Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
„Es geht uns nicht um kapitalistische Verwertbarkeit“
Linkefraktionschefin Hennigwellsow zum von ihr mitverfassten neuen Einwanderungskonzept
ERFURT. Es ist ein Diskussionsbeitrag für die Partei, den die sechs Linke-fraktionschefs der ostdeutschen Landtage hier vorgelegt haben. Das Konzept eines linken Flüchtlings- und Einwanderungsgesetzes fußt auf den drei Säulen Asyl-, Einwanderungsund Staatsangehörigkeitsrecht. Und wenn man der Vorsitzenden der Thüringer Linke-fraktion vorhält, dass sich die Linke damit vom Parteiprogramm der „offenen Grenzen für alle“verabschiedet, widerspricht sie energisch. Während das geltende Aufenthaltsgesetz die „Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern“verfolge, stehe bei der Linken der soziale Anknüpfungspunkt eines Menschen im Mittelpunkt. Der sei gegeben, wenn familiäre Beziehungen bestehen oder Familienangehörige einreisen, eine Ausbildung, ein Studium oder eine Erwerbstätigkeit aufgenommen werden soll, eine Gemeinwohltätigkeit begonnen wird oder sonstige Gründe für eine soziale Verwurzelung sprechen. „Es geht uns nicht um kapitalistische Verwertbarkeit“,
betont Hennig-wellsow im Gespräch mit dieser Zeitung. Darin unterscheide man sich auch von Grünen und SPD.
Für das neue linke Einwanderungskonzept müsste das Grundgesetz geändert werden. Das Asylgrundrecht soll wiederhergestellt werden. Dies bedeute die Abschaffung des Konzepts der „sicheren Drittstaaten“und der „sicheren Herkunftsstaaten“. Zudem soll klargestellt werden, dass eine Verfolgung auch vorliegt, wenn eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden wirtschaftlichen, sozialen
oder kulturellen Menschenrechte zu befürchten ist. „Wir möchten den gesetzlichen Rahmen schaffen, dass Menschen tatsächlich frei über ihren Lebensort bestimmen können“, so die Fraktionschefin. Menschen sollen dort, wo sie leben, arbeiten, soziale Bezüge aufbauen und zum gesellschaftlichen Leben beitragen, abgesichert und dauerhaft bleiben können.
Ein Einwanderungsrecht linker Prägung ermöglicht einen Anspruch auf Zugang zu Integrationsund Sprachkursen, berechtigt zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und garantiert den Zugang zu Bildungseinrichtungen und den vollumfänglichen Zugang zu Institutionen und Angeboten der Sozialberatung. „Illegalisierte Menschen sollen einen legalen Aufenthaltsstatus erhalten“, fordert Hennig-wellsow. Die Anordnung einer Ausreisepflicht sei die Ultima Ratio und könne nur unter strengsten Voraussetzungen auferlegt werden.
Die legale Einreise soll ausgeschlossen sein bei potenziellen Spionen, Straftätern oder Kriegsverbrechern oder bei Menschen, die Waffen oder Sprengstoff mit sich führen. „Auch für uns ist die Sicherheit ein hohes Gut“, sagt Hennigwellsow. Allerdings gehe es zunächst um Vertrauen und nicht um Misstrauen.
Wohl auch deshalb soll es künftig leichter sein, Deutscher zu werden. „Für jedes in Deutschland geborene Kind besteht die Möglichkeit des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit. Die Mehrstaatigkeit soll prinzipiell ermöglicht werden. Die Einbürgerung hat nach drei Jahren legalen Aufenthalts auf Antrag zu erfolgen“, heißt es im Papier der Linken. Der Verlust bei Adoption durch einen ausländischen Annehmenden und bei Dienst in ausländischen Streitkräften soll nicht mehr möglich sein.
Nach der parlamentarischen Sommerpause oder, was wahrscheinlicher ist, nach der Bundestagswahl Ende September soll das Konzept bei einer Konferenz intensiver – nicht zuletzt innerhalb der Linken – diskutiert werden.