Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Smartphone -App erkennt Pflanzen in Sekundensc­hnelle

Forscher aus Jena und Ilmenau erhalten den Thüringer Forschungs­preis für eine App, die Pflanzen erkennt

- Von Elena Rauch

Was blüht denn da? Innerhalb von Sekunden sorgt die Bestimmung­s-App „Flora Incognita“für Klarheit und liefert gleich einen Steckbrief der Pflanze mit. Sie wurde von Wissenscha­ftlern der Technische­n Universitä­t Ilmenau und dem Max-Planck-Institut für Biogeochem­ie Jena entwickelt. Dafür erhielt das Forscherte­am den 25. Thüringer Forschungs­preis.

Die App ist seit 2018 verfügbar, wird stetig erweitert und wurde bislang mehr als eine halbe Million Mal herunterge­laden. Sie ermöglicht es nicht nur Laien, Pflanzen schnell zu erkennen, Experten sehen in ihr ein Werkzeug zur Bestimmung und Kartierung der Flora des Landes. Ihre Nutzung liefert wertvolle Daten, aus denen Wissenscha­ftler Rückschlüs­se auf Artenvielf­alt, deren Gefährdung und sogar auf Folgen von Klimawande­l ziehen können.

Eine Wiese am Stadtrand. Das Gras steht hoch, dazwischen leuchtet es blau, weiß, violett. Ein Junibild, tausendmal gesehen. Aber was eigentlich genau? Ein Fall für „Flora Incognita“. Jana Wäldchen kauert sich ins Gras und fokussiert mit dem Handy eine blaue Blüte. Ein Klick auf den Fotoauslös­er und ein Volltreffe­r: Gamander-Ehrenpreis, ungefährde­t, häufig vorkommend. Den Wiesenkerb­el erkennt die App auch auf Anhieb, beim Flaumhafer braucht sie zwei Bilder mehr. Der Flaumhafer steht hoch, dazwischen leuchten Ehrenpreis, Wiesenkerb­el und PyrenäenSt­orchschnab­el: Das klingt schon viel souveräner.

So könnte man gut den Rest des Tages verbringen. Allein auf einem Quadratmet­er dieser Wiese wachsen etwa 20 verschiede­ne Arten, schätzt Jana Wäldchen. Die App könnte sie alle erkennen und weitere rund 4780 mehr. Die promoviert­e Biologin hat sie mit einem Forscherte­am der Technische­n Universitä­t Ilmenau und dem Max-PlanckInst­itut für Biogeochem­ie Jena entwickelt. Kürzlich erhielten sie dafür den Thüringer Forschungs­preis.

Als sie 2014 mit der Entwicklun­g begannen, gab es eine solche Erkennungs-App für Pflanzen noch nicht. Der Impuls dafür kam im Übrigen von sehr weit oben. Sie erzählt von einem Lagerfeuer, dem Blick in den nächtliche­n Himmel und einer App, die Sternenbil­der erkennt. Wenn das geht, müsste es auch eine Erkennungs-App geben für das, was uns zu Füßen liegt, hatte sie damals gedacht.

Seit 2018 gibt es „Flora Incognita“, mehr als eine halbe Million Mal wurde sie inzwischen herunterge­laden. In den vergangene­n Wochen gab es besonders viele Zugriffe. Die Daten der App verraten, wohin es viele Menschen während des Corona-Lockdowns zog: in die Natur. Endlich gehen wir nicht mehr blind durch den Wald: Solche Reaktionen bekommen sie oft.

Dabei ist es gar nicht einmal unbekannte­s Dickicht, durch das Nutzer auf der Suche nach dem botanische­n Abenteuer kriechen. Die meisten zücken die App bei Streifzüge­n in wohnortnah­er Natur. Die Menschen wollen wissen, welches Kraut am Wegesrand wuchert, an dem sie täglich vorbei gehen. Am häufigsten erkennungs­dienstlich behandelt: Schafgarbe, Löwenzahn, und Knoblauchs­rauke.

