Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Mehr als schön
Thüringer Porträts Anja Kallenbach ist Miss Germany und eine sportliche Frau mit Ideen
Eine Parkbank am See – so lässt sich beim Treffen der Abstand wahren: Anja Kallenbach hat schnell noch das jüngere ihrer beiden Kinder zu den Großeltern gebracht und ist von ihrem Heimatdorf in die nahe Kreisstadt gefahren. Jetzt hat sie Zeit für ein Gespräch in der Frühlingssonne in Bad Salzungen.
Anja Kallenbach genießt den Frischlufttermin. Sie erscheint in einem kurzen Top und einer hellen Hose, mit der sie es sich auch auf dem Sofa gemütlichen machen könnte. Bequem sieht beides aus, was sie trägt. Und es passt gut zu ihr: Sie ist eine sportlich-fröhliche junge Frau – und zugleich eine Schönheitskönigin: Miss Germany 2021.
Am Vortag war Anja Kallenbach wegen Modefotos unterwegs und hat in Stuttgart die Frau getroffen, die ihr Vorbild ist: Karo Kauer, Mutter wie Kallenbach – und Bloggerin, die sich mit Mode und modernem Leben befasst. Kallenbach fand Kauer schon längere Zeit gut – und dann sitzt genau diese Frau als Jurorin bei Miss Germany 2021.
Aktiv beim Homeschooling und im Radgeschäft des Lebensgefährten Früher waren die Missen eher Mädchen als Frauen. Gefragt nach ihren Jobs, musste sie meist noch passen oder standen erst am Beginn ihres Berufslebens. Mittlerweile ist das anders: Wer Miss werden will, darf bis Ende 30 sein. Kallenbach ist 33 und mit dem Vater ihrer beiden Kinder (7 und 5) bereits ihre halbes Leben zusammen. Und wenn sie nicht gerade wegen des Miss-Titels unterwegs ist, ist sie beim Homeschooling der Großen oder im Radgeschäft ihres Lebensgefährten mit eingespannt. Diesen Schritt hat sie zunächst der Kinder wegen gemacht, weil ihre vorherige Tätigkeit als Führungskraft im Einzelhandel von den Arbeits- und Fahrzeiten nicht gut mit der Familie zu vereinbaren war. Den Lebensmittelladen um 22 Uhr hinter den letzten Kunden schließen, eine halbe Stunde später endlich im Auto Richtung Heimat sitzen und dann noch eine Stunde fahren: Die Pendelei und die Spätdienste gingen nicht gut zusammen mit den Herausforderungen, vor die ein Kindergartenkind und eine Erstklässlerin die Eltern stellen. „Und im Geschäft von meinem Freund wird meine Arbeitskraft gebraucht, eigentlich mehr, als ich derzeit leisten kann“, machte Anja Kallenbach deutlich. Als Miss, Mutter und Mitarbeiterin muss sie ihre Zeit gut einteilen. Doch sich gut zu organisieren, das hat sie gelernt – sozusagen im zweiten Anlauf.
Spät durchgestartet und dank Dualem Studium weit gekommen
Als Schülerin habe sie erst ziemlich spät erkannt, was in ihr steckt. „Meine Eltern haben mich nicht gedrängt“, sagt sie. Anja Kallenbach sieht das als Vertrauensbeweis der Verkäuferin und des gelernten Maurers, der bei Kali arbeitete und mittlerweile Rentner ist: „Sie haben an mich geglaubt.“Anja Kallenbach lernte Einzelhandelskauffrau, machte Abitur und begann ein Duales Studium und machte einen Bachelor-Abschluss in Betriebswirtschaft. Als stellvertretende Leiterin hatte sie bald die Mitverantwortung für eine Filiale.
Ihren Eltern sei immer wichtig gewesen, die Tochter glücklich zu sehen. Das möchte Anja Kallenbach weitergeben. Glück hieß für sie damals werktags erst in Witzenhausen, dann in Bad Sooden-Allendorf an der hessisch-thüringischen Grenze: die Herausforderung an ihrem Arbeitsplatz. „Ich konnte mir das gar nicht anders vorstellen“, sagt sie. Bis zur ersten Schwangerschaft. „Das hat mein Leben komplett gewandelt“, sagt sie.
Nach der zweiten Elternzeit stieg sie noch einmal im Einzelhandel ein, fand dann einen Job in Heimatnähe, der besser passte, ehe sie bei ihrem Partner einstieg. Zu dem Zeitpunkt war sie bereits mit Fotos und Geschichten vor allem rund um ihre Radsportbegeisterung im Netz unterwegs. Neben Mountainbiken gehören Laufen und Joggen, Snowboarden,
Volleyball und Schwimmen zu ihren Leidenschaften. Anja Kallenbach fiebert dem Ende der Pandemie aus vielen Gründen entgegen – aber einer ist, dass sie wieder zu Konzerten gehen möchte. „Mal wieder ein Festival“, sagt sie – und in ihrer Stimme schwingt die Sehnsucht nach dieser Leichtigkeit mit, die in den vergangenen 13 Corona-Monaten fast erdrückt worden ist. In dieser Zeit wird sie angesprochen: Miss Germany sei jetzt anders. Und die Art Frau, die da gesucht werde, sei dem, was sie verkörpere, sehr nah. Anja Kallenbach machte sich kundig und fand: Das sollte sie probieren. Denn eines ist Anja Kallenbachs fester Vorsatz: Sie will sich nicht mit 66 sagen, „Ach, hätteste mal …“
Die Maße sind nicht mehr entscheidend bei diesem Wettbewerb Schönheit, heißt es, liege im Auge des Betrachters. Aber lange wurde Schönheit vor allem in Zentimetern ausgemessen. Wer sich nun fragt: Was ist denn mit den Maßen der Miss? Dem sei hier von Anja Kallenbach ausgerichtet: „Maße wurden gar nicht abgefragt.“Und unter denen, die sich um den Miss-Titel bewarben, war auch eine Frau, die als Modell mit Kurven bekannt ist. „Von ihr habe ich gehört, dass mehr als 50 Prozent der Frauen Kleidergröße 42 und mehr tragen – und dass es diese Größen oft kaum für aktuelle Mode im Handel gibt.“
Das Amt als Deutschlands Schönste ist durchaus fordernd – auch in Coronazeiten ohne Präsenzveranstaltungen. Kurz vor unserem Zusammentreffen saß Anja Kallenbach noch in einer digitalen Redaktionskonferenz mit einer großen Frauenzeitschrift. Sie sei da nicht nur zum Miss-Titel befragt worden, sondern durfte sich auch zu Themen äußern, die über die Auszeichnung hinausgehen. Sie wolle hinter die Fassaden blicken, sagt sie. Neues erfahren. Und am Ende des Jahres mehr erreicht haben, als nur ihre Schönheit zu präsentieren. Eine dieser Ideen, die sie hat, steht in enger Verbindung mit dem Radsport, dem Anja Kallenbach verbunden ist. Sie will gerne Mode und Sport verbinden – und sieht da auch eine Chance, weil es für Frauen, die mit dem Rad sportlich unterwegs sind, kaum schicke und funktionale Bekleidung gibt. Sie setzt auf eine Freundin, die sich mit Design beschäftigt. Ein Logo und ein Markenname müssen gesichert werden … Anja Kallenbach plant also bereits über die Zeit hinaus, in der sie den Titel trägt.