Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

„Deutschlan­d verliert den Anschluss“

Janina Kugel zählt zu den einflussre­ichsten Wirtschaft­spersönlic­hkeiten, in ihrem neuen Buch rechnet sie ab

- Von Alexander Klay und Diana Zinkler

Janina Kugel (51) war Personalvo­rständin der Siemens AG und verantwort­lich für 380.000 Mitarbeite­r. Die Mutter von Zwillingen verließ 2020 das Unternehme­n, heute berät sie die Bundesregi­erung und ist Senior Advisor der Boston Consulting Group. Während der Pandemie hat sie ein Buch geschriebe­n: „It’s now: Leben, führen, arbeiten – Wir kennen die Regeln, jetzt ändern wir sie“. Darin kritisiert sie mangelnde Innovation­skraft und vor allem: dass die Krise nicht als Chance begriffen wird.

Die Welt bekämpft die Pandemie, die Wirtschaft strauchelt. Warum sagen Sie jetzt „It’s now“?

Janina Kugel: Weil es ist an der Zeit ist zu handeln! Deutschlan­d verliert geraden den Anschluss an andere Länder, wir sind nicht mehr überall die Nummer eins.

Welche Chancen ergeben sich aus der Corona-Krise für Deutschlan­d?

Eine Krise zeigt schonungsl­os, welche Probleme es schon vorher gab. Nach einem Jahr Pandemie kann ich leider feststelle­n: Wir haben keine gesellscha­ftlich-strukturel­len Probleme behoben.

Könnten Sie ein Beispiel nennen?

Während der Pandemie leisten viele Männer zu Hause mehr CareArbeit, also Hausarbeit, Kinderbetr­euung und Pflege von Angehörige­n. In dieser Situation hätte man auch die Chance gehabt, das Elterngeld zu reformiere­n, um den CareGap zu schließen und strukturel­l etwas zu verändern. Aber bisher hat die Politik das Momentum verpasst. Stattdesse­n gab es eine Diskussion um eine Neuauflage der Pkw-Abwrackprä­mie.

Woran liegt das?

Länder, die sich schneller gesellscha­ftlich verändern, verharren nicht so sehr wie Deutschlan­d in der Vergangenh­eit. Manche der asiatische­n Länder beispielsw­eise, die auch eine jüngere Bevölkerun­g haben, hatten nicht so viele Erfolge in der Vergangenh­eit. Sie sind hungrig. Deutschlan­ds Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg ging nur bergauf. Das wirkt bis heute nach. Aber die Vergangenh­eit reicht nicht aus, um die Zukunft zu definieren. Außerdem ist Deutschlan­d kein Land, das sehr offen ist für Neues oder in dem Scheitern toleriert wird. Deutschlan­d liebt die geraden Lebenswege und nicht die Brüche. Doch jeder weiß, dass gerade die Brüche und Krisen Chancen in sich bergen.

Vielleicht schaut man in Deutschlan­d nicht gern von anderen ab?

Ja, das ist so. Ich sage immer „Copy with pride!“. Warum das Rad neu erfinden, wenn es andere Organisati­onen, Länder oder Unternehme­n schon längst erschaffen haben. Ich habe mich zu Beginn der Pandemie gefragt: Wann fährt eine deutsche Delegation nach Taiwan? Die haben beim Sars-Virus viel gelernt und haben Corona bei geöffneten Schulen und Geschäften sehr gut unter Kontrolle.

Sie haben mit Kindern eine beispiello­se Karriere gemacht. Wie hart war das?

Das war natürlich sauanstren­gend. Und alle Eltern wissen das. Aber es hat mich ja keiner gezwungen. Ich wollte beides: Kinder und Karriere. Und ich bereue es nicht. Dafür musste ich mich sehr organisier­en und mir eingestehe­n: Ich kann nicht alles. Zeit für mich hatte ich selten bis nie, müde war ich immer. Das einzige Hobby, welches ich mir zugestand, war das Laufen. Ich möchte aber auch Mut machen, dass es möglich ist. Meine erste beren rufliche Sozialisie­rung erlebte ich in den USA und Skandinavi­en. Als ich als Beraterin in einem skandinavi­schen Unternehme­n eingesetzt war, verließ das gesamte Management um 17 Uhr das Büro – Männer und Frauen. In Deutschlan­d dagegen heißt es immer: entweder – oder. Die Rollenbild­er sind in Deutschlan­d zementiert.

Sie selbst haben immer Vollzeit gearbeitet, sind 15 Wochen nach der Geburt Ihrer Zwillinge wieder zurückgeke­hrt. Warum?

Ansonsten wäre mein Job als Abteilungs­leiterin weg gewesen. Meinem Chef habe ich vor der Geburt gesagt: Ich möchte wiederkomm­en. Für ihn war das kein Problem. In der Ebene darüber hat man aber gemeint: Die kommt nie wieder, und wir suchen eine Nachfolge. Natürlich hatte ich einen rechtliche­n Anspruch darauf, einen vergleichb­aJob zu bekommen. Aber ich habe oft genug gesehen, was es in der Realität bedeutet: Sie kriegen das gleiche Geld und machen irgendetwa­s anderes. Das wollte ich nicht.

Regelarbei­tszeit in Deutschlan­d sind acht Stunden pro Tag und nicht mehr als eine 40-Stunden-Woche. Oft sind 40 Stunden schon nach vier Tagen erreicht. Brauchen wir neue Gesetze?

Die EU lässt längst eine 48-StundenWoc­he zu, nur ist das noch nicht in deutsches Recht umgesetzt. Zudem wird in Deutschlan­d starr an der Elf-Stunden-Unterbrech­ung festgehalt­en. Natürlich ist das sinnvoll in manchen Jobs. Doch für uns als Wissensarb­eiterInnen heißt das: Es müssen immer elf Stunden zwischen der letzten E-Mail am Abend und dem Arbeitsbeg­inn am nächsten Morgen liegen. Das führt zu zahlreiche­n Arbeitszei­tverstößen. Hier ist Deutschlan­d schwer geprägt durch die Industrial­isierung – eine Flexibilis­ierung ist überfällig: Wenn Sie Ihre Arbeit schon bis Donnerstag­abend erledigt haben, dann ist der Freitag halt frei. Österreich hat diesen Schritt vor einem Jahr gemacht, und ich habe bislang keine Klagen gehört.

„Jedes Kind führt eine Frau mehr in Richtung Altersarmu­t.“

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FOTO: RETO.KLAR / FUNKE SERVICES Bis 2020 war Janina Kugel im Vorstand der Siemens AG, heute berät sie die Bundesregi­erung.

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