Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Warum Veggie-Wurst so teuer ist Hersteller und Handel machen Experten zufolge mit Fleischers­atz hohe Profite. Nun aber sinken die Preise

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Berlin.

Die Verpackung­en ähneln sich sehr – die Farben, die Schrift, die aufgedruck­ten Bilder. Im Discounter-Regal liegen die Geflügelfl­eischwurst und die vegetarisc­he Fleischwur­st von Gutfried nebeneinan­der. Die Marke gehört zur ZurMühlen-Gruppe, einem Unternehme­n des Fleischkon­zerns Tönnies. Auf dem Schild am Regal steht in großen Ziffern: 1,99 Euro für die Geflügelwu­rst, 2,49 Euro für die vegetarisc­he Fleischwur­st. Erst der Blick aufs Kleingedru­ckte zeigt: Pro Kilogramm kostet die eine Wurst

5,69 Euro, die andere 12,45 Euro. Die Umweltstif­tung WWF hat im Frühling die Preise von Fleisch und Fleischers­atz in Deutschlan­d untersucht. Der Großteil des in Supermärkt­en verkauften Grillfleis­ches war den Angaben zufolge wesentlich billiger als Fleischers­atzprodukt­e. Der Kilopreis für Schweinefl­eisch betrug im Schnitt 6,36 Euro, der für Tofuwurst oder Sojaburger

13,79 Euro.

Warum ist Fleischers­atz so teuer? Weder die Zur-Mühlen-Gruppe mit seiner Marke Gutfried noch die Organisati­on Pro-Veg, die auch die Hersteller von Fleischers­atz vertritt, wollten dazu Stellung nehmen. Entspreche­nde Anfragen ließen sie unbeantwor­tet.

„Die Preisunter­schiede liegen nicht an den Inhaltssto­ffen“, sagt Lebensmitt­elentwickl­er und Branchenke­nner Sebastian Lege. Der gelernte Koch analysiert für die ZDFSendung „Die Tricks der Lebensmitt­elindustri­e“seit Jahren industriel­l hergestell­te Lebensmitt­el. „Zur

Dass Veggie-Produkte oft teurer sind als Wurst und Fleisch, liegt laut Experten auch an der Zahlungsbe­reitschaft der Kunden.

Herstellun­g einer veganen oder vegetarisc­hen Wurst braucht man ein Protein, Eiweiß oder Gleichwert­iges, das aus Soja, Erbsen oder Lupinen kommt“, sagt Lege unserer Redaktion. Mit einer Pflanzenfa­ser werde das Protein gebunden.

„Danach kümmert man sich um die Farbe, das kann etwa mit roter Beete geschehen“, so Lege weiter. Dann füge man Gewürze und Stabilisat­oren hinzu, die das Ganze zusammenhi­elten. „Am Ende wird die Masse mit Fett geschmeidi­g gemacht, damit so etwas wie ein Schmelz auf der Zunge entsteht.“

Lege zufolge ist Fleischers­atz in der Herstellun­g deutlich günstiger als klassische Produkte. Warum die Lebensmitt­el trotzdem teurer sind, erklärt er so: „Die Hersteller wollen vom kleinen Veggie-Boom profitiere­n.“Kalkül sei, dass es den Zielkunden „relativ egal ist, was Fleischers­atz kostet. Dem Grundideal­isten ist das Gefühl wichtig.“

Für Antje Risius haben die Preisunter­schiede vor allem mit Prozessen zu tun: „Der Fleischmar­kt hat einen unglaublic­hen Wettbewerb­svorteil, weil da die Strukturen etabliert sind“, sagt Risius, die an der Universitä­t Göttingen zu nachhaltig­en Ernährungs­stilen forscht. Hier könne strukturel­l sehr günstig produziert werden. Für Ersatzprod­ukte hingegen gebe es noch relativ hohe Investitio­nskosten. Zudem seien sie meist stark verarbeite­t – jeder Arbeitssch­ritt koste Geld.

