Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Jenaer Historiker schreibt erste Biografie über Himmlers ranghöchste Polizistin
Dornburg-Camburg.
Eigentlich suchte Historiker Christian Hill für eine Ausstellung nach alten Fotos und Drucken von den Dornburger Schlossgärten. Im Stadtmuseum Jena fand er dabei auch eine Glasplattenfotografie aus dem Jahr 1908. Sie zeigte eine bisher unbekannte Ansicht der Dornburger Schlösser. Als Verweis war Veste Coburg angegeben. Eine Rechercheanfrage bei den Kunstsammlungen, schon nach einer Woche beantwortet, bescherte den Dornburgern eine kleine Sensation. „Die Kollegen in Coburg haben nach den nur mageren Hinweisen in ihrem Depot wirklich einen Schatz gefunden, ein etwa postkartengroßes coloriertes Blatt mit einer Ansicht von Dornburg und seinen Schlössern hoch oben auf dem Saalefelsen“, sagte Hill. Dabei handele es sich wahrscheinlich um ein Blatt aus einem Stammbuch. Datiert wird die kleine Zeichnung auf 1600.
„Damit ist es die älteste uns bisher bekannte Ansicht der Dornburger Schlösser. Zudem zeigt es die Anlage von einer unbekannten Seite, vom Tautenburger Forst aus gesehen“. Ein Merian-Kupferstich von 1650, der den „Dornberg“mit dem Alten Schloss von Norden abbildet, war bisher die älteste Darstellung. „Im Gegensatz zu diesem Stich zeigt die Zeichnung von 1600 interessante Details, etwa drei Giebel am Alten Schloss, die später für ein weiteres Geschoss entfernt wurden. Sichtbar ist auch die alte Stadtmauer mit mehreren Toren“, erklärte Hill.
Aus dem Jahr 1600 stammt die Darstellung der Dornburger Schlösser.
FOTO: ANGELIKA SCHIMMEL
Ulrike Merkel
Jena.
In der Weimarer Republik gehört Friederike Wieking (18911958) zu den Leitfiguren der bürgerlichen Frauenbewegung. Sie kümmert sich als leitende Polizeifürsorgerin um Frauen, die wegen Prostitution straffällig werden. Später steht sie der Weiblichen Kriminalpolizei in Berlin vor.
Ihre Arbeit ist anfangs geprägt von christlicher Nächstenliebe. Doch im Hitler-Regime avanciert sie zur Leiterin der Jugendkonzentrationslager. Wie konnte sie solch eine Entwicklung vollziehen? Das ist eine der zentralen Fragen, der Sören Groß in seiner Biografie „Friederike Wieking – Fürsorgerin, Polizeiführerin und KZ-Leiterin“nachgeht.
Das Buch des jungen Jenaer Historikers ist die erste größere Publikation über die ranghöchste Polizistin des „Dritten Reichs“. Während seines Geschichtsstudiums wird der Doktorand auf die vergessenen Jugendkonzentrationslager aufmerksam – ein Thema, das ihn nicht mehr loslässt. Zusammen mit Peter Weidner, einem Hobbyhistoriker aus Wiekings Heimat, der Grafschaft Bentheim, entdeckt er 2015 eine bislang unbeachtete Akte. Sie dokumentiert die Beförderung der Beamtin durch Heinrich Himmler zur Regierungsund Kriminaldirektorin. Der Fund ist Auslöser für Groß‘ Buchprojekt und die Gründung der Geschichtswerkstatt Curriculum Vitae. Dank dieses Vereines können 30.000 Euro für Recherche und Druck akquiriert werden.
In seinem 400-seitigen Werk schildert Sören Groß das Leben Friederike Wiekings vor dem Hintergrund vier deutscher Epochen, vom Kaiserreich bis zur frühen
Der Jenaer Historiker Sören Groß. Friederike Wieking war Leiterin der Jugendkonzentrationslager im Nationalsozialismus.
FOTOS (2): GESCHICHTSWERKSTATT CURRICULUM VITAE
Bundesrepublik. Geboren 1891 im äußersten Westen des heutigen Niedersachsens, wächst Wiking in einem Lehrerhaushalt auf.
Früh geht sie eigene Wege, wird zunächst Säuglingsfürsorgerin in Düsseldorf, danach Wohlfahrtspflegerin in Hannover. In der Weimarer Republik baut sie in Stettin und Berlin Pflegeämter auf, polizeiliche Dienststellen, die Aufgaben der Sittenpolizei übernehmen. Dabei verfolgt Wieking modernste Ansätze, setzt zuallererst auf Wiedereingliederung der straffällig gewordenen Mädchen und Frauen anstelle von Bestrafung. Auch beim Aufbau der Weiblichen Kriminalpolizei (WKP) betritt sie 1927 Neuland und setzt sich meinungsstark gegen männliche Anfeindungen zur Wehr.
Nach der Machtergreifung Hitlers wird Wieking deutlich stiller und passt sich an, „auch um ihre Polizeifürsorgerinnen zu schützen“, wie Sören Groß sagt. Und so überlebt ihre weibliche Polizei in Berlin als einzige deutsche WKP 1934 die große Umstrukturierungswelle. Nichtsdestotrotz entlässt auch sie Mitarbeiterinnen und entwickelt sich über die Jahre zu einer wahrhaften Schreibtischtäterin.
1939 wird Wieking mit der Leitung sogenannter Jugendschutzlager im niedersächsischen Mor ingen, der Uckermark und im polnischen Łódź beauftragt. Sie sollen der wachsenden Jugendkriminalität während des Krieges Einhalt gebieten. Dabei handelt es sich laut Sören Groß um nichts anderes als Konzentrationslager. Interniert werden Jugendliche, die nicht ins System passen, darunter auch Kinder von politischen Gegnern und Minderheiten.
Die Baracken sind von zwei Stacheldrahtzäunen samt Wachtürmen umschlossen. Die Jugendlichen müssen zehn Stunden Arbeitsdienst verrichten. Es werden Zwangssterilisationen vorgenommen, Minderjährige in Euthanasie-Einrichtungen überstellt und auch Jugendliche über 21 Jahre in Vernichtungslager geschickt. In all die Maßnahmen und Verbrechen ist Wieking involviert und nickt sie ab.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird sie schließlich selbst von der sowjetischen Besatzungsmacht in Speziallagern interniert. Bei der Auflösung des Speziallagers Buchenwald wird sie 1950 freigelassen und verbringt ihren Lebensabend in Westberlin.
Sören Groß‘ Buch deckt neue Kapitel der deutschen Geschichte auf. Es soll über die Exis tenz der Jugendkonzentrationslager aufklären und zeigt zugleich, „wie man sich im Nationalsozialismus zum Täter entwickeln konnte“.
Sören Groß: „Friederike Wieking – Fürsorgerin, Polizeiführerin und KZ-Leiterin“, Verlag des Heimatvereins der Grafschaft Bentheim, 400 Seiten, 29,80 Euro