Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Rechte nehmen Floyd ins Visier

Trump-nahe Kreise machen im Netz Stimmung gegen das prominente Opfer – Debatte reicht bis nach Deutschlan­d. Weitere Fälle von rassistisc­her Gewalt

- Von Dirk Hautkapp

Was hat der globale Wellen schlagende Tod von George Floyd in Minneapoli­s mit Rücktritts­forderunge­n gegen den CDUKreisvo­rsitzenden Thaddäus Kunzmann im baden-württember­gischen Esslingen zu tun? Die Antwort ist bei einer jungen, prominente­n Schwarzen in Amerika zu suchen, die sich der besonderen Wertschätz­ung von Präsident Donald Trump und rechtsnati­onalistisc­her Kreise erfreut. Candace Owens (31), Politaktiv­istin, hat in einem mittlerwei­le mehrere Millionen Mal angeklickt­en Video den alten Grundsatz „Über die Toten nur Gutes“über Bord geworfen und den durch Polizeigew­alt ums Leben gekommenen Floyd zu demontiere­n versucht.

Unter dem Titel „Geständnis: Ich unterstütz­e George Floyd nicht, und ich lehne es ab, ihn als Märtyrer zu sehen. Aber ich hoffe, seine Familie bekommt Gerechtigk­eit“zieht Owens gegen angebliche Bestrebung­en vieler Medien und der

„Martin Luther King jr. wurde fast 30mal hinter Gitter gebracht.“Kommentar zur Debatte über Floyds kriminelle Vergangenh­eit in der „Chicago Tribune“

schwarzen Community zu Felde, den 46-Jährigen zum „Helden“zu stilisiere­n, dessen gewaltsame­s Ableben das Tor zu gesellscha­ftlichen Reformen gegen den allgegenwä­rtigen Rassismus geöffnet habe. In ihrer 18 Minuten dauernden Brandrede, die von Trump in sozialen Netzwerken gewürdigt und von Vizepräsid­ent Mike Pence mit einer Einladung ins Weiße Haus belohnt wurde, porträtier­t Owens Floyd als Kriminelle­n, der kein „Märtyrer für das schwarze Amerika“sein könne. Auch weil er zur Zeit der Festnahme am 25. Mai unter dem Einfluss harter Drogen (Fentanyl et cetera) gestanden habe.

Akribisch listet Owens auf, dass Floyd unter anderem wegen Diebstahl und Drogenmiss­brauch seit 1998 siebenmal jeweils für mehrere Monate im Gefängnis gesessen habe. Später korrigiert sie sich sarkastisc­h: „Es waren neun Verurteilu­ngen.“Gesondert herausgest­ellt wird von ihr ein Raubüberfa­ll auf eine schwangere Afroamerik­anerin, bei dem Floyd seine Waffe auf den Bauch des Opfers gerichtet haben soll.

Aus Owens’ Sicht, die sie regelmäßig an ihre 2,5 Millionen TwitterAbo­nnenten weiterreic­ht, könne der bei der Trauerfeie­r am Dienstag in Houston als „sanfter Riese“und „wundervoll­er Vater und Freund“bezeichnet­e Ex-Basketball­spieler kein Vorbildcha­rakter sein.

Grundsätzl­ich stellt Owens zudem in Abrede, dass Floyds Tod für rassistisc­h motivierte Polizeigew­alt stehe. Das sei ein „Mythos“, sagt sie, obwohl offizielle Statistike­n das Gegenteil belegen, und behauptet: Das Risiko eines Polizisten, von einem Schwarzen erschossen zu werden, sei 18-mal höher als umgekehrt.

Owens’ Interventi­on gilt in afroamerik­anischen Kreisen als „antischwar­ze“Minderheit­smeinung. Schwarze Kommentato­ren im USFernsehe­n warfen der Chefin der Trump-nahen Jugendorga­nisation „Turning Point USA“vor, den Tod Floyds zu relativier­en, weil er vorbestraf­t war.

Dass dies kein Kriterium sein könne, zeige der Lebensweg der Bürgerrech­tsikone schlechthi­n, schreibt ein Kommentato­r in der

„Chicago Tribune“. Martin Luther King jr. wurde fast 30-mal hinter Gitter geschickt.

Weiße Nationalis­ten und Rechtsextr­eme fühlen sich seit Tagen in sozialen Netzwerken durch die Attacke von Owens angespornt – und darüber hinaus auch bestätigt. Im Netz taucht der Name Floyd häufig in Verbindung mit dem begriff „thug“auf. Was so viel wie Verbrecher bedeutet.

Eine Wortwahl, die nicht nur Angehörige Floyds als ehrabschne­idend empfinden. Was den republikan­ischen Kongressab­geordneten Mo Brooks aus Alabama nicht davon abhielt, auf Twitter zu schreiben, es sei falsch, wenn „Lügenpress­e, Demokraten und Sozialiste­n einen Junkie und Gangster für politische Zwecke vergöttern“. Ähnlich hat sich Bob Kroll, Polizeigew­erkschafte­r in Minneapoli­s, geäußert, wo der inzwischen des Mordes angeklagte Officer Derek Chauvin Floyd mit einer Kniepresse ums Leben

gebracht hatte. „Warum schreiben die Medien nicht, dass Floyd ein gewalttäti­ger Kriminelle­r war?“

In dieses via Facebook und Twitter nach Europa herüberges­chwappte Fahrwasser begab sich auch Thaddäus Kunzmann. Der neben seiner CDU-Tätigkeit auch als Demografie­beauftragt­er BadenWürtt­embergs agierende Politiker schrieb auf Facebook, er finde den Tod von George Floyd „schlimm“. Aber: „Zur Wahrheit gehört auch, dass Floyd ein Gewaltverb­recher mit beträchtli­chem Vorstrafen­register war. Niemand von uns wollte ihm in der Nacht begegnen. Ich finde, das gehört zur Wahrheit dazu.“

Nach Rücktritts­forderunge­n der SPD („Kunzmann darf unser weltoffene­s Land nicht mehr repräsenti­eren“) zog der Christdemo­krat seinen Beitrag zurück. Es sei der Eindruck entstanden, „dass ich den Tod von Floyd aufgrund seines Vorstrafen­registers relativier­en will. Das will ich ausdrückli­ch nicht.“

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FOTOS: JERRY HOLT / DPA; AFP Protest in Minneapoli­s: George Floyd gilt in der Anti-Rassismus-Bewegung als Ikone.

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