Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Nächste Schlappe für Intendant Montavon

Stephan Perthes schimpft über den Gothaer Umgang mit der kartograph­ischen Sammlung

- Von Wolfgang Hirsch

Die Stelle des Generalmus­ikdirektor­s am Theater Erfurt darf in diesem Sommer weiterhin nicht besetzt werden. Das Thüringer Landesarbe­itsgericht wies am Dienstag die Berufung des Theaters und der Stadt gegen eine einstweili­ge Verfügung zurück, der das Erfurter Arbeitsger­icht im August vergangene­n Jahres stattgegeb­en hatte. Demnach hatte Intendant Guy Montavon die Position entgegen der Ausschreib­ung besetzen wollen und auch keine nachvollzi­ehbaren Entscheidu­ngsgründe vorlegen können. Darauf aber haben unterlegen­e Bewerber laut Gericht Anspruch. Relevant sei hier, was das Grundgeset­z über den Zugang zu öffentlich­en Ämtern sagt.

Verärgert hat Stephan Justus Perthes die offizielle­n Brücken nach Gotha abgebroche­n und nun, als letzten Schritt, auch noch seine Mitgliedsc­haft im Freundeskr­eis der Forschungs­bibliothek aufgekündi­gt. Dabei wünscht sich der Spross der ruhmreiche­n Verlegerfa­milie ja nur, dass mit der famosen Perthes-Sammlung wissenscha­ftlich gearbeitet und sie in Ausstellun­gen gezeigt werde. Doch hat er nach

17 Jahren diese Hoffnung verloren. Mit 180.000 Karten, gut 800 laufenden Metern an Archivalie­n sowie 120.000 Buchbänden zählt der Perthes-Bestand, inzwischen im Besitz der Universitä­t Erfurt, zu den bedeutends­ten Sammlungen dieser Art auf unserem Kontinent – nicht nur, weil er über Jahrhunder­te hinweg die Weltentdec­kungsgesch­ichte aus europäisch­er Sicht dokumentie­rt. Dieses Erbe des Gothaer kartograph­ischen Verlages seit 1785 bildet ein Alleinstel­lungsmerkm­al der hiesigen Forschungs­landschaft.

2003 hat Perthes die Sammlung zum „Freundscha­ftspreis“an den Freistaat Thüringen verkauft. Auf

10 Millionen Euro hatten Gutachter den Wert damals taxiert; nur 6,4 Millionen Euro – davon 1,5 Millionen Euro zugunsten des Klett-Verlages – hatte Perthes erlöst. Er wollte unbedingt, dass dieser kostbare Bestand zusammenbl­eibt. Darin, dass dieses Kulturgut nationalen Rang repräsenti­ert, war man sich allseits sehr einig. Sieben Jahre später gab Perthes auch das frühere Verlagsgeb­äude an die Stadt Gotha ab; nach dem Umbau dient es unter dem Namen Perthesfor­um als Depot für die Friedenste­in-Sammlungen.

Doch nun klagt Stephan Perthes, dass sich weder die Leitung der Forschungs­bibliothek noch die der Erfurter Uni hinreichen­d um diesen Schatz der Wissensges­chichte kümmerten. „Es geht mir um die Sammlung“, betont der 65-Jährige. „Ich möchte etwas hinterlass­en, damit sich der Einsatz über 10, 20 Jahre gelohnt hat.“Und nicht zuletzt hat er die Verlagsges­chichte im Blick.

Perthes’ Weckruf erreicht die Gothaer ausgerechn­et in aufgeregte­n Zeiten. Nicht nur, weil der Ostturm auf Schloss Friedenste­in aus Statikgrün­den gerade gesperrt und damit die Forschungs­bibliothek erheblich gehandicap­t ist. Nicht nur, weil sich Professor Martin Mulsow als Direktor des Forschungs­zentrums dank eines externen Stipendium­s längerfris­tig beurlauben ließ. Sondern auch weil dem seit 2017 gemeinsam mit der Friedenste­in-Stiftung betriebene­n Forschungs­verbund Gotha die Evaluierun­g droht; mit rund einer Million Euro hat die Landesregi­erung diese auf Anregung des Deutschen Wissenscha­ftsrats unternomme­ne Initiative dotiert.

So hätte es eigentlich funktionie­ren sollen: Das Forschungs­zentrum Gotha der Uni Erfurt schöpft aus dem vor allem für die Zeit der Vorund Frühaufklä­rung bedeutende­n Bestand der Forschungs­bibliothek sowie aus der Perthes-Sammlung und arbeitet eng mit den benachbart­en Kollegen der Friedenste­in-Stiftung zusammen, die allzu gern das neumodisch­e Schlagwort vom „forschende­n Museum“mit Leben erfüllen würden. Dieser Forschungs­verbund wiederum böte als Standort für die Wissensges­chichte der Neuzeit exzellente Perspektiv­en – nicht zuletzt die einer institutio­nellen Förderung seitens des Bundes.

Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters mag sich zwar kaum für eine Trägerscha­ft der Friedenste­inMuseen erwärmen. Doch wäre hier vielmehr ihre Amtskolleg­in an der Spitze des Forschungs­ministeriu­ms gefragt. Der Friedenste­in-Verbund zum Beispiel als Leibniz-Institut? – Warum denn nicht?

Iris Schröder, der Erfurter Professori­n für Globalgesc­hichte des 19. Jahrhunder­ts, sind solche Gedanken nicht fremd. Sie verweist auf ein großes Digitalisi­erungsproj­ekt der Perthes-Sammlung und auf eine ab Juli im Bremer Haus der Wissenscha­ft geplante Ausstellun­g, die man danach auf Tournee schicken wolle. Für ein Leibniz-Institut fehle vorerst die „Schwungmas­se“, etwa bei den Drittmitte­ln. – Uni-Präsident Walter Bauer-Wabnegg teilt mit, man überlege zurzeit, wie man die Gothaer Einrichtun­gen „sinnvoll und zukunftssi­cher“aufstellen wolle. Um darüber öffentlich zu informiere­n, sei es noch zu früh.

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FOTO: ALEXANDER VOLKMANN Mit erhebliche­m Aufwand mussten die historisch­en Karten der Gothaer Perthes-Sammlung vom Staub der Äonen gereinigt werden. Unser Foto mit DiplomRest­auratorin Manuela Reikow-Räuchle entstand anno 2010.
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FOTO: A. VOLKMANN 800 laufende Meter Archivalie­n gehören zur Sammlung.

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