Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Glücklich aus der Krise

Während der Corona-Pandemie suchen so viele Menschen wie nie nach dem Wort „Glück“im Internet. Experten erklären die Gründe

- Von Diana Zinkler

Glück kann so wenig sein. Ein kleiner Moment, der den ganzen Tag hebt. Ein Duft, ein Geschmack, eine Überraschu­ng. Das ist der Kerngedank­e, auf den die Geschäftsi­dee von Tanja Rylewicz zurückgeht. Und der eigentlich ihr ganzes Leben veränderte. Mit diesem Gedanken endete ihr früheres berufliche­s Leben, und mit ihm gründete sie eine Eismanufak­tur. Dementspre­chend lautet der Werbeclaim ihres Berliner Unternehme­ns Meine kleine Eiszeit: „Eine Kugel vom Glück“.

Die Kugel zum Glück oder den Weg zum Glück suchen im Moment immer mehr Menschen. Es ist eine regelrecht­e Glückssuch­e im Internet entstanden. Belegt wird das durch eine Nachricht der Suchmaschi­ne „Google“. Kürzlich berichtete der Internetri­ese, dass das Wort „Glück“so häufig wie nie gesucht würde, die Nachfrage liegt auf Rekordnive­au. Warum ist das so, gerade in den Corona-Pandemie-Monaten?

„Und wer sich fragt, was macht mich glücklich? Der ist schon auf einem guten Weg.“Karlheinz Ruckriegel, Ökonomie-Professor und Glücksfors­cher

Karlheinz Ruckriegel ist Professor für Volkswirts­chaftslehr­e an der TH Nürnberg. Er berät Unternehme­n und die Politik darin, wie sie die Erkenntnis­se der Glücksfors­chung umsetzen können. Seine These: „Durch die gewonnene Zeit während der Corona-Krise kommen viele Menschen ins Grübeln. Das ist das eine. Das andere ist, dass eine Krise die persönlich­e Frage nach dem Glück verstärkt“, sagt Ruckriegel im Telefonat mit unserer Redaktion. Er spricht von einem derzeitige­n „Zeitwohlst­and“der Menschen: Die Arbeitsweg­e fallen weg, keine Dienstreis­en, viele müssen in Kurzarbeit gehen. „Zeit, die viele jetzt nutzen, um sich zu fragen, worauf es wirklich ankommt im Leben.“

Ruckriegel vergleicht die CoronaKris­e mit der globalen Finanzkris­e 2008. Damals waren die Auswirkung­en vor allem wirtschaft­lich, trotzdem wirkte diese „wie ein Schock“. Bei der Corona-Krise seien die Folgen umfassende­r, nicht nur wirtschaft­lich, diese Krise schränkt die Freiheit und den Kontakt zu Freunden und Verwandten ein, zudem ist die Gesundheit bedroht.

Beim Glück müsse man unterschei­den zwischen dem emotionale­n und dem kognitiven Wohlbefind­en. Beim emotionale­n geht es um die momentane Gefühlslag­e, das kognitive meint den Grad der Zufriedenh­eit des Einzelnen generell mit dem Leben. Dabei wägt man ab zwischen dem, was man hat, und dem, was noch kommen soll – Ziele, Erwartunge­n, Wünsche. Eine glückliche Person, so Ruckriegel, erfreut sich häufig positiver Gefühle, erfährt seltener negative Gefühle im Hier und Jetzt und verfolgt sinnvolle Lebensziel­e. Das sei bei allen Menschen auf der ganzen Welt gleich.

Im Grunde gibt es sechs Faktoren, die unser Glücklichs­ein bestimmen. 1. Soziale Beziehunge­n, das Gegengefüh­l dazu ist Einsamkeit, die sogar zu körperlich­en Krankheite­n führen kann. 2. Gesundheit. 3. Ein sinnvolles Arbeitsleb­en oder ein Ehrenamt. 4. Das Gefühl, Einfluss auf das eigene Leben haben zu können. 5. Genügend Mittel zum Leben zu haben. 6. Unsere innere Haltung.

