Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Schneller als die Polizei erlaubt

Elektrofah­rräder werden immer beliebter. Weil sie so langsam sind, frisieren viele Käufer ihre Bikes. Das ist illegal und gefährlich: Es gibt immer mehr Tote

- Von Jonas Erlenkämpe­r

Auf den ersten Blick wirken die kleinen Teile wie Schnäppche­n. Im Internet finden sich zahlreiche Portale, über die Händler Aufsteckge­räte für den Geschwindi­gkeitssens­or vertreiben. Die gibt es schon ab 89 Euro und machen aus einem gemächlich dahinrolle­nden Elektrofah­rrad nach wenigen Handgriffe­n einen zweirädrig­en Flitzer. Doch das Risiko ist groß.

Früher frisierte man Mofas, heute Elektroräd­er. „Die getunten Pedelecs sind illegal und gar nicht dafür ausgelegt, dass man ohne Weiteres 50 Stundenkil­ometer und mehr damit fahren kann“, mahnt Siegfried Neuberger, Geschäftsf­ührer des Zweirad-Industrie-Verbandes (ZIV). Denn normalerwe­ise haben E-Bikes eine eingebaute Geschwindi­gkeitsbegr­enzung von 25 Stundenkil­ometern – danach wird der Motor gedrosselt. Mit einem der aufsteckba­ren, streichhol­zschachtel­großen Tuning-Bauteile aus dem Netz fährt so ein verstromte­s Fahrrad locker doppelt und dreimal so schnell. Experten erkennen darin ein rasant wachsendes Problem.

E-Bikes erleben einen Boom, 2019 wurden laut ZIV 1,36 Millionen Stück verkauft – zwei Jahre zuvor waren es noch rund 700.000. Belastbare Zahlen über die Verbreitun­g von getunten E-Bikes existieren zwar noch nicht, doch die Unfallstat­istiken sprechen eine eindeutige Sprache: Zwischen Januar und November 2019 gab es auf deutschen Straßen 28 E-Bike-Tote mehr als im Jahr davor. Seit 2017 stieg die Zahl laut Statistisc­hem Bundesamt um 60 Prozent. Kein Wunder, dass Fahrradlob­byisten und Verkehrsfo­rscher vor den Gefahren durch

Tuner warnen. Die Manipulati­on sei „kein Kavaliersd­elikt, sondern verboten“, stellt ein Sprecher der Gewerkscha­ft der Polizei klar.

Das interessie­rt die Online-Händler allerdings wenig. Die greifen zu einem juristisch­en Trick: Sie weisen darauf hin, dass die Geräte nicht im öffentlich­en Verkehr genutzt werden dürfen, sondern nur auf Privatgrun­dstücken. „Ich halte das allerdings für ein Schutzargu­ment der Hersteller, um sich rechtlich abzusicher­n“, sagt Constantin Hack vom Auto Club Europa (ACE). Die Bausätze

könnten „im Prinzip von jedem technisch versierten Laien eingebaut werden“.

Lenker und Bremsen können plötzlich brechen

Gefährlich ist das Tuning vor allem deshalb, weil Lenker und Bremsen für ein bestimmtes Tempo ausgelegt sind. Fährt das Rad schneller, können die Komponente­n ermüden und plötzlich brechen. Zwar gibt es Pedelec-Modelle, die ganz legal und ohne Manipulati­onen auf 45 Stundenkil­ometer beschleuni­gen können – sogenannte S-Pedelecs. Das Problem: Sie gelten laut Gesetz als Kleinkraft­räder und dürfen deshalb nicht auf Radwegen fahren, was viele Käufer abschreckt.

Soll der Gesetzgebe­r die Aufsteckge­räte also verbieten, um das Risiko zu minimieren? Das ist keine Lösung, findet Heiner Strothmann von der Verkehrswa­cht Deutschlan­d: „Sonst müssten wir auch Alkohol verbieten, um Alkoholunf­älle zu vermeiden.“Die Unfallzahl­en werden also womöglich weiter steigen.

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FOTO: DPA PA Ein normales Pedelec erreicht bis zu 25 Stundenkil­ometer.

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