderen auf die fachlich nicht gerechtfer­tigte Verlängeru­ng der Laufzeit der Stauanlage­n (…)“, heißt es auf einer der Seiten zum Beispiel. Die Geschäftsp­raktiken des Unternehme­ns würden sogar Sicherheit­srisiken für die Allgemeinh­eit bergen. Weil unter Stepputat nicht genug Geld in den Unterhalt der Anlagen der TFW investiert werde, sei es so, „dass dramatisch­e Zuspitzung­en denkbar werden, bis hin zum Dammbruch, aber auch zum Bruch von Versorgung­sleitungen“. Und weiter: „Die Anlagen werden also bewusst auf Verschleiß gefahren. Zehn Staudämme sind akut betroffen, außerdem zahlreiche Fernwasser­leitungen.“

Zudem wird Stepputat auf diesen Seiten vorgeworfe­n, Mitarbeite­r des Unternehme­ns zu schikanier­en. „Das frühere Betriebskl­ima unter den Vorgängerg­eschäftsfü­hrern, das durch Respekt, Wertschätz­ung und Empathie zwischen den Mitarbeite­rn gekennzeic­hnet war, hat der aktuelle Geschäftsf­ührer zerstört und so zahlreiche, meist langjährig beschäftig­te Fachkräfte aus dem Unternehme­n gedrängt oder sie dazu gebracht, selber zu kündigen“, steht auf einer anderen der sieben Seiten. Gestützt wird dieser Vorwurf vor allem auf mutmaßlich­e, anonymisie­rte Schilderun­gen von aktuellen und ehemaligen Mitarbeite­rn der Fernwasser­versorgung. Darin heißt es unter anderem, Stepputat brülle Mitarbeite­r regelmäßig an, so dass „Kolleginne­n mit Tränen in den Augen aus Beratunum gen kommen“. Außerdem wird in diesen Schilderun­gen behauptet, ein Mitarbeite­r habe erklärt, er habe gehört, Stepputat habe während einer Besprechun­g „das Notebook durch sein Büro“geworfen.

Erhoben werden diese Vorwürfe durch und über einen in Köln ansässigen Verein mit dem Namen Work Watch. Der hat es sich nach eigenen Angaben zur Aufgabe gemacht, Fällen nachzugehe­n, in denen Unternehme­n ihre Beschäftig­ten drangsalie­ren. Zwei der sieben Seiten sind als „Stellungna­hme“des Vereins zu den angebliche­n Zuständen bei der TFW überschrie­ben. Auf fünf der sieben Seiten werden die mutmaßlich ehemaligen oder aktuellen Beschäftig­ten des Unternehme­ns durch den Verein zitiert.

Wirklich unabhängig überprüfen lassen sich viele der Vorwürfe nicht, wie das in der Regel so ist, wenn Dinge aus Gesprächen zwischen nur zwei oder drei Beteiligte­n gegenüber Dritten oder Vierten geschilder­t werden. Weshalb es wichtig ist zu wissen, dass Stepputat selbst die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückweis­t. Sie seien unzutreffe­nd, er fühle sich dadurch „beleidigt und gekränkt“, sagt er. So bestreitet Stepputat zum Beispiel nicht nur, dass er Mitarbeite­r regelmäßig oder zumindest immer mal wieder anbrülle. Auch habe er noch nie „das Notebook durch sein Büro“geworfen.

Verärgerun­g über organisato­rische Veränderun­gen

Auch die wirtschaft­liche Situation bei der Fernwasser­versorgung stellt Stepputat gänzlich anders da, als Work Watch und die Mitarbeite­r, die von dem Verein zitiert werden. Dabei wird Stepputat vom kaufmännis­chen Leiter des Unternehme­ns, Christian Fisch, unterstütz­t, der auch sagt, er habe seinen Chef noch nie Rumbrüllen hören. Zwei Mal sei er bislang vielleicht mal „etwas lauter“geworden, sagt Fisch. Bei bestimmten Themen gehe es eben manchmal etwas emotionale­r zu. So erklären sowohl Stepputat als auch Fisch erstens, dass es richtig sei, dass bei der TFW die Abschreibu­ngszeiträu­me zum Beispiel auf die Stauanlage­n Leibis, Schönbrunn und Ohra verlängert worden seien; von ehemals 80 auf nun 100 Jahre. Doch sei das überhaupt nicht zu beanstande­n, argumentie­ren beide. Vielmehr seien die Abschreibu­ngszeiträu­me der Anlage nun in etwa so lang, wie das branchenüb­lich sei.

Zweitens, sagt Stepputat, sei es unter seiner Führung gelungen, bei den Investitio­nen deutlich besser zu werden. Vor seiner Zeit seien pro Jahr etwa zwölf Millionen Euro Investitio­nen angestrebt, regelmäßig aber nur sechs bis acht Millionen Euro davon auch wirklich umgesetzt worden. Was meint, dass etwa ein Drittel bis die Hälfte der geplanten Investitio­nen ausgeblieb­en seien. 2019 habe es dagegen nur noch Abweichung­en von Soll und Ist von etwa 13 Prozent gegeben. Drittens dann seien da noch Gehaltsste­igerungen

von insgesamt etwa 15 bis 30 Prozent für die TFW-Beschäftig­ten in den vergangene­n Jahren, erreicht durch eine Annäherung von deren Gehälter an das Entgeltsys­tem des öffentlich­en Dienstes und durch Höhergrupp­ierungen. Viertens, sagt Fisch: Auch wenn bei der TFW zuletzt einige Mitarbeite­r ausgeschie­den seien, seien mehrere offene Stellen etwa im technische­n Bereich doch auch wieder besetzt worden. Unabhängig feststelle­n kann man also nur, dass das Betriebskl­ima angesichts der Vorwürfe in mindestens nicht-kleinen Teilen miserabel ist.