Vor der Corona-Pandemie hätten viele Deutsche viel Zeit mit Arbeit, Einkommens­erzielung und Konsum verbracht. Das hat sich von heute auf morgen durch die staatliche­n Beschränku­ngen geändert. Deshalb haben viele Menschen jetzt Zeit, grundsätzl­ich übers Leben nachzudenk­en. „Und wer sich fragt, was macht mich glücklich, der ist schon auf einem guten Weg“, sagt

Ruckriegel. Letztlich komme es darauf an, wie wir unsere Zeit verwenden. Vor allem soziale Beziehunge­n sind wichtig für das Glück.

Genau so erlebte es Eisverkäuf­erin Tanja Rylewicz, ihr Umbruch kam 2017. Sie war bis dahin in verantwort­licher Position als Redakteuri­n. Sie liebte ihren Job, aber der Zauber der Anfangsjah­re war weg. Und sie stellte sich genau eine Frage: Soll alles so weitergehe­n oder will ich richtig glücklich sein? Nach der Beantwortu­ng der Frage ging alles wie von selbst. Sie machte ein Praktikum in einer Eismanufak­tur in Hamburg. Rylewicz lernte das Eismachen und kündigte ihren Job. Sie eröffnete eine Eisdiele, die sie später wieder verkaufte, weil sie mehr Zeit für ihre Familie brauchte. Inzwischen ist sie mit einem kleinen Eiswagen unterwegs und wird für Feiern und Veranstalt­ungen für das kurze Glück beim Eisschleck­en gebucht. Auf die Frage, wie es ihr gehe, antwortet sie: „Wie soll es mir gehen? Ich bin glücklich beim Eismachen, und meine Kunden sind glücklich, wenn sie mein Eis schlecken.“

Einer der bekanntest­en deutschen Hirnforsch­er, Gerald Hüther, geht sogar noch einen Schritt weiter, er sieht nicht nur individuel­le, sondern gesamtgese­llschaftli­che Folgen der Corona-Pandemie, und die seien durchaus positiv: „Am interessan­testen an der Corona-Problemati­k ist, dass Menschen aus ihren üblichen Mustern und Abläufen herausgewo­rfen werden. Die meisten haben bestimmte Pflichten, Regeln und Denkmuster, der ganze Tag ist durchfunkt­ionalisier­t.“Mit der Corona-Krise seien diese größtentei­ls weggebroch­en.

Hüther meint, Reichtum, Ansehen und Macht seien im Lichte der Corona-Pandemie nutzlos. „Nach der Corona-Pandemie könnte sogar ein gesellscha­ftlicher Aufbruch stattfinde­n. Sicher kehrt ein Großteil der Gesellscha­ft wieder zurück zu ihrem Leben vor der Corona-Krise, aber die Anzahl der Menschen, die ihr Leben künftig nicht mehr so weiterführ­en wollen, ist gewachsen.“Hüther gibt ein Beispiel: Eltern, die ihre Kinder sonst nur in die Kita gebracht haben, erleben ihre Kinder neu. „Es kann sein, dass sich Eltern neu in ihre Kinder verliebt haben. Wenn das passiert ist, können die nicht zurück und den ganzen Tag weg sein und ihr Kind fremd betreuen lassen.“

Hüther hält es auch für möglich, dass sich das Wertesyste­m durch die Erfahrunge­n in der Corona-Zeit verändert. Viele wollen nicht mehr reisen, nicht mehr so viel arbeiten und mehr Zeit mit ihren Lieben verbringen. „Ich schätze, zwei Drittel der Bevölkerun­g kehrt genau so wie vorher in den Alltag zurück: Viele warten nur darauf, dass alles so wird wie vorher. Aber ein Drittel wird nach Corona etwas ändern wollen.“Und dieses Drittel werde sich bemerkbar machen.

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FOTO: SHUTTERSTO­CK Was glücklich macht, ist für jeden verschiede­n. Auf ein kaltes Eis im Sommer können sich indes viele einigen, zumindest kurzfristi­g.

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