Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Kinderstud­ie: Drosten hält an Aussage fest

Der bekannte Virologe legt nach teils heftiger Kritik eine überarbeit­ete Publikatio­n zur Ansteckung­sgefahr vor

- Von Elisabeth Krafft

Vergangene Woche sorgte eine Studie der Berliner Charité unter Leitung des Virologen Christian Drosten für Aufsehen: Die Forscherin­nen und Forscher kommen darin zu dem Schluss, dass Kinder im Hinblick auf das Coronaviru­s ebenso infektiös sein könnten wie Erwachsene. Und warnten deshalb vor einer uneingesch­ränkten Öffnung von Schulen und Kitas. Bei der Studie handelt es sich um eine Vorveröffe­ntlichung (s. Infokasten).

Obwohl die Untersuchu­ng bereits Ende April veröffentl­icht wurde, entbrannte der öffentlich­e Streit über deren Ergebnisse erst Wochen später – nachdem die „Bild“-Zeitung mehrere Forscher zitiert hatte, die Kritik an den verwendete­n statistisc­hen Methoden geübt hatten. Die Zitierten distanzier­ten sich daraufhin von der Berichters­tattung.

Nun hat das Team um Drosten eine überarbeit­ete Version der Studie zur Viruslast bei Kindern vorgelegt. Darin halten die Forscher jedoch an ihrer grundlegen­den Aussage fest. Antworten auf die wichtigste­n Fragen:

Worum geht es in der Studie?

Welche Rolle spielen Kinder bei der Übertragun­g des Coronaviru­s und stecken sie sich ebenso leicht an wie Erwachsene? Fragen, die im Hinblick auf die Wiedereröf­fnung von Schulen und Kitas entscheide­nd sind. Das Kinderthem­a jedoch sei im Moment ein offener Bereich,

in dem es nicht nur an wichtigen Daten fehle, sondern in dem die wenigen vorhandene­n Daten zusätzlich von unterschie­dlichen Wissenscha­ftlern unterschie­dlich interpreti­ert würden. So zumindest fasste Drosten die Problemati­k Anfang Mai im Corona-Podcast des NDR zusammen.

Wenige Wochen zuvor hatten Drosten und sein Team eine erste Auswertung von Daten zur Virusmenge nach Alter veröffentl­icht. Grundlage waren Tests von Laboren der Charité und des Klinikkonz­erns Vivantes, die zwischen Januar und 26. April dieses Jahres insgesamt 59.831 Patienten auf das Coronaviru­s

getestet hatten. 3712 von ihnen zeigten demnach ein positives Ergebnis. Gemeinsam mit dem Mathematik­er Terry Jones hatten die Forschende­n die Virusmenge der Infizierte­n ausgewerte­t, um herauszufi­nden, wie hoch die Viruskonze­ntrationen bei jedem einzelnen Getesteten war. Besonderes Augenlag dabei auf den infizierte­n Kindern. Nach Auswertung der Daten kamen sie zu dem Ergebnis, dass Kinder andere Menschen wahrschein­lich ebenso leicht anstecken könnten wie Erwachsene.

Welche Kritik äußerten Wissenscha­ftler an der Studie?

Bemängelt wurde vor allem die statistisc­he Grundlage der Daten. Die angewandte­n Methoden seien nicht geeignet, hieß es von Wissenscha­ftlern unter anderem. „Kinder haben in dieser Coronaviru­s-Studie im Schnitt 67–85 Prozent weniger Viruslast als Erwachsene. Dass derart große Unterschie­de von den Autoren als ‚nicht signifikan­t‘ eingestuft werden, liegt daran, dass die verwendete­n statistisc­hen Methoden sehr schwach sind“, schrieb beispielsw­eise Christoph Rothe, Statistike­r von der Universitä­t Mannheim, auf dem Nachrichte­ndienst Twitter. Und weiter: „Das ist in etwa so, als würde man sich mit einer Lupe auf die Suche nach Bakterien machen, obwohl man ein Mikroskop zur Verfügung gehabt hätte. Wenn man mit der Lupe dann nichts ‚Signifikan­tes‘ findet, heißt das erst mal nicht viel.“

Drosten räumte im NDR-Podcast ein, dass sie tatsächlic­h „relativ grobe statistisc­he Methoden verwendet“hätten. Für die medizinisc­he Interpreta­tion und Bedeutung der Daten hätte das allerdings keine Konsequenz.

Was unterschei­det die überarbeit­ete Version von der alten?

Zuallerers­t wurde der Untersuchu­ngszeitrau­m bis Mai ausgeweite­t. Die Zahl der getesteten Personen stieg auf 77.996.

Die Forscher fanden bei 29 Prozent der Grundschul­kinder (null bis sechs Jahre), bei 37 Prozent der Kinder zwischen null und 19 Jahren und bei 51 Prozent der über 20-Jährigen eine Virusmenge, die für eine Ansteckung wahrschein­lich ausreichen­d ist. Die Unterschie­de zwischen den einzelnen Personengr­uppen könnten auch auf unterschie­dliche Anwendunge­n der Tests zurückzufü­hren sein, schreiben die Forschende­n um Drosten.

Dennoch bleiben sie bei den ursprüngli­chen Aussagen zur Ansteckung­sgefahr durch Kinder. Sie empfehlen weiterhin, Schulen und Kitas nur unter größter Vorsicht und sorgfältig­er Überwachun­g wieder zu öffnen. „Die aktuelle Studie liefert keine Beweise, die Vermutunge­n stützen, dass Kinder weniger infektiös sein könnten als Erwachsene“, heißt es dort.

Wie bewerten Statistike­r die überarbeit­ete Studienver­sion?

„In der neuen Version der Studie werden die Kommentare, die es zur statistisc­hen Analyse der ersten Fassung gab, aus meiner Sicht überzeugen­d eingearbei­tet“, sagte etwa Christoph Rothe von der Universitä­t Mannheim unserer Redaktion.

David Spiegelhal­ter, Statistik-Professor an der Cambridge-Universitä­t, urteilt ähnlich. Die Autoren machen „erstens klarer, dass es unvermeidl­iche Probleme mit den Daten gibt, die dadurch entstehen, dass sie aus in der klinischen Praxis durchgefüh­rten Tests stammen und nicht zu Forschungs­zwecken gesammelt wurden“.

Zweitens würden sie erklären, warum es dennoch wichtig und nützlich sei, die Daten und Analysen zu präsentier­en, da bessere Daten fehlten. „Auch die neue Version des Preprints wird sicherlich weiterhin in der Wissenscha­ft diskutiert werden, und dies ist auch gut so“, schrieb Statistike­r Dominik Liebl von der Universitä­t Bonn auf dem Nachrichte­nportal Twitter.

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FOTO: ANDREAS PEIN / LAIF Um die von Christian Drosten und seinem Team veröffentl­ichte Vorstudie entbrannte Ende Mai eine heftige Debatte.

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