Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Der italienische Patient
Marode Banken, Schulden, Arbeitslosigkeit – und Sorgen über steigende Zuwanderung
ROM/BERLIN. Es waren Italiener, die einst das Bankenwesen in Europa aufbauten. Die Stadt Florenz stieg im 13. Jahrhundert zu einer Handelsmacht auf, erste Kredit- und Wechselgeschäfte fanden statt. Mittlerweile sind die Italiener eher mit der Abwicklung der Geldhäuser beschäftigt. Auch die wirtschaftliche Situation der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone bereitet Sorgen, ebenso wie eine unsichere politische Lage und viele Flüchtlinge, die über Italien nach Europa kommen. Ein Überblick :
Arbeitsmarkt
Forscher des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) haben die Arbeitsmarktsituation in den ehemaligen Eu-krisenländern Irland, Portugal, Spanien, Zypern, Griechenland und Italien untersucht. Sie verglichen in ihrer Studie, die dieser Redaktion exklusiv vorliegt, die Situation im Jahr 2008 mit dem Stand der Arbeitslosigkeit im vierten Quartal 2016. Dabei zeigt sich: „Am schlechtesten unter diesen Ländern schneidet Italien ab“, schreiben die Forscher. Laut Untersuchung konnten die übrigen Staaten die Arbeitslosenquote gegenüber dem Höchststand im Jahr 2008 deutlich verringern. Portugal etwa reduzierte die Quote um fast 40 Prozent, Spanien um knapp 30 Prozent, Griechenland immerhin um 16,5 Prozent. Italien dagegen schaffte in acht Jahren nur 7,8 Prozent. Zwar ist die Arbeitslosenquote
von ihrem Höchststand im Jahr 2014 (12,64 Prozent) auf zurzeit 11,3 Prozent gesunken, doch noch immer sind 37 Prozent der jungen Italiener ohne Arbeit.
Wirtschaft
Im Länderbericht zu Italien schrieb der Internationale Währungsfonds (IWF), das Land müsse dringend Reformen umsetzen. Das Beschäftigungs- und Produktionsniveau sei weiterhin zu schwach, die Lohnfindung müsse reformiert, die Probleme der Banken gelöst und die Haushaltsdisziplin beibehalten werden. Italien habe in den vergangenen Jahren lediglich von
günstigen Umständen, etwa von den niedrigen Zinsen, profitiert, so der IWF.
Banken
Die Institute haben problematische Kredite im Wert von 200 bis 350 Milliarden Euro in den Büchern, niemand weiß das so ganz genau. Europäische Regeln für Staatshilfen verbieten eigentlich staatliche Rettungsaktionen für Banken. Doch über das Sorgenkind Nummer eins des maroden italienischen Bankensektors hatte es eine Grundsatzeinigung zwischen der Eu-kommission und der Regierung in Rom gegeben. So darf Italien der angeschlagenen Traditionsbank
Monte dei Paschi di Siena mit einer milliardenschweren Kapitalspritze helfen. Auch weil sie als „too big to fail“, gilt. „Zu groß zum Scheitern“, heißt: ihre Pleite könnte ein schweres Finanzbeben auslösen. Bei der Abwicklung zweier kleineren Banken muss der italienische Steuerzahler bereits jetzt Milliarden Euro zahlen.
Politische Situation
In Italiens Sommer herrscht politische Windstille. Es ist die Ruhe vor dem Sturm: Zwar sind nach langem Hin und Her die Parlamentswahlen nun erst für das Frühjahr 2018 angesetzt. Aber in Rom, wo der Nachfolger des Reformers Matteo Renzi, der Sozialdemokrat Paolo Gentiloni regiert, macht man sich fit für einen heißen Herbst. Prognosen zeigen außerdem eine Pattsituation zwischen den drei wichtigsten politischen Lagern, linkem und rechtem sowie Fünfsterne-populisten. Sie sind untereinander nicht koalitionsfähig, zerfleischen sich jeweils intern in Grabenkämpfen, haben noch keine Kandidaten. Renzi ringt um ein Comeback, nun stiehlt allen plötzlich ein alter Bekannter die Show: Silvio Berlusconi. Er kann zwar wegen Vorstrafen nicht kandidieren, aber als graue Eminenz Wahlkampf für die Rechten machen.
Flüchtlinge
Knapp 94 000 Flüchtlinge sind seit Jahresbeginn 2017 in Süditalien angekommen, mehr als je zuvor. Zum Jahresende könnten es 200 000 oder mehr sein. 600 000 sind es seit dem Jahr 2014, und fast alle sind noch im Land. Registrierung und Aufnahme sind fast lückenlos durchorganisiert. Aber nur ein Bruchteil konnte – wie es Euabkommen vorsehen – in andere Eu-länder weiterreisen.
Lediglich mit Deutschland herrscht eine gute Kooperation, auch in Sachen Afrikapolitik, auf die die Regierung in Rom langfristig stark setzt. Kurzfristig baut sie auf eine intensive Libyenpolitik, die Unterstützung der dortigen Küstenwache sowie einen Kodex, der den freiwilligen Rettungsschiffen untersagt, in libysche Küstengewässer zu fahren oder Kontakt mit Schleusern aufzunehmen.