Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
„Carlotta oder Die Lösung aller Probleme“von Klaus Jäger
Stadler hatte sich einen Block mit unliniertem Papier gekauft. Das war gar nicht so einfach. Es gab einen kleinen Laden mit allerlei Bürobedarf unten im Ort, ganz in der Nähe des Hafens, aber die Auswahl war nicht groß. Er hatte es sich schon vor Jahren angewöhnt, auf einfachem weißen Papier zu schreiben. Waren Linien darauf, dann bekam er nicht all das unter, was er notieren wollte. Außerdem schrieb er dann stets zu groß. Hatte das Papier kleine Kästchen, dann schrieb er zu klein. Kästchen-Papier nutzte er nur für Tabellen, die er, auch dafür hatte die Computerisierung des Lebens gesorgt, kaum noch anfertigte. Die Gewohnheit mit dem unlinierten Papier hatte sich eigentlich nur aus Bequemlichkeit so ergeben. Wollte er im Büro etwas handschriftlich festhalten, was nicht in den chronologischen Ablauf seiner Arbeitskladden gehörte, dann nahm er sich einfach etwas Papier aus dem Vorratsfach des Druckers. Für das, was er vorhatte, würde er einiges an Blättern benötigen. Doch einen ganzen Packen Kopierpapier, wie ihm die Verkäuferin empfohlen hatte, wollte er dann doch nicht nehmen. Schließlich, er musste das Zeug wieder mit sich herumschleppen, wenn er … ja, wohin, wenn er nach Hause fuhr? Wenn er nach München fuhr? Sein Zuhause in den letzten Jahren war Rom gewesen.
Laurenz Stadler machte sich Notizen zu seinem Leben. Noch ungeordnet, aber es unterschied sich schon beträchtlich von einer Biografie, von einem bloßen Auflisten seiner Lebensdaten. Noch prüfte er, ob er überhaupt eine „Erzählstimme“für so ein Unterfangen finden würde. Das war schon wesentlich schwieriger als das Kaufen eines Blockes mit unliniertem Papier.
Heute hatte er den ganzen Vormittag über seinen Notizen gebrütet, und nun, nach dem Mittagsschläfchen, freute er sich auf seinen Corretto und einen Spaziergang danach.
Carlotta empfing ihn fröhlich. Sie schien überhaupt ein rechtes Sonnenscheinchen zu sein und nicht nur selbst immer gute Laune zu haben, sondern sie auch noch freigebig zu verströmen und ihre Umwelt damit anzustecken.
„Na“, fragte sie, als sie die Espresso-Maschine in Gang setzte, um ihm sein Getränk zuzubereiten,
„hast du heute wieder geschrieben?“
„Mhh.“Stadler nickte zufrieden und noch etwas schläfrig.
„Ich möchte zu gerne wissen, woran du schreibst. Eine Reportage über die Insel wird es ja wohl nicht sein, da müsstest du viel neugieriger fragen.“
„So neugierig wie du?“, fragte er und lächelte nachsichtig.
Sie lachte. „Zum Beispiel.“Eine Weile hantierte sie schweigend an dem Gerät und entkorkte eine neue Grappaflasche, um dem heißen Schluck Kaffee einen Schuss Alkohol beizugeben.
„Ich habe einen großen Wunsch“, druckste sie schließlich einwenig herum.
„Ach ja? Habe ich dir nicht heute Morgen erst einen Wunscherfüllt?“Stadler hob in gespieltem Erstaunen die Brauen.
„Ja, aber ich traue mich nicht, dich zu bitten.“
„Trau dich … du weißt, dass ich dich mag, da werde ich dir doch keinen Wunsch abschlagen können.“
„Ich würde gerne mal mit dir spazieren gehen.“
Laurenz schluckte. Das war wirklich tollkühn.
„Mit mir? Da wäre dir nur langweilig.“
„Bestimmt nicht. Ich habe dich mal in der Stadt gesehen, wie du spazieren gegangen bist. Ganz zufällig. Es war sehr interessant, und ich habe mir vorgestellt, was du dabei denkst. Wenn du stehen bleibst und dir ein Haus ansiehst. Oder wenn du an einem Strauch riechst. Du läufst so langsam, aber scheinst pausenlos beschäftigt zu sein.“
Stadler war verblüfft. Sie beobachtete ihn also. Und sie machte sich Gedanken darüber, was er mit diesem Flanieren bezweckte. Langsam laufen und dennoch pausenlos beschäftigt sein. So hatte er es noch gar nicht gesehen. Dabei, er nutzte die Spaziergänge eigentlich nur, um seine Gedanken zu ordnen, ein wenig Zwiesprache mit sich selbst zu halten und, ja, das auch, um etwas über den Weg zu erfahren, den er da gerade nahm. Der Weg, der beim Spazierengehen so oft das einzige Ziel ist. Inzwischen dachte er bei seinen Erkundungen sogar ab und zu an Carlotta, suchte zu ergründen, was sie von ihm wollte, was er von ihr wollte. Und bei so einem Spaziergang sollte er sich nun von Carlotta begleiten lassen? Er zögerte.
„Weißt du, Carlotta …“, begann er, verlor aber den Faden.
„Ja?“Sie schaute ihm erwartungsvoll in die Augen.
„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, setzte er behutsam neu an. „Wenn ich einen Spaziergang mache, dann bin ich vielleicht nicht so ein guter Gesellschafter. Dann will ich so ein bisschen mit mir selbst Zwiesprache halten, verstehst du?“
Der Glanz in ihren Augen erlosch. „Schon gut, ich verstehe“, sagte sie, drehte sich abrupt um und ging in Richtung Küche.
Fortsetzung folgt