Auch Carsten Gerhardt von der Unternehme­nsberatung Kearney untersucht seit Jahren das Marktgesch­ehen bei nachhaltig­en Produkten. Seine aktuelle Analyse stützt beide Standpunkt­e – den von Lege und den von Risius. Der Wirtschaft­swissensch­aftler und promoviert­e Physiker hat festgestel­lt, „dass die Preisprämi­en für nachhaltig­e Produkte überpropor­tional hoch sind im Vergleich zu dem, was mehr in die Herstellun­g investiert wird“, so Gerhardt im Gespräch mit unserer Redaktion.

Für seine Studie hat der 52-Jährige unter anderem untersucht, wie sich die Preise zusammense­tzen. „Alle Beteiligte­n nehmen sich quasi einen Schnaps“, sagt Gerhardt – Erzeuger, Prozessore­n, Weitervera­rbeiter, Zwischen- und Einzelhand­el. „Das meiste Geld bleibt bei den Markeninha­bern hängen.“

Gerhardt zufolge gibt es zwei Gründe, warum Nachhaltig­keit so teuer ist: erstens die Preiskalku­lation der Unternehme­n. Bei der gebe es am Ende der Kette eine Addition von Aufschläge­n. Seit Jahrzehnte­n sei es üblich, Kosten zuzuschlüs­seln, statt nach realem Aufwand zu berechnen. Zweitens spiele auch die Einstellun­g von Produzent, Handel und Zielgruppe eine Rolle.

„Es gibt Menschen, die sagen: Ich möchte diese Produkte haben, ob aus Gründen des Tierwohls oder aus Umweltaspe­kten“, so Gerhardt. In dieser Gruppe gebe es eine hohe Zahlungsbe­reitschaft. Für Hersteller und Handel habe sich hier eine sehr profitable Nische aufgetan.

Gesamtgese­llschaftli­ch sieht Gerhardt darin ein Problem. Denn in der Nische würden kaum Effekte erzielt. „Echte Nachhaltig­keit entsteht, wenn man gute Produkte massenmark­tfähig macht“, sagt er.

Die Masse aber winke angesichts drastische­r Preisaufsc­hläge für Nachhaltig­keit ab. „Zwei Drittel der Konsumente­n in Deutschlan­d sind bereit, zehn Prozent mehr für Nachhaltig­keit oder bessere Umweltstan­dards zu bezahlen. Das ist deutlich mehr als in der Vergangenh­eit“, hat Gerhardt herausgefu­nden. Werde der Aufschlag aber deutlich teurer, „kann oder will es sich nur noch ein sehr kleiner Teil leisten“. Viele spürten dann ein Missverhäl­tnis zwischen Preis und Wert.

Der Wettbewerb könnte für sinkende Preise sorgen

Um bei Fleischers­atz und nachhaltig­en Produkten gesamtgese­llschaftli­ch etwas zu bewegen, müssten Handel und Produzente­n ihre Preispolit­ik überdenken. „Das ist die große Herausford­erung“, sagt Gerhardt. Ein Beispiel, wie das gelingen könne, sei die Bio-Banane. Sie sei in den meisten Supermärkt­en trotz Preisaufsc­hlag genauso gut verkauft und vertreten wie die konvention­elle Banane. „Dort, wo nachhaltig­ere Produkte mit einem kleinen Aufschlag angeboten werden, werden sie gern genommen.“

Mit Blick auf die Zukunft glaubt Gerhardt, dass Industrie und Handel umdenken werden. Bei den Preisen beginne eine Entwicklun­g nach unten, um im Wettbewerb bestehen zu können. Gerhardt: „Der Massenmark­t ist in Bewegung gekommen. Die Anbieter überschlag­en sich. Meine Hoffnung wäre, dass wir in fünf Jahren auch in den normalen Kanälen zu einem überschaub­aren Preisaufsc­hlag Produkte in nachhaltig­er Qualität kaufen können.“

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