In Deutschlan­d gibt es etwa 2700 Pflanzenar­ten, laut einer Umfrage kennt jeder Fünfte nicht einmal 20 davon. Von Biodiversi­tät werde gern gesprochen, bemerkt die Wissenscha­ftlerin, aber wie divers unsere Umwelt ist, wissen viele gar nicht. Es muss nicht nur die seltene Orchidee sein. Die Besonderhe­it einer Wiese zum Beispiel besteht in ihrer Vielfalt. Man muss etwas kennen, um es schützen zu wollen. Ein Eckchen naturbelas­sene Wiese im aufgeräumt­en Garten wäre schon mal ein guter Anfang.

Daten können zukünftig auch den Klimaforsc­hern nutzen

Die App will aber mehr sein als ein intelligen­ter Pflanzenfü­hrer. Zum einen wird sie immer wieder mit neuen Daten gefüttert, was auch die Treffsiche­rheit der Bestimmung erhöht. Bei Gräsern gibt es dafür noch Luft nach oben, sie arbeiten daran. Allein für die derzeit gespeicher­ten Arten wurden die Daten von rund zwei Millionen Pflanzenfo­tos verwendet. Und es gibt einen wissenscha­ftlichen Mehrwert. Das Forschungs­projekt

geht um weitere vier Jahre in die Verlängeru­ng, die wollen die Wissenscha­ftler vor allem für die Auswertung nutzen. Denn auch wenn die Erfassung von Pflanzen und ihren Standorten in einer solchen App nicht systematis­ch sein kann, erlauben die Daten dennoch wertvolle Kenntnisse, etwa über die Ausbreitun­g von Neophyten. Pflanzen, die aus der Ferne stammen, sich aber so rasant vermehren, dass sie heimische Arten verdrängen.

Ein prominente­r Delinquent in Thüringen ist das, blühendem Raps ähnelnde orientalis­che Zackenschö­tchen. So liebreizen­d sein Name auch klingen mag, das Gewächs macht sich in Biotopen breit, die seltene Orchideen im Jenaer Raum zum Überleben brauchen. Hier konnte dem Umweltamt schon mit Standortda­ten geholfen werden.

Interessie­rte können die App kostenlos runterlade­n

Wie stark variieren Eigenschaf­ten einer Pflanze? Welche Rolle spielen dabei Standorte und deren Nutzung? Wann blüht was? Aus den Zugriffsda­ten der App können nicht nur Biologen wichtige Rückschlüs­se ziehen. Klimaforsc­hern nutzen solche Daten, weil auch veränderte Vegetation­szeiten von Pflanzen Anzeiger für Klimawande­l sind. Der Winterling zum Beispiel wurde in diesem Jahr schon im Januar fotografie­rt, gewöhnlich zeigt er sich erst später. Im kommenden Jahr soll der Umfang der App auf etwa 9000 Arten anwachsen. Im vergangene­n Sommer zum Beispiel, wurde oft nach Arten gefragt, die im Alpenrand, an Ost-und Nordsee oder Mittelmeer­raum heimisch sind: Von Urlaubern die nicht nur wissen wollten, wo die Zitronen blühen.

Die App ist im Übrigen kostenfrei, Biologin Jana Wäldchen ist das wichtig. Nicht nur, weil Schulen damit arbeiten sollen. Dem unbekannte­n Schönen einen Namen geben, so nennt sie es. Und wie gesagt: Man schützt, was man kennt.

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FOTO: SASCHA FROMM Auf einer Wiese bei Ilmenau hat uns die promoviert­e Biologin Jana Wäldchen gezeigt, wie die von ihr mitentwick­elte, preisgekrö­nte Pflanzenbe­stimmung per Smartphone-App funktionie­rt.
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 ?? FOTOS: SASCHA FROMM ?? Biologin Jana Wäldchen war maßgeblich an der Entwicklun­g von „Flora Incognita“beteiligt. Auf einer Wiese bei Ilmenau demonstrie­rte sie die Funktion der App. Das Projekt wird weiterhin vom Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung sowie dem Thüringer Umweltmini­sterium gefördert.
FOTOS: SASCHA FROMM Biologin Jana Wäldchen war maßgeblich an der Entwicklun­g von „Flora Incognita“beteiligt. Auf einer Wiese bei Ilmenau demonstrie­rte sie die Funktion der App. Das Projekt wird weiterhin vom Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung sowie dem Thüringer Umweltmini­sterium gefördert.
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