Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Völkerrechtlerin, Mutter, Trampolinspringerin: Ist Annalena Baerbock reif für das Kanzleramt?
Potsdam.
Der Annalena-Baerbock-Fanklub kann die Kür kaum erwarten. Für Montag, 11.30 Uhr, hat ihr Potsdamer Kreisverband seine Mitglieder zum Online-Public-Viewing eingeladen. Sie wollen den historischen Moment erleben, falls die 40-Jährige vom Vorstand nominiert wird und als erste grüne Kanzlerkandidatin nach der Macht greifen darf.
Was vor ein paar Monaten wie ein Hirngespinst wirkte, scheint mit den Maskenaffären und fränkisch-rheinischen Chaostagen in der Union in greifbare Nähe zu rücken. Die Grünen liegen in den Umfragen nur knapp hinter CDU und CSU. Mit Grün-Rot-Rot oder in einer Ampel könnte es im Herbst reichen. Baerbock, die neue Merkel? Lederjacke statt Blazer, Becker-Faust anstelle der Raute.
Annalena Charlotte Alma Baerbock wächst mit zwei Schwestern in der Kleinstadt Pattensen bei Hannover auf. Ihre Mutter ist Sozialpädagogin, der Vater Maschinenbauingenieur. Die Eltern schleppen ihre Töchter auf Anti-Atom-Demos mit. Sportlich liebt sie das Trampolin. Kunstturnen auf Leistungssportniveau, bis irgendwann der Knöchel bricht. Als Schülerin bricht sie nach Florida an eine Highschool auf. In London an der School of Economics macht sie ihren Master in Völkerrecht und Außenpolitik. Baerbock wäre die jüngste Regierungschefin, die Deutschland je hatte. Und eine, die noch nie Ministerin war. Ihre Unterstützerinnen stört das nicht.
2019 wählt sie die Basis mit 97 Prozent
Ihr politischer Aufstieg verläuft rasant. Mit 28 wird sie Grünen-Landeschefin in Brandenburg, mit 32 zieht sie in den Bundestag ein, mit
37 übernimmt sie zusammen mit Habeck die Parteispitze. Alle schauen damals auf ihn, den smarten Medienstar. Auf dem Parteitag
2018 ruft Baerbock ein Stück weit genervt den Delegiertinnen zu: „Wir wählen hier heute nicht nur die Frau an Roberts Seite.“Mittlerweile rockt sie die Partei mehr als er. Die grüne Basis liebt sie. Bei der Wiederwahl Ende 2019 in Bielefeld erhält Baerbock 97 Prozent. Habeck kriegt 90 Prozent.
Während viele Vertraute von Baerbock den großen Sieg ihrer Chefin auf einer
Party feiern, holt die sich an der Hotelbar eine große Fla- sche „Cola Light“und geht auf ihr Zimmer zurück. Dort wühlt sie sich durch die nächsten Anträge.
Bis heute wird Baerbock unterschätzt und auch von Männern angefeindet. Sie steckt das weg. Abends fährt sie mit der Regionalbahn von Berlin nach Potsdam, zu ihren beiden kleinen Töchtern und ihrem Mann. Der Kommunikationsbera- ter und Lobbyist schmeißt den Haushalt.
Mit einer weiblichen Kan- didatin könnten die Grünen Merkel-Wählerinnen an- sprechen – und einen Kontrapunkt zu Markus Söder/ Armin Laschet und Olaf Scholz setzen. Reicht es für die Grünen nicht für das Kanzleramt, könnte Baer- bock sich bei Schwarz-Grün ein Ministeramt aussuchen.
In der Frauenpartei hat Baerbock den ersten Zu- griff. Im „Spiegel“sagte sie, ein Verzicht auf die Kanzler- kandidatur wäre doch „ein kleiner Stich ins Herz“. Überlässt sie Habeck das Feld, könnte sie warten. Bei der nächsten Bundestags- wahl 2025 wäre sie gerade mal 44. Merkel startete erst mit 51 durch.