Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Milliarden für den Kohleausstieg
Die EU will den Revieren helfen, den Strukturwandel zu überstehen. Vorausgesetzt, das Geld wird nicht für Atomenergie verwendet
Die EU-Kommission will den Kohleregionen in Deutschland und den anderen EU-Staaten mit einer Milliarden-Förderung beim Ausstieg aus der Kohlewirtschaft helfen: Ein neuer Fonds für den „gerechten Übergang“bei der Energiewende (Just Transition Fund) soll mit Geldern aus der EU-Kasse und der Mitgliedstaaten in den nächsten sieben Jahren Investitionen in den Strukturwandel im Umfang von 30 bis 50 Milliarden Euro finanzieren. Das geht aus dem Entwurf einer Verordnung für den Fonds hervor, den die EU-Kommission am Dienstag beschließen will und der unserer Redaktion vorliegt.
In Deutschland könnten vor allem die Braunkohlereviere im Rheinland und in Ostdeutschland profitieren. Für einige EU-Staaten enthält der Plan aber eine unerwartete Botschaft: Die neuen Gelder sollen auf keinen Fall für den Umstieg auf Atomenergie genutzt werden. Der EU-Milliarden-Fonds für einen „gerechten Übergang“wird ausdrücklich für den Bau von Atomkraftwerken gesperrt, auch die Stilllegung von Atomreaktoren dürfe nicht mit diesen Geldern finanziert werden. Die EU-Kommission geht damit auf Gegenkurs vor allem zu osteuropäischen Mitgliedstaaten, die auf Geldspritzen für die klimafreundliche Atomenergie im Zuge des neuen europäischen Green Deal gedrängt hatten. In Deutschland hatten indes Umweltpolitiker die EU-Kommission gewarnt, der Atomenergie dürfe nicht über Umwege zu einem Comeback verholfen werden. Jetzt macht Brüssel klar, dass der Umstieg auf Atomenergie nicht den politischen Zielen entspräche. Laut Verordnung dürfen die Gelder weder in Atomkraftwerke noch in die Herstellung und Vermarktung fossiler Brennstoffe fließen, auch eine Verwendung in der Tabakbranche soll verboten werden.
Reviere in NRW, Sachsen und Brandenburg profitieren
Der Fonds soll sich von 2021 bis
2027 mit insgesamt 7,5 Milliarden EU aus dem EU-Budget speisen. Bis zu gut 20 Milliarden Euro zusätzlich sollen die Mitgliedstaaten aus den ihnen zustehenden Geldern der EU-Töpfe für Regionalförderung und aus dem EU-Sozialfonds einsetzen.
Darüber hinaus erwartet die EUKommission eigene Gelder der Mitgliedstaaten, sodass das Investitionsvolumen am Ende zwischen
30 und 50 Milliarden Euro liegen soll.
Der Verordnungsentwurf stellt auch in Aussicht, dass über die 7,5 Milliarden Euro hinaus noch weitere frische EU-Mittel in den Fonds fließen könnten. Die Förderung soll ausdrücklich allen EU-Mitgliedstaaten offen stehen, also nicht nur wie anfangs erwogen den Ländern mit starker Kohlewirtschaft, sondern zum Beispiel auch Regionen mit einer besonders viel Kohlendioxid emittierenden Industrie.
Im Mittelpunkt des geplanten Übergangsfonds stehen aber die Kohleregionen. In Deutschland dürften vor allem die Braunkohlereviere im westlichen NordrheinWestfalen, in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt mit ihren insgesamt zehn Tagebauen profitieren. Ob die Förderung hier allerdings einen Mehrwert auslöst, ist zweifelhaft: Der Bund hat den betroffenen Bundesländern im vergangenen Jahr bereits Fördermittel in Höhe von bis zu 40 Milliarden zugesagt, um den geplanten Kohleausstieg bis 2038 abzufedern. Schwerpunkte sind das Lausitzer Revier und das Rheinische Revier.
Die Hilfen sollen darüber hinaus auch strukturschwachen Standorten von Steinkohlekraftwerken – etwa in Unna, Hamm, Herne, Duisburg und Gelsenkirchen sowie dem ehemaligen Braunkohlerevier Helmstedt – zugutekommen. Bund und Länder dürften nun versuchen, einen Teil der geplanten Fördermittel aus den EU-Geldern zu finanzieren.
Auch Polen sieht die Entscheidung kritisch
Die EU-Kommission geht von 108 europäischen Kohleregionen mit 237.000 Beschäftigten aus, wie es in den Erläuterungen zur Verordnung heißt. Der Übergangsfonds ist Kern eines Investitionsplans, mit dem die Kommission von 2021 bis 2027 wie im Dezember angekündigt insgesamt 100 Milliarden Euro mobilisieren will. Dazu gehören auch Kreditgarantien aus dem EU-Budget im Rahmen eines Invest-EU-Programms und öffentliche Kredite, die die Europäische Investitionsbank zur Verfügung stellen soll. Ziel ist es, soziale und ökonomische Folgen beim Umstieg auf eine klimaneutrale Wirtschaft in Europa abzufedern, etwa durch Investitionen in Unternehmen, Forschung oder Ausbildung.
Die Investitionsprogramme sind ein entscheidender Hebel, um Bedenken stark kohleabhängiger Mitgliedstaaten zu dämpfen. Vor allem Polen, das seinen Strom überwiegend aus Kohle erzeugt, hatte Widerstand gegen die Klimapläne angemeldet.
Die EU will das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 erreicht haben, dies ist das zentrale Vorhaben von Kommissionspräsidentin Ursula von Leyen. Erste Reaktionen in Deutschland sind positiv. Die niedersächsische Europaministerin Birgit Honé sagte, es sei gut, dass die Kommission zusätzliche Haushaltsmittel bereitstelle und den Fonds nicht nur aus den schon bestehenden Töpfen finanzieren wolle. Andernfalls hätten bei den anderen EU-Fördermitteln massive Kürzungen gedroht, sagte Honé. Die Grünen im EU-Parlament kritisieren dagegen, die neu bereitgestellten Mittel aus der EU-Kasse seien zu gering.