Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Die Bühne als Rangierbahnhof
Eisenach disponiert aufwendig mit Meiningen, Rudolstadt und Gotha sowie neuem Kinder und Jugendtheater für ganz Thüringen
EISENACH. Das ist ein bislang einmaliger Vorgang: Drei Intendanten, die vier Einrichtungen vertreten, präsentieren die Spielzeit eines einzigen Theaters. Darin kulminierte am Mittwoch wohl, was sie in Eisenach „Die neue Spielfalt“nennen. Aus Schwächen des nominellen Landestheaters sollen Stärken werden: eine Vielfalt des Angebots, die „in erster Linie durch die Zusammenarbeit mehrerer Betriebe dargestellt“wird, so Hausherr Ansgar Haag, der in erster Linie der Intendant Meiningens ist.
„Es ist eine riesengroße Familie geworden“, so Michaela Barchevitch, Intendantin der Thüringen Philharmonie Gotha, in der zum Sommer die Landeskapelle Eisenach aufgeht. Das eröffne allen „wunderbare künstlerische Möglichkeiten“.
Rudolstadts Intendant Steffen Mensching erinnerte, dass Familien auch Orte des Streits sind. Er empfahl Eisenach gleichwohl, stolz zu sein: aufs neue Kinder- und Jugendtheater in Thüringen, das hier „für das gesamte Land“entstehen werde.
Dergleichen habe er dem damaligen Kulturminister Christoph Matschie (SPD) schon vor sechs Jahren vorgeschlagen; damals sei nichts passiert. Nach neuen Verträgen mit Matschies Nachfolger Benjamin Hoff (Linke) geht man den ersten Schritt: Die Eisenacher Sparte unter Leitung Stephan Rumphorsts wird auch Rudolstadt und Meiningen bespielen.
Und so beginnt also das große Rangieren auf dem Theater-bahnhof. Denn derweil zeigen die Rudolstädter, die seit 13 Jahren Nordhausen bedienen, nun auch in Eisenach vier Schauspiele mit je sechs Vorstellungen, um dort „das Abo-system zu erhalten“, so Mensching. Und er fügt hinzu: „Wir kommen nicht mit unseren Billigproduktionen, sondern mit unseren opulentesten.“Dazu zählt er seine Inszenierung „Faust_eins“, in der er selbst die Titelrolle spielt: Goethes Tragödie mit Schauspielmusik unter anderem Alfred Schnittkes. Dazu reist er mit 100 Leuten an, den Thüringer Symphonikern Saalfeldrudolstadt inklusive. Das ist nicht im Sinne der Erfinder neuer Strukturen und „nicht effektiv“, räumt Mensching ein. Doch passt die Produktion nicht mehr in Barchevitchs mit langem Vorlauf geplante Saison der neuen Philharmonie Gotha-eisenach. Dieses 71 Musiker starke Orchester, dessen Gesamtprogramm die Intendantin nächste Woche unterm Titel „Musik Infusion“vorstellt, ermöglicht Eisenach auch musikalisch große Ballette. Andris Plucis wird Tschaikowskys „Dornröschen“choreographieren: „mit einem originellen Konzept“. Geplante Auftritte in Erfurt kommen einstweilen aber nicht zustande, weil die Philharmoniker eben keine Zeit haben.
Um sie zusätzlich zu entlasten, wird Ansgar Haag nun doch seine Meininger Hofkapelle in den Graben bitten, wenn „Dornröschen“am Südthüringischen
Staatstheater tanzt. Auch das war so nicht vorgesehen. Doch ist die Hofkapelle ihrerseits ja dadurch entlastet, dass sie keine Konzerte in Eisenach mehr gibt.
Die Thüringen Philharmonie Gotha-eisenach bestreitet acht Sinfoniekonzerte im Landestheater, wie sie auch in Gotha aufgeführt werden. Sechs davon leitet Russell Harris: Der einstige Weimarer Kapellmeister und spätere GMD in Altenburggera wird übergangsweise, in der Nachfolge Michel Tilkins, neuer Chefdirigent der Philharmoniker und dirigiert auch „Dornröschen“. Fünf Sonder- und vier Jugendkonzerte stehen zudem auf dem Plan.
Musiktheater aus Meiningen wird, so verspricht Ansgar Haag, unter den neuen Bedingungen in Eisenach „einen gewissen Aufschwung erleben“. Der Intendant kündigt größere Opern an, aus planungstechnischen Gründen aber erst ab der Saison 2018/19. Zuvor tritt derweil Mozarts „Cosi fan tutte“an die Seite von Rossinis „Barbier von Sevilla“, der soeben Eisenacher Premiere feierte.
Völlig neu entwickelt das Haus aber eben Kinder- und Jugendtheater als Sparte, die weit über die Region hinaus wirksam werden soll. Für die Leitung holte man nach drei Jahren den Schauspieler, Regisseur und Theaterpädagogen Stephan Rumphorst zurück, zunächst mit einjährigem Vertrag. Mit sechs Schauspielern und viel Programm orientiert er sich „an der Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen“, sagt er.
So wird aus Goethes „Werther“ein pubertätskompatibles Stück zur „Balance zwischen gesellschaftlichen Normen und eigener Gefühlswelt“. Mit Astrid Lindgrens „Mio, mein Mio“will man etwas über der Phantasie innewohnende Lebenskraft erzählen, mit Mike Kennys „Der Junge mit dem Koffer“etwas über Flüchtlinge. Mit dem Ballett bringt man das Musical „Fame“heraus, über den Wunsch, berühmt und wahrgenommen zu werden.
Wenn die neuen Strukturen im Herbst zu greifen und reifen beginnen, ist es 25 Jahre her, dass man die alten zu zerschlagen begann. Zunächst schloss man das Schauspiel, obwohl es Wege gab, das zu vermeiden. 2003 löste Eisenach ohne Not die acht Jahre währende Fusion mit Rudolstadt auf. „Das war vielleicht keine kluge Entscheidung damals“, meinte gestern Steffen Mensching. Eisenachs Theater scheiterte stets zu allerst an der Kommunalpolitik. Mal sehen, ob sie nun die Kurve kriegen.
Chefdirigent Gothaeisenach: Russell Harris für Übergang
„Auch das Musiktheater wird in Eisenach einen gewissen Aufschwung erleben. Im ersten Jahr wird man das noch nicht merken, aber in naher Zukunft.“