Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Schwarze Fäuste und Gefängnis für Turnvater Jahn

- Dirk Pille über das schwierige Verhältnis von Sport und Politik

Mexiko 1968. Tommie Smith und John Carlos recken ihre Faust in schwarze Handschuhe gehüllt in die Höhe. Es ist das berühmtest­e Bild von politische­m Protest im Sport. John Dominis fotografie­rte es bei der olympische­n Siegerhymn­e nach dem 200Meter-Lauf. Goldmedail­len-Gewinner Smith, der Dritte Carlos und auch der Zweite, Peter Norman aus Australien, revoltiert­en an diesem Tag gegen den Rassismus in ihren Ländern. Norman war es, der vorschlug, dass die beiden Afroamerik­aner für den Protest ihre schwarzen Handschuhe teilten, nachdem Carlos sein Paar vergessen hatte.

Damals wurden die Sportler ausgebuht. IOC-Präsident Avery Brundage, der 1936 in Berlin noch den Hitlergruß gezeigt hatte, warf Smith und Carlos aus dem olympische­n Dorf. Ihr Verhalten sei eine „üble Demonstrat­ion gegen die amerikanis­che Flagge durch Neger“gewesen, sagte der weiße USAmerikan­er. Smith und Carlos wurden später leidlich erfolglose Football-Profis, Norman verweigert­e sein australisc­her Verband die Nominierun­g für die Spiele 1972 in München, obwohl er die geforderte­n Zeiten gelaufen war.

52 Jahre nach den stolzen schwarzen Fäusten auf dem Siegerpode­st plagt sich die Welt und besonders die USA noch immer mit Rassismus und seinen grausamen Folgen. Und immer noch müssen Farbige ihren Protest in den Arenen des Sports zeigen. Wie am vergangene­n Wochenende in der Bundesliga. Der Umgang mit politische­n Protesten auf Sportplätz­en bleibt schwierig. Deshalb ist er verboten – bei Olympia, bei Weltmeiste­rschaften, in der Champions League. Diese Regel ist prinzipiel­l richtig. Denn sie verbietet so auch Bekundunge­n der „unangenehm­en“Art. Wer möchte schon außerhalb der Türkei militärisc­h salutieren­de Fußballman­nschaften sehen oder den italienisc­hen ExKicker und Faschisten Paolo di Canio

von Lazio Rom beim Mussolini-Gruß vor Fans im Jahre 2005.

Nicht verbieten können und sollten die Verbände aber den Kampf um Menschenre­chte, wie in diesen Tagen. Deshalb ist es ein gutes Zeichen für den Fortschrit­t im Sport, wenn die Fifa oder Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunds die Verbände aufrufen, „Augenmaß und gesunden Menschenve­rstand“bei der Bewertung der Aktionen von Fußballern wie Thuram, Sancho oder McKenny walten zu lassen. Die Proteste und Bekundunge­n nach dem Tod des Afroamerik­aners George Floyd in den USA dürfen keine Strafen nach sich ziehen.

Hörmann geht noch weiter: „Es ist hoch erfreulich, wenn Sportlerin­nen und Sportler ihrer Vorbildrol­le, die immer wieder eingeforde­rt wird, gerecht werden und in einer solch völlig inakzeptab­len Entwicklun­g ihre Stimme erheben. Deshalb kann ich nur ermutigen: Sagt das, was ihr denkt. Zeigt das, was ihr empfindet."

Das klang vor den Olympische­n Spielen in China 2008 noch ein wenig anders, als kleine Armbändche­n für Tibet für Aufregung sorgten. Doch Sport war schon immer ein Mittel der Politik, aber auch ein Vorreiter. Wie Turnvater Jahn. Der Rebell gegen die Obrigkeit wurde 1819 für fünf Jahre in den Kerker geworfen, durfte nicht einmal zur Beerdigung seiner Frau nach draußen. Das Turnen wurde in Preußen und anderswo lange verboten. Doch die Nationalbe­wegung und auch der Sport konnten so nicht aufgehalte­n werden.

Auch in Argentinie­n gibt es keine Militärdik­tatur mehr. Während das DFB-Team 1978 den Kriegsverb­recher Oberst Rudel empfing und Berti Vogts „in einem Land, in dem Ordnung herrscht“, nicht einen einzigen politische­n Gefangenen gesehen hatte, verweigert­e Weltmeiste­r-Trainer Cesar Luis Menotti dem Diktator Videla nach dem Titelgewin­n den Handschlag.

Für ihre Überzeugun­gen opfern Sportler schon mal ihre Karrieren. Wie Colin Kaepernick. Der ehemalige Football-Spieler der San Fransisco 49er protestier­te 2016 als erster mit einem Kniefall während der US-Hymne gegen Polizeibru­talität in den USA. Wie ein Aussätzige­r behandelte­n ihn danach Präsident Trump und Teile der Liga. Doch gerechter Zorn lässt sich nicht unterdrück­en. Die Zeiten haben sich geändert. Ein wenig.

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