Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Digitalisierung verändert die Gesellschaft
Der Internetguru Sascha Lobo erzählt über den raschen Wandel, mobile Banken und Chancen
Herr Lobo, was ist Digitalisierung?
Digitalisierung bedeutet, dass sich gesellschaftliche Prozesse in die digitale Welt verschieben. Also das, was vorher dinglich passiert ist, auf einmal mit Nullen und Einsen abgewickelt wird. Und das Interessante ist, Digitalisierung ist nie vorbei. Schon vor 40 Jahren wurde von Digitalisierung gesprochen und man spricht heute noch davon. Weil Digitalisierung immer das ist, wo man gerade noch nicht ist, was jetzt auf uns zu kommt.
Was kommt auf uns zu?
Auf uns kommt zum Beispiel zu, dass große Plattformen, also so eine Mischung aus Marktplatz und Betriebssystem im Internet, wie Facebook oder Amazon, immer mehr Branchen regelrecht aufsaugen und dort ihre Regeln diktieren. Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass Plattformen in der Automobilwirtschaft, der Chemie bis hin zum Handel eine massive Rolle spielen werden.
Was bedeutet das ganz konkret: Uns darauf vorbereiten?
Vorbereitung auf die Digitalisierung bedeutet zuallererst, sich ständig weiterzubilden. Zum einen wie genau der digitale Wandel geschieht und zum zweiten, dass wir uns nicht auf alles vorbereiten können. Das ist gerade das Schwierige an Digitalisierung, sie ist nicht linear, sie passiert ruckartig und in vielen Bereichen überraschend. Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass solche Überraschungen eben keine Katastrophen mehr auslösen, sondern irgendwie bewältigbar sind.
Der Wandel passiert von heute auf morgen. Wie muss man darauf reagieren?
Wenn wir von der Wirtschaft ausgehen, ist es so, dass Branchen vergleichsweise komplett durcheinander gewirbelt werden. Es passiert noch nicht so häufig, dass diese von heute auf morgen sterben. Aber, dass von heute auf morgen branchenfremde Unternehmen mit ganz anderen Produkten in einer Branche erfolgreich sind und etablierte Unternehmen mit ihren Produkten zurückfallen, das war schon immer so, aber das geht heute schneller als jemals zu-
Megatrend Digitalisierung – ist das ein Megatrend?
Der Begriff Megatrend ist ein bisschen irreführend, vergleichsweise sogar nichtssagend. Digitalisierung greift in alle Bereiche der Gesellschaft hinein. Von der Bildung über die Kultur, die Politik, die Wirtschaft und die Kommunikation sowieso. Auch in das Sozialgefüge greift sie ein, gar wie Staaten organisiert werden. Deshalb ist Megatrend ein zu flapsiges Wort um zu beschreiben, wie tiefgreifend dieser Wandel ist.
In den USA funktioniert Banking per App viel einfacher als bei uns. Stehen Veränderungen bald an?
Die Finanzwirtschaft, besonders die Banken, sind, aus meiner Sicht, mit am stärksten von der Digitalisierung betroffen. Da ist der Wandel so umfassend, dass infrage steht wie genau das Finanzinstitut des Jahres 2025 aussieht.
Zugespitzt: Werden wir nicht mehr in Bankfilialen gehen, sondern unsere Geldgeschäfte komplett mobil erledigen?
Ich möchte mir nicht anmaßen zu sagen, ob es weniger oder keine Banken geben wird, in die man hineingehen kann. Was vollkommen klar ist, dass die digitale Entwicklung, speziell die mobile, quasi die Bank auf dem Smartphone, völlig neue Möglichkeiten mit sich bringt. Und dass diese die Finanzwirtschaft selbst auch verändern können. Ein Teil der Finanzwirtschaft wird auf einmal überflüssig. Ich glaube nicht, dass die Veränderungen in jeder Dimension voll durchschlagen, aber man muss sich darauf vorbereiten.
Wie könnten ältere Menschen mit der völligen Digitalisierung umgehen?
Ich glaube nicht, dass es in den nächsten Jahren zur völligen Digitalisierung kommt, jedenfalls nicht in den meisten, heute relevanten Branchen. Ich glaube aber schon, dass man immer weniger Alternativen zum Digitalen hat, dass aber noch bestimmte Ansätze eine Zeit lang nichtdigital da sein werden. Das hängt damit zusammen, dass Deutschland – demografisch gesehen – das zweit älteste Land der Welt ist und sich gerade ältere Leute nicht daran gewöhnen wollen. Das ist ihr gutes Recht. Ich bin sicher, dass sich bestimmte Dinge nicht so schnell ändern werden, sondern parallel weiter existieren. Aber das Internet ist keine Alters-, sondern eine Haltungsfrage. Und diese Haltungsfrage kann auch bedeuten, das sich immer mehr ältere Menschen anfangen, im Netz mit anderen Menschen zu verbinden. Damit haben sie im Internet große Vorteile. Dem Internet ist es egal, wie mobil man ist.
2014 schrieben Sie in einem FAZArtikel, dass das Internet kaputt sei. Das hatte mit dem Bekanntwerden der globalen Überwachung zu tun, die Edward Snowden aufdeckte. Ist es immer noch kaputt?
Der Satz geht noch weiter: Die Idee der digitalen Vernetzung ist es nicht. Was ich damit sagen wollte, ist: Das Internet ist durch diese Überwachungskatastrophe in seinen Grundfesten erschüttert worden und es ist deutlich geworden, wie weit Überwachung stattfindet. Man hätte darauf besser reagieren können. Die Überwachung hat sich ärgerlicherweise gar nicht so intensiv geändert. Dass mittlerweile einer der größten Messenger-dienste der Welt, Whatsapp, eine ausgefeilte Verschlüsselung anbietet, sind Entwicklungen, die darauf hinweisen, dass das Internet immer weniger kaputt werden kann. Ob es tatsächlich so kommt, kann ich leider nicht beurteilen. Mein Gefühl ist aber, dass es eine viel größere Aufmerksamkeit für diese Fragen gibt.
Das hat auch mit dem Sicherheitsbewusstsein zu tun?
Das Sicherheitsbewusstsein ist größer geworden. Menschen achten eher auf digitale Privatsphäre. Auch wenn das Bewusstsein noch lange nicht da ist, wo es sein könnte. Zumindest haben die Menschen angefangen, sich damit zu beschäftigen.