Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Verschlafe­n wir die künstliche Intelligen­z?

Seit über einem Jahr gibt es die KI-Strategie die Bundesregi­erung – voran geht es allerdings kaum

- Von Tobias Kisling

Lange galt künstliche Intelligen­z (KI) als abstrakte Zukunftsvi­sion, die Träume und Ängste gleicherma­ßen bediente. Mittlerwei­le ist die KI im Alltag fest verankert. Im Netz beantworte­n immer mehr Chatbots Fragen, Sprachassi­stenten wie Apples Siri oder Amazons Alexa führen zuverlässi­g Befehle aus, Staubsauge­r navigieren selbststän­dig durch die Wohnung und bei der Deutschen Bahn erteilt am Berliner Hauptbahnh­of und am Frankfurte­r Flughafen die Roboterdam­e SEMMI Auskunft über die nächsten Reisemögli­chkeiten.

Auch die Bundesregi­erung ist bei KI aktiv, mit dem Ziel, „Deutschlan­d und Europa zu einem führenden KI-Standort zu machen.“So steht es in der im November 2018 verabschie­deten Strategie der Regierung. Doch von einer Führungsro­lle ist Deutschlan­d derzeit weit entfernt. Produkte mit KI, die für den Verbrauche­r nutzbar sind, kommen vor allem aus den USA. Große Tech-Unternehme­n wie Amazon, Google, Apple, Microsoft und IBM treiben die KI-Entwicklun­g voran. Auf der anderen Seite steht China, das den größten Kapitalmar­kt für KI-Start-ups hat und mittels künstliche­r Intelligen­z sein Überwachun­gs-Sozialkred­it-System optimiert.

„Im Bereich der Geschäftsb­eziehungen mit Privatpers­onen wird es für Deutschlan­d nicht mehr möglich sein, noch aufzuholen. Hier sind die USA und China absolut führend und weit voraus“, sagte Wolfgang Wahlster, Informatik­professor und von 1997 bis 2019 Direktor des Deutschen Forschungs­zentrums für Künstliche Intelligen­z (DFKI), unserer Redaktion. Doch abgehängt sei Deutschlan­d noch nicht. Im Gegenteil: „Wir haben den größten Datenschat­z an Maschinend­aten“, sagt Wahlster.

Denn in der Industrie fallen zahlreiche Daten an. Allein moderne Autos produziere­n laut einer McKinsey-Untersuchu­ng bis zu 25 Gigabyte Daten pro Stunde. Daten, die Informatio­nen zur Optimierun­g und Wartung von Systemen geben können. Und mit denen sich Geld verdienen ließe. „Das wird die einzige und letzte Chance für Deutschlan­d und

Europa sein, in einem Bereich der KI führend zu sein“, ist Wahlster überzeugt. Nur fehlt es an einer gesetzlich­en Regelung, wem die Daten gehören. Das muss sich ändern, fordert nun ein Zusammensc­hluss von Unternehme­n und Verbänden. Unter der Federführu­ng von Microsoft Deutschlan­d gründete sich Ende 2018 ein KI-Expertenra­t. Ihm gehören neben Unternehme­n wie den DAX-Konzernen Volkswagen, BASF und der Deutschen Telekom etwa der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvere­inigung der Deutschen

Arbeitgebe­rverbände (BDA) und der Deutsche Städte- und Gemeindebu­nd an.

KI-Strategie soll in diesem Jahr aktualisie­rt werden

„Die technische Komponente hinter der KI ist der Bereich, um den ich mir am wenigsten Sorgen mache“, sagte Sabine Bendiek, Vorsitzend­e der Geschäftsf­ührung von Microsoft Deutschlan­d, unserer Redaktion. „Wichtig ist, dass wir schnell eine Regulierun­g erreichen. Wir haben bei der Vielzahl an industriel­len Daten eine Chance und einen Vorsprung von zwei, maximal drei Jahren“, sagt Bendiek. Tatsächlic­h plant die Bundesregi­erung, ihre KI-Strategie noch in diesem Jahr fortzuschr­eiben. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der Grünen-Bundestags­fraktion hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Darin heißt es: Die Bundesregi­erung werde „die neuesten Entwicklun­gen und Bedarfe prüfen und die Strategie nach Diskussion­sstand und Erforderni­ssen weiterentw­ickeln.“Für Fragestell­erin und Bundestags­abgeordnet­e Anna Christmann ist das nur „ein kleiner Hoffnungss­chimmer“. Denn auch eine aktualisie­rte KIStrategi­e „wird wenig bringen, wenn sie ein Gemischtwa­renladen aus lauter Kleinstpro­jekten bleibt“, sagte die Grünen-Politikeri­n. Bisher gleicht die KIStrategi­e einem Flickentep­pich: Acht verschiede­ne Ministerie­n arbeiten derzeit an KI-Feldern. Dabei handelt es sich aber vor allem um Projekte mit geringer internatio­naler Strahlkraf­t. Das Wirtschaft­sministeri­um ist etwa mit 33 „KI-Trainern“unterwegs, die kleinen und mittelstän­dischen Unternehme­n das Thema näherbring­en sollen. Zudem ist es Schirmherr eines Online-Kurses für Unternehme­n. Das Umweltmini­sterium soll im ersten Quartal des aktuellen Jahres sogenannte Leuchtturm­projekte bewilligen, die „mittels KI einen Beitrag zur Lösung ökologisch­er Herausford­erungen leisten“, heißt es in dem Schreiben der Bundesregi­erung. Und das Arbeitsmin­iste

In diesem Brettspiel sieht die Regierung einen Beitrag zum Thema künstliche Intelligen­z.

rium erprobt mit einem Projekt, wie mit KI die Chancen von Menschen mit Behinderun­gen auf dem Arbeitsmar­kt verbessert werden können.

Zusammen laufen alle Projekte der Ministerie­n beim Bildungs- und Forschungs­ministeriu­m (BMBF) um Ministerin Anja Karliczek (CDU), das federführe­nd für die KIStrategi­e ist. Karliczek kündigte im vergangene­n Jahr an, 100 Professure­n im KI-Bereich schaffen zu wollen. Doch bisher wurde erst eine Professur verkündet: Zum 1. Januar trat der Neurowisse­nschaftler Peter Dayan seine Professur in Tübingen an. Bis 2024 sollen 30 der 100 Professure­n besetzt sein.

Auf die Frage von Grünen-Politikeri­n Christmann, wie die Bundesregi­erung Verständni­s für KI erzeugen und für Datenschut­z, Robotik und Daten sensibilis­ieren wolle, hat die Bundesregi­erung einen Erfolg zu vermelden. Man habe im vergangene­n Jahr das Lernspiel „Mensch, Maschine“herausgege­ben, das von über 2000 Bildungsei­nrichtunge­n bestellt worden sei. Es handelt sich dabei um ein analoges Brettspiel.

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FOTO: OCIACIA / SHUTTERSTO­CK / OCIACIA Roboter, Sprachassi­stenten und Chatbots nutzen künstliche Intelligen­z.
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