Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Auskunftss­perre soll Bürger schützen

Jeder kann beim Melderegis­ter Adressen in Erfahrung bringen, auch Extremiste­n. Warum Innenminis­ter Seehofer das Melderecht verschärfe­n will

- Von Miguel Sanches

Es ist einfach, die Adresse eines anderen herauszufi­nden. Jeder darf die Auskunft beim Meldeamt einholen, online wie schriftlic­h, meist gegen eine kleine Gebühr. In Berlin sind es (per Vorkasse) zehn Euro. Künftig sollen sich Bürger leichter dagegen wehren und eine Auskunftss­perre durchsetze­n können.

In der Koalition ist Justizmini­sterin Christine Lambrecht (SPD) die treibende Kraft der Reform. Sie sagte unserer Redaktion: „Es kann nicht sein, dass private Adressen von Kommunalpo­litikern und gesellscha­ftlich Engagierte­n im Netz kursieren.“Die Demokratie gerate in Gefahr, wenn sich Bürger aufgrund von Drohungen und Hetze aus Vereinen, Initiative­n oder der Politik zurückzöge­n. „Anfeindung­en und Einschücht­erungsvers­uche sind für viele Engagierte trauriger Alltag geworden. Das können wir nicht länger hinnehmen“, so Lambrecht.

Der Missbrauch ist nicht belegt, sondern nur vermutet

Nutznießer einer Reform wären nicht nur Kommunalpo­litiker, sondern vielfach auch Journalist­en, Aktivisten, Strafverte­idiger. Im November 2019 verständig­ten sich Bund und Länder auf einen einheitlic­hen Umgang mit Auskunftss­perren für Menschen in Einrichtun­gen zum Schutz vor häuslicher Gewalt, Menschenha­ndel oder Zwangsverh­eiratung. Für sie solle „von Amts wegen“eine Auskunftss­perre eingetrage­n werden.

Die Reform ist Teil eines Maßnahmenp­akets im Kampf gegen den Rechtsextr­emismus. Sie ist längst in Arbeit und soll noch im ersten Quartal vom Kabinett verabschie­det werden – ist allerdings ein Fall von Verdachtsg­esetzgebun­g. Denn das zuständige Bundesinne­nministeri­um erklärte auf Anfrage unserer Redaktion, ihm lägen „keine Erkenntnis­se vor, dass rechtsextr­eme Gruppierun­gen personenbe­zogene Daten über Melderegis­terauskünf­te bezogen haben“.

Die Linke-Abgeordnet­e Ulla Jelpke vermisst eine klare Linie: „Einerseits soll es keine Gefahr durch den Missbrauch von Melderegis­terauskünf­ten geben, aber gleichzeit­ig sollen Auskunftss­perren erleichter­t werden.“Bekannt ist, dass die rechtsextr­emistische Gruppe „Nordkreuz“Namen und Adressen von 25.000 Gegnern gesammelt hat. Mithin gibt es zumindest Verdachtsm­omente.

Jelpke befürchtet, dass Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) eine Einschränk­ung der Melderegis­terauskunf­t „schlicht aus wirtschaft­lichen Interessen nicht will. Auskunftei­en und Adresshänd­ler sollen weiter möglichst unbeschrän­kt auf die Melderegis­terdaten zugreifen können.“Prinzipiel­l kann eine Auskunft nicht verhindert werden, „da sich der Einzelne nach der Rechtsprec­hung nicht ohne triftigen Grund seiner Umwelt gänzlich entziehen kann, sondern erreichbar bleiben und es hinnehmen muss, dass andere – auch mit staatliche­r Hilfe – mit ihm Kontakt aufnehmen“, erläutert das Innenminis­terium. Viele Bürger nutzen das auch, zum Beispiel auf der Suche nach einer alten Jugendlieb­e oder einem Verwandten. Der Betroffene wird nicht informiert, dass eine Auskunft über ihn eingeholt wurde. Er muss die Meldebehör­de ausdrückli­ch darum bitten. Wer aber tut das? Wer kennt seine Rechte?

Jelpke meint, es entspreche einfach nicht einem modernen Verständni­s von Datenschut­z, dass eine Behörde praktisch jedem, der einen beliebigen Vorwand nennt, private Daten über Bürger preisgibt. „Da müssen ganz andere Sicherunge­n eingebaut werden.“Die geschätzt 5000 Melderegis­ter erfassen viele Informatio­nen, mehr als die meisten Bürger ahnen: Familienna­men, frühere (Vor-)Namen, Doktorgrad, Ordensname, Künstlerna­me, Tag und Ort der Geburt, Geschlecht, gesetzlich­er Vertreter, Staatsange­hörigkeit,

Religionsz­ugehörigke­it, gegenwärti­ge und frühere Anschrifte­n, Haupt- und Nebenwohnu­ng, Familienst­and, bei Verheirate­ten oder Lebenspart­nern auch Tag und Ort der Eheschließ­ung oder der Bildung der Lebenspart­nerschaft, die Namen von Ehegatten/Partnern, der minderjähr­igen Kinder, Seriennumm­er vom Personalau­sweis/Pass und Sterbetag.

Der Klassiker unter den Anfragen: Schulden eintreiben

Es gibt auch eine erweiterte Auskunft – dann rückt das Amt mehr Informatio­nen heraus. Auf sie hat nur Anspruch, wer ein „berechtigt­es Interesse“geltend machen kann. Der Klassiker: ein Schuldtite­l, also die Bestätigun­g, dass ein Schuldner bei einem Gläubiger Schulden hat und verpflicht­et ist, sie zu begleichen. Oft tauchen die Schuldner nämlich unter.

Bisher kann man eine Sperre nur bei Gefahr für Leben, Gesundheit, persönlich­e Freiheit „oder ähnliche schutzwürd­ige Interessen“beantragen. Es reicht nicht, allgemein zu behaupten, man fühle sich gefährdet. Hier setzt die Reform an: Die Schwelle soll gesenkt werden – wie stark, ist offen. Ministerin Lambrecht setzt die Messlatte hoch: „Künftig können gefährdete Personen leichter eine Auskunftss­perre eintragen lassen.“

Seda Basay-Yildiz wäre auch damit nicht geholfen gewesen. Der Fall der Frankfurte­r Rechtsanwä­ltin sorgte bundesweit für Schlagzeil­en, weil sie Drohschrei­ben bekam. Ihre Adresse stammte offenbar aus einer Polizeidat­enbank.

„Es kann nicht sein, dass private Adressen von Kommunalpo­litikern und gesellscha­ftlich Engagierte­n im Netz kursieren.“Christine Lambrecht (SPD) Bundesjust­izminister­in

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FOTO: IMAGO STOCK Statt auf der Suche nach Personen mühsam Klingelsch­ilder zu studieren, können auch Anfragen beim Melderegis­ter gestellt werden.
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FOTO:DPA/PA

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