Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Das Beispiel Altenburg: Kulturdialog im zerrissenen Gemeinwesen
In einem bemerkenswerten Bürgerforum treten Konflikte offen, aber mit Respekt voreinander zutage – Der Oberbürgermeister sieht derweil vor allem das Imageproblem
ALTENBURG. „Schauspieler aus Tel Aviv zurück in Altenburg“meldete das Theater am Dienstag. Man bereitet mit hebräischen und palästinensischen Kollegen „Cohn Bucky Levy – Der Verlust“vor. Die Produktion erzählt im Mai eine deutsch-jüdische Familiengeschichte aus und in Altenburg. Beteiligt sind insgesamt zehn Schauspieler aus sechs Nationen.
Damit setzt Schauspielchef Bernhard Stengele den Schlusspunkt unter seine fünf Jahre in Altenburg und Gera, die beispielgebend sind. Er macht zeitgemäßes Theater, indem er im Schauspiel tat, was im Musik- und im Tanztheater längst üblich ist: Er internationalisierte es.
Auf der Bühne erlebt Altenburg damit bereits, was Stadtrat Nikolaus Dorsch (SPD) am Dienstagabend fürs ganze lokale Gemeinwesen sah: „die Notwendigkeit, dass wir uns der offenen Gesellschaft stellen.“
Sein Parteifreund, OB Michael Wolf, hatte zum offenen Kulturdialog ins Rathaus geladen, der gleichsam Notwendigkeit wurde, die sich auch aus Stengeles aufsehenerregender Arbeit ergab. Denn nun erregte Aufsehen, dass nicht nur er das Theater verlässt, sondern Schauspieler aus Griechenland, der Türkei und Burkina Faso, die das, unter vielem anderen, mit einer veränderten Stimmungslage in der Stadt begründen. Diese wiederum gründet unter anderem im Umstand, dass sich ein Teil der 33 000 Einwohner von 1500 Flüchtlingen überrannt fühlt.
Wolfs Kulturdialog, mit 200 Besuchern sowie 15 kontroversen Wortmeldungen binnen zwei Stunden, war ein voller Erfolg. Nur der OB selbst
wird das womöglich anders sehen, weil er das Richtige anzettelte aus falschen Motiven heraus: „Es kommt immer
darauf an, wie wir von außen wahrgenommen werden.“
Wolf versucht, die Debatte auf ein Imageproblem der Stadt zu verengen – und führt einen verständlichen Grund an: Der belgische Gesellschafter der Spielkartenfabrik hat demnach bereits Investitionen infrage gestellt, nachdem man von Fremdenfeindlichkeit las. Doch der Berliner Intendant Ulrich Khuon, Präsident des Deutschen Bühnenvereins, dem die Moderation angetragen worden war, hielt dagegen: Ein Gemeinwesen sei darauf angewiesen, sich zu verständigen und Konflikte auszutragen. Über die Künste habe eine Stadt dafür praktisch ein Forum. Das hält er für weitaus „wichtiger als die Wirkung nach außen, zumal diese labil ist“.
Khuon spürte irgendwann an diesem Abend, „dass es eine starke Zerrissenheit gibt“. Da gab es in der Tat jene, die sagten, man habe noch nie Konflikte mit den Fremden in Altenburg gehabt, jene, die forderten, „die Vielfalt, die wir haben, sollten wir nutzen“und jene, die von Flüchtlingen sprechen, „die ungefragt in die Gesellschaft implementiert werden“.
Die Auseinandersetzung erreichte insofern ein hohes Niveau, da sie von allen Seiten klar und deutlich, aber mit hohem Respekt geführt wurde. Nicht nur Pfarrer Jürgen Hauskeller, Vater schwarzhäutiger Kinder, erklärte dem OB, er solle nicht so tun, als habe die Stadt kein Problem mit Alltagsrassismus. Aus Angst vor der Außenwirkung, so Stadtrat Johannes Schäfer, habe man „versucht, ganz viel unterm Deckel zu halten“.
Wolf hält derweil „97 Prozent“seiner Bürger für weltoffen und fremdenfreundlich. Das ist eine sehr ungesicherte Zahl. Die Stadt ist dieser Tage nur ein Beispiel für die Konflikte im ganzen Land – und könnte beispielgebend für eine Debattenkultur sein.