Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Ballstädt-prozess endet mit Haftstrafen für elf Angeklagte
Urteile gehen teils über Forderungen der Staatsanwaltschaft hinaus – Richter: Brutaler Angriff auf Zivilgesellschaft
ERFURT. Das Interesse an den Richtersprüchen im Ballstädtprozess war gestern so groß, dass sich die Urteilsverkündung am Nachmittag verzögerte. Die aufwendigen Polizeikontrollen mussten abgeschlossen sein, bevor der letzte Verhandlungstag eröffnet werden konnte. Zahlreiche Anhänger der rechtsextremen Szene hatten im Gerichtssaal Platz genommen, aber auch viele Bewohner aus Ballstädt im Kreis Gotha, wo der brutale Überfall auf eine Kirmesgesellschaft im Februar 2014 geschehen war.
Die Angeklagten verfolgten die Urteilsverkündung mit betretenen Gesichtern. Für elf von ihnen wurden Haftstrafen verhängt – nur in einem Fall zur Bewährung ausgesetzt. Vier Männer erhielten einen Freispruch.
Der mutmaßliche Anführer und ein weiterer Angeklagter sollen dreieinhalb Jahren hinter Gitter, sieben Männer und eine Frau etwas länger als zwei Jahre. Ein Angeklagter hatte mit seiner Aussage bei der Polizei seine Komplizen belastet, dies wurde vom Gericht mit der Bewährungsstrafe honoriert. Allen Verurteilten wirft das Gericht gefährliche Körperverletzung in zehn tateinheitlichen Fällen vor. Sie begingen den Überfall gemeinsam. Die Gruppe habe den Saal gestürmt, am Ende gab es zehn schwer verletzte Opfer. „Der Saal sah aus, als sei eine Bombe eingeschlagen“, beschreibt der Richter den Tatort. Fluchtartig sei die Gruppe auch wieder verschwunden. „Das deutet auf Absprachen hin.“
Wer geschlagen hat, konnte die Kammer nicht klären. Mit einer Ausnahme: Beim Anführer hegen die Richter keinen Zweifel. Dieser habe unter anderem
Gericht sieht Absprachen zur Tat
Handschuhe mit Protektoren getragen.
Mit ihren Strafen liegt die Jugendkammer am Landgericht Erfurt teilweise noch über den Forderungen der Staatsanwaltschaft. Gegen die Urteile kann binnen Wochenfrist Revision eingelegt werden. Bei mehreren Angeklagten sind rechtliche Schritte zu erwarten. Die Staatsanwaltschaft möchte die Urteilsbegründung noch prüfen, sieht in der Tendenz aber keinen Anlass zur Revision.
Es sei eine ungemein brutale, feige Tat gewesen, mit einer hohen Anzahl von Opfern. Richter Holger Pröbstel spricht in der Urteilsbegründung von einem „Angriff auf die Zivilgesellschaft aus völlig nichtigem Anlass“.
Ob die Angeklagten, die sich über die Auswirkungen des Prozesse
beklagten, auch nur einmal überlegt hätten, was die Opfer mitgemacht haben, fragte der Richter. Die Gruppe der Angeklagten ist für ihn ein Mob, der auf einmal vor der Tür stand – und dann zuschlug. Dass zuvor ein Streit „aus dem Ruder lief“, wie die Verteidigung im Prozess angeführt hatte, will Richter Pröbstel nicht erkennen. „Das ist krasse Selbstjustiz“, lässt er keinen Zweifel an seiner Bewertung des Geschehen.
Mehrfach betonte der Richter, dass keines der zehn schwer verletzten Opfer, keiner der auf der Kirmesfeier Anwesenden, vor diesem Überfall einen Stein in eine Fensterscheibe eines Hauses geworfen habe. Dafür gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Alle Opfer der Attacke sind aus Sicht der Richter Unschuldige.
Vertreter der Nebenklage waren mit dem Verlauf des Prozesses und den Urteilen nicht rundweg zufrieden. Das Gericht habe den Überfall endpolitisiert, kritisierten sie. Es gehe nicht darum, dass jemand Haus und Hof verteidige, weil eine Fensterscheibe eingeworfen wurde.
Organisierte rechte Strukturen ignoriert?
Vielmehr versuchten die Angeklagten, „einen hegemonialen Anspruch in diesem Ort zu verteidigen, wo sie ihre Musik produzieren wollen, wo sie ihre Konzerte organisieren wollen, wo sie sich treffen wollen“, betonte Nebenklageanwältin Kristin Pietrzyk. Damit verschließe
die Kammer die Augen vor „organisierten rechten Strukturen“. Auch Katharina König-preuss, antifaschistische Sprecherin der Linksfraktion, wirft dem Gericht vor, „keine Nazitat festgestellt“zu habe.
Die Haftstrafen seien die richtige Antwort auf einen der brutalsten Neonaziüberfälle in Thüringen, so Dorothea Marx, justizpolitische Sprecherin der Spdfraktion. „Ich begrüße die Urteile als starkes Signal des Staates und der Gesellschaft gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Intoleranz“, sagte Cduinnenexperte Wolfgang Fiedler. Die Verurteilungen hätten gezeigt, wie wichtig ein gut aufgestellter Verfassungsschutz für die Verteidigung der Demokratie sei. Der erste Hinweis auf die Täter kam vom Verfassungsschutz.