Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Das authentische und spontane Ich
„Es ist BeReal-Zeit!“, riefen einige Jugendliche inmitten von 1,5 Millionen junger Menschen während des Gottesdienstes beim Weltjugendtag in Lissabon. Und sofort zückten alle zeitgleich ihr Handy.
BeReal ist eine immer beliebter werdende Handy-App. Sie fordert ihre Nutzerinnen und Nutzer zu einer bestimmten Tageszeit dazu auf, ein spontanes Foto von sich aufzunehmen und an Bekannte, Freundinnen und Freunde zu verschicken. Wenn man dieser Aufforderung zeitnah folgt, gibt es eine digitale Belohnung. Damit auch in Lissabon niemandem diese Belohnung entgeht, hat sich die pilgernde Jugend natürlich auch mitten im Gottesdienst gegenseitig vorgewarnt: „Es ist BeReal-Zeit!“.
Sicher finden sich viele Kritikpunkte an diesem Trend. Aber eines gefällt mir an BeReal: Bei dieser App geht es um ganz authentische, spontane und reale Eindrücke meines Lebens. Es sind keine gestellten Fotos wie bei einer Hochzeit, keine geschminkten Auftritte wie im FernWas
sehen und keine einstudierten Reden wie in der Politik. Bei BeReal geht es um mein wahres Gesicht. Es bleibt kaum Zeit dafür, zu überlegen, wie ich auf dem Bild wohl am besten rüberkomme – auch wenn Einzelne auch diese Fotos zu optimieren versuchen.
bei BeReal zum Erfolgskonzept gehört, funktioniert im Alltag fast nie. Mir fällt es meistens schwer, mich einfach so zu zeigen, wie ich bin. Wer hat vor anderen Leuten nicht schon manche Begebenheiten so erzählt, dass man selbst in besserem Licht dasteht? Oder diejenigen Details weggelassen, die einen selbst schlecht aussehen lassen?
Ich für meinen Teil zeige mich am liebsten von meiner Schokoladenseite, ohne Falten und graue Haare, ohne Schwächen und Macken. Vielleicht komme ich deshalb nicht so recht an die BeReal-App ran.
Am Sonntag wird in katholischen Gottesdiensten folgender Satz vorgelesen: „So werden die Letzten
Erste sein und die Ersten Letzte.“(Mt 20,16) Es ist eigentlich banal: Bei Gott wird nicht derjenige der Erste, der sich am besten präsentieren kann. Bei ihm gewinnt nicht diejenige, die sich im Leben super darstellen kann. Das entlastet total. Gott müssen wir nichts beweisen. Vor ihm müssen wir aber auch nichts verstecken.
Die wichtigste Person im Universum kennt unsere ansehnlichsten Stärken und unsere peinlichsten Schwächen. Und nimmt uns genau so an. Bei Gott gilt immer: „Es ist BeReal-Zeit!“.