Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Zur Person
Deutschland ist eine Führungsnation bei der militärischen Unterstützung der Ukraine. Das ist ein Beitrag von unschätzbarem Wert. Es wäre eine Tragödie für die Ukrainer, wenn Präsident Putin gewinnt. Wir haben die Gräueltaten gesehen, die russische Soldaten in Butscha und anderswo begangen haben. Aber es wäre auch gefährlich für uns. Putin darf nicht den Eindruck bekommen, dass er seine Ziele erreicht, wenn er Gewalt anwendet. Daher werden wir an der Seite der Ukraine stehen, so lange es nötig sein wird.
Dazu werde ich nicht in Details gehen. Aber ich begrüße, dass manche
Alliierte – Großbritannien, Frankreich, die Vereinigten Staaten – bereits weitreichende Raketensysteme geliefert haben. Deutschlands starke Unterstützung der Ukraine – einschließlich Panzer und Luftabwehrsysteme – macht einen entscheidenden Unterschied.
Präsident Putin hat sich entschieden, die Ukraine anzugreifen – ein Land, von dem keinerlei Bedrohung für Russland ausgegangen ist. Die Ukraine hat das Recht auf Selbstverteidigung, das in der UNCharta verankert ist. Und wenn wir die UN-Charta ernst nehmen, müssen wir der Ukraine helfen, sich selbst zu verteidigen.
Putins nukleare Rhetorik ist gefährlich und rücksichtslos, aber die Nato ist auf alle Bedrohungen und Herausforderungen vorbereitet. Der Zweck der Nato ist, Krieg zu verhindern – erst recht einen Nuklearkrieg. Wir haben eine glaubwürdige Abschreckung.
Wir haben eine klare Botschaft an Russland geschickt: Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf niemals geführt werden. Moskau muss verstehen, dass der Einsatz von Atomwaffen inakzeptabel ist. Wir beobachten sehr genau, was die russische Armee tut. Bisher haben wir keine Veränderungen bei den russischen Atomstreitkräften bemerkt, die uns veranlassen würden, darauf zu reagieren.
Das weiß niemand. Die meisten Kriege dauern länger, als bei ihrem Ausbruch erwartet wurde. DesweDie gen müssen wir uns auf einen langen Krieg in der Ukraine vorbereiten. Wir alle wünschen uns einen schnellen Frieden. Gleichzeitig müssen wir erkennen: Wenn Präsident Selenskyj und die Ukrainer aufhören zu kämpfen, wird ihr Land nicht mehr existieren. Wenn Präsident Putin und Russland die Waffen ruhen lassen, werden wir Frieden haben. Der einfachste Weg, diesen Krieg zu beenden, ist, wenn Putin seine Truppen zurückzieht.
(64) ist seit Oktober 2014 Nato-Generalsekretär. Als norwegischer JusoChef hatte der gebürtige Osloer noch den Austritt seines Landes aus der Nato gefordert. Im Jahr 2000 wurde der Ökonom für die sozialdemokratische Arbeiterpartei erstmals Ministerpräsident von Norwegen und war es erneut von 2005 bis 2013. Er ist mit der Diplomatin Ingrid Schulerud verheiratet und hat zwei Kinder.
Ukraine wird Mitglied der Nato – das haben alle Alliierten deutlich gemacht. Beim Gipfel in Vilnius ist die Ukraine näher an die Nato herangerückt. Wenn dieser Krieg endet, brauchen wir Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Sonst könnte sich Geschichte wiederholen.
Eine Friedensvereinbarung darf Russland nicht als Atempause dienen, um dann von Neuem anzugreifen. Wir können Russland nicht erlauben, die Sicherheit in Europa noch länger zu gefährden. Es gibt keinen Zweifel, dass die Ukraine am Ende in der Nato sein wird.
Die Nato besteht aus 31 Ländern mit verschiedenen Parteien und verschiedenen Regierungschefs. Trotz Meinungsverschiedenheiten haben wir uns immer hinter unserer zentralen Aufgabe versammelt, einander zu beschützen. Ich erinnere daran, dass die USA in der Zeit von Präsident Trump ihre militärische Präsenz in Europa erhöht haben.
Die Rede von Kanzler Scholz über die Zeitenwende und das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro war historisch. Die Bundesregierung ist auf einem guten Weg. Ich erwarte aber, dass Deutschland – wie alle Alliierten – das Zwei-Prozent-Ziel erreicht. Für das Bündnis macht es einen riesigen Unterschied, ob sich das größte Land Europas an diese Vorgabe hält oder nicht. Zwei Prozent von einem großen Kuchen sind eben mehr als zwei Prozent von einem kleinen Kuchen.
Wir haben in Vilnius festgelegt, dass zwei Prozent das Minimum sind. Ich gehe davon aus, dass viele Alliierte dieses Ziel übertreffen werden.
Die Nato hat hier eine klare Entscheidung getroffen, und ich freue mich, dass immer mehr Nato-Länder das Zwei-Prozent-Ziel erreichen. Der russische Angriffskrieg hat uns allen vor Augen geführt, dass wir mehr für unsere Streitkräfte ausgeben müssen. Ich war ja viele Jahre selbst Regierungschef und weiß, wie schwierig es ist, mehr Geld für Verteidigung einzuplanen, wenn auch höhere Ausgaben für Gesundheit, Bildung oder Infrastruktur notwendig sind. Aber wenn die Spannungen zunehmen, muss man die Verteidigungsausgaben erhöhen. Im Kalten Krieg, als Konrad Adenauer oder Willy Brandt regierten, lagen die Verteidigungsausgaben bei drei bis vier Prozent der Wirtschaftsleistung. In meinem Heimatland Norwegen war es ähnlich. Wir haben das damals geschafft – und wir müssen es heute wieder schaffen.