Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Sieben Tage lang Wunder entdecken

- Von Anette Elsner

Die Bilder sind toll: Wenn Kinder das sagen, kann die Illustrato­rin stolz sein. Im Fall von „Nemi und der Hehmann“ist das Hanna Jung. Kaum eine Seite dieses Buches hat sie ausschließ­lich dem Text überlassen. Aber viele Seiten gehören komplett dem Bild; jedes neue Kapitel beginnt mit einer bunten Doppelseit­e, als sei es ein eigenes Buch, das ein separates Titelbild bekommt.

Das kann den Hehmann zeigen, den Wächter des Waldes, wie er sich in seiner kleinsten Gestalt durchs „Unterholz“kämpft: durch Gras, Klee und unter Pilzen hindurch. Dann ist alles dunkelgrün, dunkelblau und unheimlich gemalt, denn der Hehmann kann wachsen und schrumpfen. Und wenn er schrumpft und schrumpft, dann geht es ihm gar nicht gut.

Quer über die Kapitelauf­schlagseit­e kann auch ein Ast ragen mit all dem Gewimmel, das von unten nicht zu sehen ist. Eine Schnecke kriecht daran entlang, Moosnester klammern sich an die Rinde, eine Vogelfeder hat sich verfangen, Blätter ringeln sich drumherum.

Aber Birkenstäm­me können auch Borten am Seitenrand bilden, Käfer krabbeln unter dem Text, naturgetre­u dargestell­te Schmetterl­inge umflattern ein Gedicht, das von ihnen erzählt.

Hanna Jung spiegelt den melancholi­schen Grundton wider, den Autor Wieland Freund seiner Geschichte um den Hehmann gibt. „Heh!“– der Ruf ist sein Erkennungs­zeichen, aber in der heutigen Welt hört ihn niemand mehr. Busse, Flugzeuge, Motorsägen – alles ist zu laut. Nur Nemi folgt seinen Rufen in den Wald. Sieben Tage lang entdeckt das Mädchen mit Hehmanns Hilfe die Wunder des Waldes, seien es Pflanzen oder Tiere. Aber er zeigt ihr auch die Wunden des Waldes: Zweige und Äste, die geschredde­rt werden, wenn der Baum gefällt ist, und die doch so wichtig sind, um neuen Untergrund zu bilden. Krabbeltie­re und Vögel, die vergessen werden, wenn niemand mehr Lieder über sie singt.

„Nemi und der Hehmann“ist ein leises Buch, das einfühlsam und eindringli­ch dazu anregt, die Schönheit der Natur zu entdecken und sich dafür einzusetze­n, dass sie nicht vergeht. Über die Bilder und gemeinsame­s Betrachten lassen sich Kinder in den Bann der Geschichte ziehen – und vielleicht auch in den Bann des realen Waldes, in dem es so viel zu entdecken gibt. Und vielleicht hören sie dann auch den Hehmann rufen.

Wieland Freund/Hanna Jung: Nemi und der Hehmann. Beltz-Verlag, 152 Seiten, 14,95 Euro, für Kinder ab 8 Jahren

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