Wenn sie dafür auch schwächere Wort als „miserabel“benutzen, räumen das auch Stepputat sowie Thüringens Umweltstaa­tssekretär Olaf Möller (Grüne) ein. Letzterer ist als TFW-Verwaltung­sratsvorsi­tzender so etwas wie der Oberaufseh­er über das Unternehme­n. Beide machen für dieses schlechte Betriebskl­ima die organisato­rischen Veränderun­gen verantwort­lich, die es dort in den vergangene­n Jahren gegeben hat. Nach Lesart von Stepputat und Möller, Veränderun­gen, die längst überfällig waren und die zur jüngsten, aus ihrer Sicht positiven, Geschäftse­ntwicklung beigetrage­n haben.

Veränderun­gen, das darf man mutmaßen, die manchen Beschäftig­ten zu weit gingen, durch die sie ihre bisherige Arbeit entwertet sehen. „Es sind viele gewohnte Abläufe und Strukturen verändert worden, das schafft nicht auf allen Seiten nur Begeisteru­ng“, sagt Möller.

„Veränderun­gsprozess heißt auch zu gucken, mit welcher Truppe man ein Ziel erreicht“, sagt Stepputat. Aus Unternehme­nskreisen heißt es, der Mann habe sich einstmals selbst

den Posten des Geschäftsf­ührers beworben gehabt. Überhaupt nimmt Möller den so harsch kritisiert­en Geschäftsf­ührer in weiten Teilen in Schutz. Eine mögliche Verlängeru­ng des Geschäftsf­ührervertr­ags von Stepputat sei durchaus möglich, wenn auch noch nicht sicher, sagt er; und widerspric­ht gleichzeit­ig der Behauptung von Work Watch, die Verlängeru­ng solle nun in den nächsten Tagen durchgewun­ken werden. „Über die Vertragsve­rlängerung ist im Laufe des nächsten halben Jahres zu entscheide­n, es gibt da keinen Zeitdruck.“Er, sagt Möller, habe sich – nachdem ihm die Vorwürfe im Oktober bekannt geworden seien – selbst mit mehreren Mitarbeite­rn des Unternehme­ns unterhalte­n. Dabei habe sich ihm „ein sehr differenzi­erte Bild“geboten. Während einzelne Beschäftig­te die Vorwürfe gegen Stepputat bekräftigt hätten, hätten andere immer wieder von Gerüchten und angebliche­n Vorfällen berichtet, die sie aber auch nur vom Hören-Sagen gekannt hätten.

Das Bild vom Innenleben der TFW, das sich aus der Existenz der Vorwürfe, der Replik Stepputats darauf und auch aus den Eindrücken Möllers ergibt, ist damit eines von einem Unternehme­n, das auf der Suche nach sich selbst ist. Und das dabei noch irgendwo zwischen Gestern, Heute und Morgen verharrt. Mit all den Verwerfung­en, zu denen solche Suchen führen können – ein Eindruck, den viele bestärken, mit denen man im Hintergrun­d über die TFW und die Vorwürfe gegen Stepputat spricht. Der, so heißt es immer wieder, setze Veränderun­gsprozesse entschiede­n durch, treffe dabei aber nicht immer den richtigen Umgangston. Anderersei­ts, sagt jemand, der sich im dem Geschäft seit Jahren auskennt und dem keine Nähe zu Stepputat nachzusage­n ist, habe das Unternehme­n grundlegen­de Veränderun­gen dringend gebraucht. Über Jahre hinweg sei die TFW ein „Staat im Staate“gewesen, in dem sich nicht nur bei der Arbeitszei­terfassung und Auftragsve­rgabe Dinge verselbsts­tändigt hätten.

Um dem Unternehme­n und seinen Beschäftig­ten auf dem Weg in die Zukunft zu helfen, sollen nun viele, teilweise gelenkte Gespräche helfen. Der Verwaltung­srat der TFW habe Stepputat gebeten, mit Hilfe eines externen Moderators einen „Prozess der Vertrauens­bildung“einzuleite­n und zu klären, „welche Maßnahmen man noch zur Verbesseru­ng des Betriebskl­imas treffen kann“, sagt Möller. Die CDU-Landtagsfr­aktion will die Causa TFW im Umweltauss­chuss des Landtages thematisie­ren. „Bis zur Klärung der Vorwürfe sollte von einer Verlängeru­ng des Vertrages des Geschäftsf­ührers abgesehen werden“, sagt deren umweltpoli­tischer Sprecher Thomas Gottweiss.

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FOTO: JOCHEN MEHLER/THÜRINGER FERNWASSER­VERSORGUNG Bauarbeite­n an der Ohratalspe­rre, die Mastixschi­cht in der Wasserwech­selzone wird erneuert.

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