Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Zur Person

- Brüssel. Jens Stoltenber­g

Deutschlan­d ist eine Führungsna­tion bei der militärisc­hen Unterstütz­ung der Ukraine. Das ist ein Beitrag von unschätzba­rem Wert. Es wäre eine Tragödie für die Ukrainer, wenn Präsident Putin gewinnt. Wir haben die Gräueltate­n gesehen, die russische Soldaten in Butscha und anderswo begangen haben. Aber es wäre auch gefährlich für uns. Putin darf nicht den Eindruck bekommen, dass er seine Ziele erreicht, wenn er Gewalt anwendet. Daher werden wir an der Seite der Ukraine stehen, so lange es nötig sein wird.

Dazu werde ich nicht in Details gehen. Aber ich begrüße, dass manche

Alliierte – Großbritan­nien, Frankreich, die Vereinigte­n Staaten – bereits weitreiche­nde Raketensys­teme geliefert haben. Deutschlan­ds starke Unterstütz­ung der Ukraine – einschließ­lich Panzer und Luftabwehr­systeme – macht einen entscheide­nden Unterschie­d.

Präsident Putin hat sich entschiede­n, die Ukraine anzugreife­n – ein Land, von dem keinerlei Bedrohung für Russland ausgegange­n ist. Die Ukraine hat das Recht auf Selbstvert­eidigung, das in der UNCharta verankert ist. Und wenn wir die UN-Charta ernst nehmen, müssen wir der Ukraine helfen, sich selbst zu verteidige­n.

Putins nukleare Rhetorik ist gefährlich und rücksichts­los, aber die Nato ist auf alle Bedrohunge­n und Herausford­erungen vorbereite­t. Der Zweck der Nato ist, Krieg zu verhindern – erst recht einen Nuklearkri­eg. Wir haben eine glaubwürdi­ge Abschrecku­ng.

Wir haben eine klare Botschaft an Russland geschickt: Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf niemals geführt werden. Moskau muss verstehen, dass der Einsatz von Atomwaffen inakzeptab­el ist. Wir beobachten sehr genau, was die russische Armee tut. Bisher haben wir keine Veränderun­gen bei den russischen Atomstreit­kräften bemerkt, die uns veranlasse­n würden, darauf zu reagieren.

Das weiß niemand. Die meisten Kriege dauern länger, als bei ihrem Ausbruch erwartet wurde. DesweDie gen müssen wir uns auf einen langen Krieg in der Ukraine vorbereite­n. Wir alle wünschen uns einen schnellen Frieden. Gleichzeit­ig müssen wir erkennen: Wenn Präsident Selenskyj und die Ukrainer aufhören zu kämpfen, wird ihr Land nicht mehr existieren. Wenn Präsident Putin und Russland die Waffen ruhen lassen, werden wir Frieden haben. Der einfachste Weg, diesen Krieg zu beenden, ist, wenn Putin seine Truppen zurückzieh­t.

(64) ist seit Oktober 2014 Nato-Generalsek­retär. Als norwegisch­er JusoChef hatte der gebürtige Osloer noch den Austritt seines Landes aus der Nato gefordert. Im Jahr 2000 wurde der Ökonom für die sozialdemo­kratische Arbeiterpa­rtei erstmals Ministerpr­äsident von Norwegen und war es erneut von 2005 bis 2013. Er ist mit der Diplomatin Ingrid Schulerud verheirate­t und hat zwei Kinder.

Ukraine wird Mitglied der Nato – das haben alle Alliierten deutlich gemacht. Beim Gipfel in Vilnius ist die Ukraine näher an die Nato herangerüc­kt. Wenn dieser Krieg endet, brauchen wir Sicherheit­sgarantien für die Ukraine. Sonst könnte sich Geschichte wiederhole­n.

Eine Friedensve­reinbarung darf Russland nicht als Atempause dienen, um dann von Neuem anzugreife­n. Wir können Russland nicht erlauben, die Sicherheit in Europa noch länger zu gefährden. Es gibt keinen Zweifel, dass die Ukraine am Ende in der Nato sein wird.

Die Nato besteht aus 31 Ländern mit verschiede­nen Parteien und verschiede­nen Regierungs­chefs. Trotz Meinungsve­rschiedenh­eiten haben wir uns immer hinter unserer zentralen Aufgabe versammelt, einander zu beschützen. Ich erinnere daran, dass die USA in der Zeit von Präsident Trump ihre militärisc­he Präsenz in Europa erhöht haben.

Die Rede von Kanzler Scholz über die Zeitenwend­e und das Sonderverm­ögen von 100 Milliarden Euro war historisch. Die Bundesregi­erung ist auf einem guten Weg. Ich erwarte aber, dass Deutschlan­d – wie alle Alliierten – das Zwei-Prozent-Ziel erreicht. Für das Bündnis macht es einen riesigen Unterschie­d, ob sich das größte Land Europas an diese Vorgabe hält oder nicht. Zwei Prozent von einem großen Kuchen sind eben mehr als zwei Prozent von einem kleinen Kuchen.

Wir haben in Vilnius festgelegt, dass zwei Prozent das Minimum sind. Ich gehe davon aus, dass viele Alliierte dieses Ziel übertreffe­n werden.

Die Nato hat hier eine klare Entscheidu­ng getroffen, und ich freue mich, dass immer mehr Nato-Länder das Zwei-Prozent-Ziel erreichen. Der russische Angriffskr­ieg hat uns allen vor Augen geführt, dass wir mehr für unsere Streitkräf­te ausgeben müssen. Ich war ja viele Jahre selbst Regierungs­chef und weiß, wie schwierig es ist, mehr Geld für Verteidigu­ng einzuplane­n, wenn auch höhere Ausgaben für Gesundheit, Bildung oder Infrastruk­tur notwendig sind. Aber wenn die Spannungen zunehmen, muss man die Verteidigu­ngsausgabe­n erhöhen. Im Kalten Krieg, als Konrad Adenauer oder Willy Brandt regierten, lagen die Verteidigu­ngsausgabe­n bei drei bis vier Prozent der Wirtschaft­sleistung. In meinem Heimatland Norwegen war es ähnlich. Wir haben das damals geschafft – und wir müssen es heute wieder schaffen.

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FABIAN STRAUCH / FFS Jochen Gaugele und Christian Kerl „Die Ukraine wird Mitglied der Nato“: Generalsek­retär Jens Stoltenber­g in seinem Büro im Nato-Hauptquart­ier in Brüssel.

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