Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Abgas-skandal erreicht die Kunden
Hunderttausenden Haltern droht die Stilllegung ihres Autos, wenn sie das Fahrzeug nicht umrüsten lassen
BERLIN. Im Ringen um eine Entschädigung für Opfer des Vwabgas-skandals kündigt sich ein juristischer Showdown an. Das Kraftfahrt-bundesamt (KBA) droht mit der Stilllegung von Autos, deren „unzulässige Abschalteinrichtung“noch nicht umgerüstet worden ist. Ende August laufe zunächst die Frist für Besitzer des Vw-pick-ups Amarok ab. Wer dann nicht in der Werkstatt gewesen sei, könne schon bald kein Auto mehr haben, kündigt das KBA an. Juristen schießen scharf zurück. Eine Kanzlei hat das Kraftfahrt-bundesamt verklagt. Der Vorstoß sei „rechtswidrig und bürgerfeindlich“, sagen die Anwälte. Die Justiz müsse das KBA stoppen und eine Zwangsstilllegung von Autos im Eilverfahren verbieten.
Ein Ultimatum an die Rückrufverweigerer
Zum Wochenbeginn fanden Amarok-besitzer ein Schreiben des Kraftfahrt-bundesamtes in der Post – und darin eine Begrifflichkeit, die Volkswagen gar nicht gern hört. Wie selbstverständlich stellt das KBA fest, „dass in dem auf Sie zugelassenen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut ist“. Unzulässige Abschalteinrichtung, technisch: Defeat Device, umgangssprachlich: Betrugssoftware – das meint jene Manipulation, die bei elf Millionen Vw-dieselfahrzeugen weltweit, darunter 2,4 Millionen in Deutschland, auf dem Teststand bessere Abgaswerte simulierte, als der Wagen auf der Straße produzierte, und die VW bisher rund 23 Milliarden Euro Strafe gekostet hat. Bislang hat der Autobauer die Existenz einer unzulässigen Abschalteinrichtung bestritten. Das Kraftfahrt-bundesamt bescheinigte nun das Gegenteil. VW bleibt dabei: „Aus unserer Sicht handelt es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung“, sagte ein Sprecher.
Den Amarok-fahrern stellt das KBA ein Ultimatum. „Zum 28.08.2017“werde man den zuständigen
Zulassungsbehörden die Rückruf-verweigerer melden. Denen drohe der Entzug der Betriebserlaubnis. Die fällige Stilllegungsgebühr müssten die Betroffenen obendrein zahlen. Um das alles zu vermeiden, sollten Halter die neue Software „sehr zeitnah“aufspielen lassen, mahnt das KBA.
Der Amarok, in Deutschland ein Nischenfahrzeug, ist nur die Vorhut. Der Pick-up war im Januar 2016 als Erster zur Umrüstung in die Werkstatt gerufen worden. Schätzungen zufolge geht es um höchstens 150 Exemplare.
„Mit rund anderthalb Jahren“hätten die Besitzer „ausreichend Zeit, an dem verbindlichen Rückruf teilzunehmen“, teilte das Kraftfahrt-bundesamt auf Anfrage dieser Zeitung mit. Die große Masse manipulierter Diesel
– Audi A4, A5, A6, Q5 und VW Golf – wäre spätestens im Dezember von der Androhung betroffen. Im Januar kämen noch die Vw-passat-kunden hinzu. Sie waren als letzte zur Nachrüstung bestellt worden.
„Wir gehen davon aus, dass in den kommenden Wochen und Monaten Hunderttausende Fahrzeughalter in Deutschland ein solches Schreiben erhalten werden“, sagte Christopher Rother, Anwalt und Partner bei der Kanzlei Hausfeld, die Zehntausende geschädigte Kunden vertritt. Damit werde der Abgasskandal zum ersten Mal konkret bei den Verbrauchern ankommen. „An der Stelle werden die Leute merken, dass das eben doch ein großes Problem ist“, sagt Rother. „Tatsache ist nun mal, dass die Fahrzeuge nicht vorschriftsmäßig sind – eigentlich
sind Millionen Fahrzeuge zugelassen worden, die nie hätten zugelassen werden dürfen.“
Im Falle einer Stilllegung werde den Fahrzeughaltern eine Gebühr von etwa 300 bis 400 Euro auferlegt. Bürger hätten die Möglichkeit, vor einem Verwaltungsgericht gegen die Stilllegung ihres Fahrzeugs zu klagen oder das Auto mit dem Softwareupdate den Vorschriften entsprechend umrüsten zu lassen.
„ Beweismittel vernichtet“
Wer allerdings gegen VW wegen der Manipulation der Abgassteuerung klage, begebe sich dadurch in eine schlechte Rechtsposition, warnt der Jurist: „Mit der Umrüstung wird die Durchsetzung
der Ansprüche gegen Volkswagen chwieriger.“
Die Antwort auf die Kba-offensive ging am Mittwoch beim Verwaltungsgericht Freiburg ein. Die Kanzlei Stoll & Sauer, die 35 000 Geschädigte des Vw-skandals vertritt und bereits mehr als 3200 Klagen gegen Konzern und Händler eingereicht hat, beantragte eine einstweilige Anordnung gegen das KBA. Im Eilverfahren sollen die Richter die Weitergabe der Halterdaten an Zulassungsbehörden untersagen. Auslöser der Klage ist ein laufendes Zivilverfahren gegen die Volkswagen AG am Landgericht Freiburg. In dem Prozess soll ein Sachverständigengutachten klären, „ob das Softwareupdate überhaupt wirkt“, erklärt Rechtsanwalt Ralph Sauer. Wenn das KBA den Kläger aber vorher zur Umrüstung zwinge, sei die Begutachtung hinfällig. Stattdessen würden neue Fakten geschaffen und „Beweismittel vernichtet“, so Sauer. Damit bekomme der Diesel-skandal „eine neue Dimension“.