Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Leidet die Forschung abseits von Corona?
Studien zu Krebs oder Diabetes verzögern sich derzeit
Die wissenschaftlichen Arbeiten zum Coronavirus laufen auf Hochtouren. Innerhalb weniger Monate ist ein riesiger Forschungszweig entstanden, der mit viel Geld vorangetrieben wird. Doch dadurch könnten andere drängende Probleme in der Medizin aus dem Fokus geraten, warnen Experten: etwa Bluthochdruck, Diabetes und Krebs.
Matthias Tschöp, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums München, das ebenfalls an Sars-CoV-2 forscht, sprach schon Anfang Mai davon, dass bekannte Herausforderungen, die für viele Milliarden Menschen lebensbedrohlich oder einschränkend sind, nicht vergessen werden dürften. Die weltweite Zusammenarbeit zur Lösung der Covid-19-Krise sei wichtig. „Es wäre jedoch riskant, jahrzehntelange intensive Grundlagenforschung sowie translationale und klinische Forschung an den großen Volkskrankheiten jetzt zu unterbrechen und damit eventuell deren Erfolg zu gefährden“, mahnt Tschöp.
Damit spricht er vor allem den Kampf gegen chronische Krankheiten wie Diabetes und Krebs an, die nach wie vor weltweit die Hauptursachen für Tod, Behinderung und Verlust an Lebensqualität sind. Mehr als 400 Millionen Menschen sind heute an Typ-2-Diabetes erkrankt. Damit zusammenhängende Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind nach Angaben des HelmholtzZentrums die Haupttodesursache in den westlichen Gesellschaften.
Die aktuelle Situation habe auf die genemerk relle Forschung „erhebliche Auswirkungen“, sagt auch ein Sprecher der MaxPlanck-Gesellschaft (MPG). Die Institute der MPG lassen ihre Mitarbeiter wo möglich im Homeoffice arbeiten. Forschungsprojekte mit menschlichen Probanden fanden zuletzt gar nicht statt. „Es wird sicherlich Wochen und Monate dauern, den Forschungsbetrieb wieder auf die Vor-Corona-Zeiten hochzufahren“, sagt der MPG-Sprecher.
Klinische Studien am Menschen lagen in fast allen Bundesländern wochenlang nahezu auf Eis. In einigen Bundesländern sind sie schon wieder angelaufen, andere ziehen gerade nach, sagt die Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG), Britta Siegmund.
Probleme entstünden gerade bei großen Studien, die für die Freigabe von Medikamenten wichtig seien, sagt Siegmund. „Wenn diese Studien jetzt über mehrere Monate on hold sind, werden sie später abgeschlossen.“Damit verzögere sich der gesamte Entwicklungs- und auch Zulassungsprozess.