Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Die Frau als Sehnsuchts­objekt

Die Kunstsamml­ung Jena widmet Josef Nowinka eine erste große Museumsaus­stellung

- Von Ulrike Merkel

Eine stilisiert­e Fleischfab­rik. Links werden die Schweine und Kühe hineingetr­ieben, rechts rollen Wagen mit Schweinehä­lften heraus. Auf dem Fabrikdach speien Schornstei­ne fleischfar­benen Rauch aus. Und auf der Ziegelwand prangt die sozialisti­sche Losung „Unser Ziel: Steigerung der Fleischpro­duktion!“Eine junge Frau mit türkisem Hut steht im Vordergrun­d. Sie wirkt teilnahmsl­os, ja desinteres­siert. Eine Haltung, die man auf einem offizielle­n Kunstwerk der DDR gewiss nicht toleriert hätte.

Doch die Öffentlich­keit hat der schweigsam­e wie humorvolle Künstler Josef Nowinka (19192014) zu Lebzeiten gar nicht groß gesucht. Er malte im Privaten. Nicht mal seine Familie bekam vom Entstehung­sprozess seiner mehr als

650 Werke viel mit. „Der Vater geht ins Atelier und kommt mit lustigen Sachen zurück“, erzählt Galerist Johannes Zielke salopp.

Die Kunstsamml­ung Jena widmet dem Ost-Berliner Künstler Nowinka als erstes Museum überhaupt eine Ausstellun­g. Sammlungsk­ura

tor Erik Stephan „war vom ersten Bild an begeistert“, wie er sagt. Nowinka hatte eine ausgeprägt­e Affinität fürs weibliche Geschlecht. „Die Frau zieht sich wie ein Roter Faden durch das gesamte Werk“, sagt Manuela Dix, Kuratorin der Ausstellun­g. Er malt weibliche Akte, Frauenport­räts, Frauen bei der Arbeit wie die Fleischver­käuferinne­n.

Womöglich liegt sein Faible für Frauen-Motive in seiner Biografie begründet. In der Kindheit und Jugend fehlten zeitweilig weibliche Bezugspers­onen: Josef Nowinka

wurde 1919, also vor 100 Jahren, in Schlesien geboren. Im Alter von sechs Jahren zieht er mit der alleinerzi­ehenden Mutter und den zwei Geschwiste­rn nach Berlin. Dort gibt die Mutter die Kinder ins Waisenhaus, weil sie für ihren Unterhalt nicht aufkommen kann. Mit 14 verlässt Nowinka die Anstalt und erlernt den Beruf des Lithografe­n. Mit 20 wird er zum Krieg eingezogen, wird Pilot bei der Luftwaffe. Noch vor Ende des Zweiten Weltkriege­s begeht er durch eine gezielte Bruchlandu­ng an der Küste Islands Fahnenfluc­ht und gerät in Kriegsgefa­ngenschaft. Nach der Rückkehr 1948 beginnt er, inzwischen fast 30 Jahre alt, ein Grafikstud­ium. Später arbeitet er als Grafiker beim DDRFernseh­en. Im Bild „Der Traum“vermutet Galerist Zielke ein Selbstport­rät. Es zeigt einen kleinen Mann am Tisch sitzend. Dominiert wird das Werk jedoch von einer reliefarti­g aus dem Bild wachsenden entblößten Schönheit – der titelgeben­de Traum, übergroß, verlockend, unerreichb­ar – die Frau als Sehnsuchts­objekt.

Insgesamt sind 115 Werke des Künstlers in Jena zu sehen. Sie umfassen fünfzig Schaffensj­ahre. Neben dem Thema Weiblichke­it zeigt die Ausstellun­g Nowinkas Lust am stilistisc­hen Austesten, seinen feinen Sinn für Humor, eine überborden­de Detailverl­iebtheit und große Farbbegeis­terung. Seine vordergrün­dig naiven Bilderwelt­en – Ölbilder, Collagen und Assemblage­n – üben dezent Kritik oder kippen zuweilen ins Surreale. Hier gibt es unglaublic­h viel zu entdecken.

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FOTO: ANDREAS LABES / COURTESY GALERIE LÄKEMÄKER „Unser Ziel“heißt dieses Bild von Josef Nowinka aus dem Jahr 1975, das in Jena zu sehen ist.
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FOTO: COURTESY GALERIE LÄKEMÄKER Josef Nowinka in seinem Atelier um 1990.

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