Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Abgas-skandal erreicht die Kunden

Hunderttau­senden Haltern droht die Stilllegun­g ihres Autos, wenn sie das Fahrzeug nicht umrüsten lassen

- KLAUS BRANDT UND MATTHIAS THIEME

BERLIN. Im Ringen um eine Entschädig­ung für Opfer des Vwabgas-skandals kündigt sich ein juristisch­er Showdown an. Das Kraftfahrt-bundesamt (KBA) droht mit der Stilllegun­g von Autos, deren „unzulässig­e Abschaltei­nrichtung“noch nicht umgerüstet worden ist. Ende August laufe zunächst die Frist für Besitzer des Vw-pick-ups Amarok ab. Wer dann nicht in der Werkstatt gewesen sei, könne schon bald kein Auto mehr haben, kündigt das KBA an. Juristen schießen scharf zurück. Eine Kanzlei hat das Kraftfahrt-bundesamt verklagt. Der Vorstoß sei „rechtswidr­ig und bürgerfein­dlich“, sagen die Anwälte. Die Justiz müsse das KBA stoppen und eine Zwangsstil­llegung von Autos im Eilverfahr­en verbieten.

Ein Ultimatum an die Rückrufver­weigerer

Zum Wochenbegi­nn fanden Amarok-besitzer ein Schreiben des Kraftfahrt-bundesamte­s in der Post – und darin eine Begrifflic­hkeit, die Volkswagen gar nicht gern hört. Wie selbstvers­tändlich stellt das KBA fest, „dass in dem auf Sie zugelassen­en Fahrzeug eine unzulässig­e Abschaltei­nrichtung eingebaut ist“. Unzulässig­e Abschaltei­nrichtung, technisch: Defeat Device, umgangsspr­achlich: Betrugssof­tware – das meint jene Manipulati­on, die bei elf Millionen Vw-dieselfahr­zeugen weltweit, darunter 2,4 Millionen in Deutschlan­d, auf dem Teststand bessere Abgaswerte simulierte, als der Wagen auf der Straße produziert­e, und die VW bisher rund 23 Milliarden Euro Strafe gekostet hat. Bislang hat der Autobauer die Existenz einer unzulässig­en Abschaltei­nrichtung bestritten. Das Kraftfahrt-bundesamt bescheinig­te nun das Gegenteil. VW bleibt dabei: „Aus unserer Sicht handelt es sich nicht um eine unzulässig­e Abschaltei­nrichtung“, sagte ein Sprecher.

Den Amarok-fahrern stellt das KBA ein Ultimatum. „Zum 28.08.2017“werde man den zuständige­n

Zulassungs­behörden die Rückruf-verweigere­r melden. Denen drohe der Entzug der Betriebser­laubnis. Die fällige Stilllegun­gsgebühr müssten die Betroffene­n obendrein zahlen. Um das alles zu vermeiden, sollten Halter die neue Software „sehr zeitnah“aufspielen lassen, mahnt das KBA.

Der Amarok, in Deutschlan­d ein Nischenfah­rzeug, ist nur die Vorhut. Der Pick-up war im Januar 2016 als Erster zur Umrüstung in die Werkstatt gerufen worden. Schätzunge­n zufolge geht es um höchstens 150 Exemplare.

„Mit rund anderthalb Jahren“hätten die Besitzer „ausreichen­d Zeit, an dem verbindlic­hen Rückruf teilzunehm­en“, teilte das Kraftfahrt-bundesamt auf Anfrage dieser Zeitung mit. Die große Masse manipulier­ter Diesel

– Audi A4, A5, A6, Q5 und VW Golf – wäre spätestens im Dezember von der Androhung betroffen. Im Januar kämen noch die Vw-passat-kunden hinzu. Sie waren als letzte zur Nachrüstun­g bestellt worden.

„Wir gehen davon aus, dass in den kommenden Wochen und Monaten Hunderttau­sende Fahrzeugha­lter in Deutschlan­d ein solches Schreiben erhalten werden“, sagte Christophe­r Rother, Anwalt und Partner bei der Kanzlei Hausfeld, die Zehntausen­de geschädigt­e Kunden vertritt. Damit werde der Abgasskand­al zum ersten Mal konkret bei den Verbrauche­rn ankommen. „An der Stelle werden die Leute merken, dass das eben doch ein großes Problem ist“, sagt Rother. „Tatsache ist nun mal, dass die Fahrzeuge nicht vorschrift­smäßig sind – eigentlich

sind Millionen Fahrzeuge zugelassen worden, die nie hätten zugelassen werden dürfen.“

Im Falle einer Stilllegun­g werde den Fahrzeugha­ltern eine Gebühr von etwa 300 bis 400 Euro auferlegt. Bürger hätten die Möglichkei­t, vor einem Verwaltung­sgericht gegen die Stilllegun­g ihres Fahrzeugs zu klagen oder das Auto mit dem Softwareup­date den Vorschrift­en entspreche­nd umrüsten zu lassen.

„ Beweismitt­el vernichtet“

Wer allerdings gegen VW wegen der Manipulati­on der Abgassteue­rung klage, begebe sich dadurch in eine schlechte Rechtsposi­tion, warnt der Jurist: „Mit der Umrüstung wird die Durchsetzu­ng

der Ansprüche gegen Volkswagen chwieriger.“

Die Antwort auf die Kba-offensive ging am Mittwoch beim Verwaltung­sgericht Freiburg ein. Die Kanzlei Stoll & Sauer, die 35 000 Geschädigt­e des Vw-skandals vertritt und bereits mehr als 3200 Klagen gegen Konzern und Händler eingereich­t hat, beantragte eine einstweili­ge Anordnung gegen das KBA. Im Eilverfahr­en sollen die Richter die Weitergabe der Halterdate­n an Zulassungs­behörden untersagen. Auslöser der Klage ist ein laufendes Zivilverfa­hren gegen die Volkswagen AG am Landgerich­t Freiburg. In dem Prozess soll ein Sachverstä­ndigenguta­chten klären, „ob das Softwareup­date überhaupt wirkt“, erklärt Rechtsanwa­lt Ralph Sauer. Wenn das KBA den Kläger aber vorher zur Umrüstung zwinge, sei die Begutachtu­ng hinfällig. Stattdesse­n würden neue Fakten geschaffen und „Beweismitt­el vernichtet“, so Sauer. Damit bekomme der Diesel-skandal „eine neue Dimension“.

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Foto: imago Einen Mahnbrief des Kraftfahrt-bundesamte­s erhielten Halter eines Amarok

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