Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Katastroph­enalarm im Harz

Starker Dauerregen führt zu schweren Überschwem­mungen in Niedersach­sen und Sachsenanh­alt

- VON LION GROTE, SILJA MEYERZURWE­LLE, KRISTINA WIENAND

GOSLAR. Der Strom aus braunem Wasser reißt Blumenkübe­l und Stühle von Cafés mit. Es ist Vormittag in Goslar, zu diesem Zeitpunkt stehen schon viele Straßen in der Altstadt komplett unter Wasser: Durch den Dauerregen sind der Fluss Oker und der sonst kleine Bach Abzucht zu reißenden Strömen geworden – ein solches Hochwasser hat die Stadt in den vergangene­n Jahren nicht erlebt. Wegen des Dauerregen­s und der Überflutun­gen ruft der Landkreis Goslar am Mittwoch schließlic­h Katastroph­enalarm aus. Ein Krisenstab übernimmt die Koordinati­on der Hilfskräft­e. Auch die Bundeswehr schickt Soldaten. Teile der 40 000-Einwohners­tadt Goslar selbst werden evakuiert, darunter eine Seniorenre­sidenz. Die Altstadt, die zum Weltkultur­erbe gehört, wird abgesperrt. Der Bahnverkeh­r in der gesamten Region zwischen Niedersach­sen und Sachsenanh­alt ist zusammenge­brochen.

Jörg Höhns erlebt den Ausnahmezu­stand aus nächster Nähe. Er ist Regionalma­nager der Novum-hotelgrupp­e und wurde von seinen Mitarbeite­rn im Goslarer Hotel „Kaiserwort­h“in der Altstadt alarmiert: Der Keller des zweiten dazugehöri­gen Hotels namens „Brusttuch“steht unter Wasser. Gäste werden vorsorglic­h in Sicherheit gebracht. In manchen Teilen der Region fielen innerhalb von 48 Stunden 161 Millimeter Regen. In einem „normalen“Juli sind es sonst im ganzen Monat 100 Millimeter. Auf dem Brocken, dem höchsten Berg im Harz, wurden sogar 256 Millimeter Regen gemessen. Er ist für Touristen gesperrt.

Die Feuerwehr und Kräfte des Technische­n Hilfswerks (THW) sind im Dauereinsa­tz – auf der

niedersäch­sischen wie auf der sachsen-anhaltinis­chen Seite. In Rhüden und Silstedt etwa packen Helfer Sandsack um Sandsack, um die Wassermass­en vom Eindringen in die Häuser abzuhalten. In Silstedt steht das Wasser knietief in den Straßen.

Das ist längst nicht alles: Oberhalb von Wernigerod­e im Harz droht die Zillierbac­htalsperre überzulauf­en. Rund 2,83 Milliarden Liter Wasser lagern dort. In der Stadt in Sachsen-anhalt gibt es möglicherw­eise auch ein Todesopfer zu beklagen. Während des Dauerregen­s ist eine 69-Jährige in der Nähe des Flusses Holtemme verschwund­en. Nach Angaben der Polizei wohnt die Frau direkt am Ufer. Die Befürchtun­g: Sie könnte in den zum reißenden Strom gewordenen Fluss gefallen sein.

Bis zum Mittwochab­end fehlt von ihr noch jede Spur.

Im niedersäch­sischen Hildesheim liegt der Pegel der Innersten – ein Nebenfluss der Leine – mit 7,14 Meter rund 40 Zentimeter

über dem bisher höchsten Hochwasser aus dem Jahr 2007. Und in der Kleinstadt Bad Harzburg muss der Bahnhof gesperrt werden. Dort steht das Wasser zwischenze­itlich rund 20 Zentimeter

auf den Straßen.

Auch in Goslar versuchen die Menschen, mit Brettern und Sandsäcken ihre Häuser zu schützen. Von Dienstagab­end bis Mittwochmi­ttag seien achtzig Tonnen Sand verbraucht worden, erzählt ein Feuerwehrm­ann. Doch geholfen haben die Schutzwäll­e nicht immer. Zahlreiche Keller müssen die Hilfskräft­e auspumpen. „Alles, was wir an Einsatzkrä­ften zur Verfügung haben, ist im Einsatz“, sagt Michael Weihrich, Sprecher im Landkreis Goslar.

Am Mittwochab­end lässt der Regen schließlic­h langsam nach. Das Schlimmste scheint überstande­n. Doch Meteorolog­en warnen: Bis das ganze Wasser aus dem Harz abgelaufen ist, können Tage vergehen. Die Lage bleibt ernst. (mit dpa)

69jährige Frau wohl in einen Fluss gestürzt

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In der Altstadt von Goslar wurde der eigentlich ruhige Bach Abzucht zum reißenden Strom. Die Hilfskräft­e sind im Dauereinsa­tz gegen die Wassermass­en. Foto: Epping
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In Bad Harzburg mussten mehrere Straßen gesperrt werden.foto: Holger Schlegel

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