Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Ein Spiel im Warenhaus
Theater Erfurt bringt die Weimarerrepublikrevue „Es liegt in der Luft“tatsächlich zwischen Herrenund Damenkonfektion heraus
ERFURT. Das ist, vielmehr war einmal ein Zeitstück: eine an ihre Zeit und dito Umstände gebundene Kabarett-revue. „Sie aktualisiert das Theater“, lobte Erich Kästner nach der Uraufführung im Mai vor neunzig Jahren.
Drei Monate später kam, ebenfalls in Berlin, die „Dreigroschenoper“zur Uraufführung; die hat sich durchgesetzt. Aber „Es liegt in der Luft“? Das waren flott dahin notierte Melodien und Texte für einen von vielen Augenblicken in einer hektischen und hysterischen Moderne. Dem Titellied zufolge lag eine Sachlichkeit in der Luft, eine Stachligkeit aber auch. Und was Idiotisches. Und was Hypnotisches.
Der Zeitgeist kulminierte im Warenhaus. Aber man muss nur lange genug warten, dann wird das Alte wieder neu. Die Augenblicke des Hektischen und Hysterischen sind zurückgekehrt. Es ist wieder Weimarer Republik, irgendwie. Auch wenn „irgendwie“eine ganz schlechte Ausrede ist, wie es in einem Lied heißt. Doch die parlamentarische Parteiendemokratie findet sich wieder, wo sie Komponist Mischa Spoliansky und Texter Marcellus Schiffer einst verorteten: auf dem Wühltisch und auf der Resterampe.
Ihr Spiel im Warenhaus, so der Untertitel, spielt 2018 tatsächlich im Warenhaus: „zwischen Herren- und Damenkonfektion“, wo die Welt seit jeher schon schwebt, dem Entrée eines Fahrstuhlführers zufolge. Mila von Daags Kostüme entsprechen dem, sofern sie zwischen historischer und aktueller Mode schweben.
Das Theater siedelt die Revue für acht längst ausverkaufte Vorstellungen im Modehaus Breuninger an. Das war, nun ja, nahe liegend – und es wirkt, alles in allem, reichlich distanzlos. Für jeweils achtzig Zuschauer wird diese dort zum unterhaltsamen Event. Hinter vielen Reihen aus Kleiderstangen im ersten Stock, weit genug entfernt vom Auf und Ab der Fahrstühle, taucht zumindest das Personal der Revue auf und ab.
Fernando Blumenthal, der Regisseur, inszeniert diese Revue als einen Scherzartikel. Das macht er, das macht sein Ensemble ziemlich gut. Was ihnen abgeht: jeglicher Biss.
Wir haben es hier, im allgemeinen, mit einer Revue für sangesfreudige, aber eben auch gestaltungswillige Schauspieler zu tun, im besonderen jedoch mit einem Erfurter Sängerensemble geschulter Opernstimmen. Als wollten sie uns den Unterschied verdeutlichen, ist eine dann doch Schauspielerin darunter: Maria-elisabeth Wey gibt die Linie vor, dass ein Chan- son oder Couplet in erster Linie nicht mit der Stimme, sondern mit spielerischer Haltung ausgefüllt sein will. Noch nie sah der Berichterstatter eine bessere expressive Hundeparodie. Und auch die Parfümorgie einer Dame macht die Wey zur großen Nummer.
Dahinter fallen die sieben Kollegen lange zurück. Einige aber berappeln sich, allen voran Sopranistin Julia Neumann, die nur im zweiten Finale ihre Stimme zu arg strapaziert. Es geht aber weniger um Stimme als vielmehr um Ausdruck. Und um einigen Mut zur Hässlichkeit. Dergleichen bringt die schlaksige Neumann immer mehr auf. Wenn Bariton Siyabulela Ntlale in einem Gastauftritt den Plattenstar Jack Smith mimt und singt, ist sie als hysterischer Fan der Star der Szene.
Tenor Jörg Rathmann klemmt sich als Herr, der sich mal keine Sorgen machen will, die Aktentasche untern Arm – und windet sich herausragend zwischen Verklemmung und dem Wunsch nach Befreiung. Bariton Máté Sólyom-nagy hat eine schöne Nummer als bedröppelter Fahrstuhlführer, der vom besser Leben faselt. Doch er weiß: „Das ist nicht so.“
Diese Revue ist ausgelegt auf die starke Überzeichnung, auf kräftige Karikaturen. Die Spielfreude dafür bringen alle, die Spielmöglichkeiten nicht ein jeder mit. Da scheidet sich Künstlerisches vom Künstlichen.
Zur verlässlichen Stütze wird allen das musikalische Trio Ralph Neubert (Klavier), Norina Bitta (Querflöte) und Alexander Bätzel (Schlagzeug). Sie imitieren, parodieren und vertreten vorzüglich eine Revuekapelle.
● Alle Vorstelungen bis . Mai ausverkauft. Weitere Termine ab April auf der Studiobühne.