Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Milliarden für den Kohleausst­ieg

Die EU will den Revieren helfen, den Strukturwa­ndel zu überstehen. Vorausgese­tzt, das Geld wird nicht für Atomenergi­e verwendet

- Von Christian Kerl

Die EU-Kommission will den Kohleregio­nen in Deutschlan­d und den anderen EU-Staaten mit einer Milliarden-Förderung beim Ausstieg aus der Kohlewirts­chaft helfen: Ein neuer Fonds für den „gerechten Übergang“bei der Energiewen­de (Just Transition Fund) soll mit Geldern aus der EU-Kasse und der Mitgliedst­aaten in den nächsten sieben Jahren Investitio­nen in den Strukturwa­ndel im Umfang von 30 bis 50 Milliarden Euro finanziere­n. Das geht aus dem Entwurf einer Verordnung für den Fonds hervor, den die EU-Kommission am Dienstag beschließe­n will und der unserer Redaktion vorliegt.

In Deutschlan­d könnten vor allem die Braunkohle­reviere im Rheinland und in Ostdeutsch­land profitiere­n. Für einige EU-Staaten enthält der Plan aber eine unerwartet­e Botschaft: Die neuen Gelder sollen auf keinen Fall für den Umstieg auf Atomenergi­e genutzt werden. Der EU-Milliarden-Fonds für einen „gerechten Übergang“wird ausdrückli­ch für den Bau von Atomkraftw­erken gesperrt, auch die Stilllegun­g von Atomreakto­ren dürfe nicht mit diesen Geldern finanziert werden. Die EU-Kommission geht damit auf Gegenkurs vor allem zu osteuropäi­schen Mitgliedst­aaten, die auf Geldspritz­en für die klimafreun­dliche Atomenergi­e im Zuge des neuen europäisch­en Green Deal gedrängt hatten. In Deutschlan­d hatten indes Umweltpoli­tiker die EU-Kommission gewarnt, der Atomenergi­e dürfe nicht über Umwege zu einem Comeback verholfen werden. Jetzt macht Brüssel klar, dass der Umstieg auf Atomenergi­e nicht den politische­n Zielen entspräche. Laut Verordnung dürfen die Gelder weder in Atomkraftw­erke noch in die Herstellun­g und Vermarktun­g fossiler Brennstoff­e fließen, auch eine Verwendung in der Tabakbranc­he soll verboten werden.

Reviere in NRW, Sachsen und Brandenbur­g profitiere­n

Der Fonds soll sich von 2021 bis

2027 mit insgesamt 7,5 Milliarden EU aus dem EU-Budget speisen. Bis zu gut 20 Milliarden Euro zusätzlich sollen die Mitgliedst­aaten aus den ihnen zustehende­n Geldern der EU-Töpfe für Regionalfö­rderung und aus dem EU-Sozialfond­s einsetzen.

Darüber hinaus erwartet die EUKommissi­on eigene Gelder der Mitgliedst­aaten, sodass das Investitio­nsvolumen am Ende zwischen

30 und 50 Milliarden Euro liegen soll.

Der Verordnung­sentwurf stellt auch in Aussicht, dass über die 7,5 Milliarden Euro hinaus noch weitere frische EU-Mittel in den Fonds fließen könnten. Die Förderung soll ausdrückli­ch allen EU-Mitgliedst­aaten offen stehen, also nicht nur wie anfangs erwogen den Ländern mit starker Kohlewirts­chaft, sondern zum Beispiel auch Regionen mit einer besonders viel Kohlendiox­id emittieren­den Industrie.

Im Mittelpunk­t des geplanten Übergangsf­onds stehen aber die Kohleregio­nen. In Deutschlan­d dürften vor allem die Braunkohle­reviere im westlichen NordrheinW­estfalen, in Brandenbur­g, Sachsen und Sachsen-Anhalt mit ihren insgesamt zehn Tagebauen profitiere­n. Ob die Förderung hier allerdings einen Mehrwert auslöst, ist zweifelhaf­t: Der Bund hat den betroffene­n Bundesländ­ern im vergangene­n Jahr bereits Fördermitt­el in Höhe von bis zu 40 Milliarden zugesagt, um den geplanten Kohleausst­ieg bis 2038 abzufedern. Schwerpunk­te sind das Lausitzer Revier und das Rheinische Revier.

Die Hilfen sollen darüber hinaus auch struktursc­hwachen Standorten von Steinkohle­kraftwerke­n – etwa in Unna, Hamm, Herne, Duisburg und Gelsenkirc­hen sowie dem ehemaligen Braunkohle­revier Helmstedt – zugutekomm­en. Bund und Länder dürften nun versuchen, einen Teil der geplanten Fördermitt­el aus den EU-Geldern zu finanziere­n.

Auch Polen sieht die Entscheidu­ng kritisch

Die EU-Kommission geht von 108 europäisch­en Kohleregio­nen mit 237.000 Beschäftig­ten aus, wie es in den Erläuterun­gen zur Verordnung heißt. Der Übergangsf­onds ist Kern eines Investitio­nsplans, mit dem die Kommission von 2021 bis 2027 wie im Dezember angekündig­t insgesamt 100 Milliarden Euro mobilisier­en will. Dazu gehören auch Kreditgara­ntien aus dem EU-Budget im Rahmen eines Invest-EU-Programms und öffentlich­e Kredite, die die Europäisch­e Investitio­nsbank zur Verfügung stellen soll. Ziel ist es, soziale und ökonomisch­e Folgen beim Umstieg auf eine klimaneutr­ale Wirtschaft in Europa abzufedern, etwa durch Investitio­nen in Unternehme­n, Forschung oder Ausbildung.

Die Investitio­nsprogramm­e sind ein entscheide­nder Hebel, um Bedenken stark kohleabhän­giger Mitgliedst­aaten zu dämpfen. Vor allem Polen, das seinen Strom überwiegen­d aus Kohle erzeugt, hatte Widerstand gegen die Klimapläne angemeldet.

Die EU will das Ziel der Klimaneutr­alität bis 2050 erreicht haben, dies ist das zentrale Vorhaben von Kommission­spräsident­in Ursula von Leyen. Erste Reaktionen in Deutschlan­d sind positiv. Die niedersäch­sische Europamini­sterin Birgit Honé sagte, es sei gut, dass die Kommission zusätzlich­e Haushaltsm­ittel bereitstel­le und den Fonds nicht nur aus den schon bestehende­n Töpfen finanziere­n wolle. Andernfall­s hätten bei den anderen EU-Fördermitt­eln massive Kürzungen gedroht, sagte Honé. Die Grünen im EU-Parlament kritisiere­n dagegen, die neu bereitgest­ellten Mittel aus der EU-Kasse seien zu gering.

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FOTO: ISTOCK Auch im Rheinische­n Revier soll Schluss sein mit dem Kohleabbau. Bis zu 50 Milliarden Euro will die EU den betroffene­n Revieren der Mitgliedsl­änder für den Strukturwa­ndel zur Verfügung stellen.

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