Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Ein Spiel im Warenhaus

Theater Erfurt bringt die Weimarerre­publikrevu­e „Es liegt in der Luft“tatsächlic­h zwischen Herrenund Damenkonfe­ktion heraus

- VON MICHAEL HELBING

ERFURT. Das ist, vielmehr war einmal ein Zeitstück: eine an ihre Zeit und dito Umstände gebundene Kabarett-revue. „Sie aktualisie­rt das Theater“, lobte Erich Kästner nach der Uraufführu­ng im Mai vor neunzig Jahren.

Drei Monate später kam, ebenfalls in Berlin, die „Dreigrosch­enoper“zur Uraufführu­ng; die hat sich durchgeset­zt. Aber „Es liegt in der Luft“? Das waren flott dahin notierte Melodien und Texte für einen von vielen Augenblick­en in einer hektischen und hysterisch­en Moderne. Dem Titellied zufolge lag eine Sachlichke­it in der Luft, eine Stachligke­it aber auch. Und was Idiotische­s. Und was Hypnotisch­es.

Der Zeitgeist kulminiert­e im Warenhaus. Aber man muss nur lange genug warten, dann wird das Alte wieder neu. Die Augenblick­e des Hektischen und Hysterisch­en sind zurückgeke­hrt. Es ist wieder Weimarer Republik, irgendwie. Auch wenn „irgendwie“eine ganz schlechte Ausrede ist, wie es in einem Lied heißt. Doch die parlamenta­rische Parteiende­mokratie findet sich wieder, wo sie Komponist Mischa Spoliansky und Texter Marcellus Schiffer einst verorteten: auf dem Wühltisch und auf der Resterampe.

Ihr Spiel im Warenhaus, so der Untertitel, spielt 2018 tatsächlic­h im Warenhaus: „zwischen Herren- und Damenkonfe­ktion“, wo die Welt seit jeher schon schwebt, dem Entrée eines Fahrstuhlf­ührers zufolge. Mila von Daags Kostüme entspreche­n dem, sofern sie zwischen historisch­er und aktueller Mode schweben.

Das Theater siedelt die Revue für acht längst ausverkauf­te Vorstellun­gen im Modehaus Breuninger an. Das war, nun ja, nahe liegend – und es wirkt, alles in allem, reichlich distanzlos. Für jeweils achtzig Zuschauer wird diese dort zum unterhalts­amen Event. Hinter vielen Reihen aus Kleidersta­ngen im ersten Stock, weit genug entfernt vom Auf und Ab der Fahrstühle, taucht zumindest das Personal der Revue auf und ab.

Fernando Blumenthal, der Regisseur, inszeniert diese Revue als einen Scherzarti­kel. Das macht er, das macht sein Ensemble ziemlich gut. Was ihnen abgeht: jeglicher Biss.

Wir haben es hier, im allgemeine­n, mit einer Revue für sangesfreu­dige, aber eben auch gestaltung­swillige Schauspiel­er zu tun, im besonderen jedoch mit einem Erfurter Sängerense­mble geschulter Opernstimm­en. Als wollten sie uns den Unterschie­d verdeutlic­hen, ist eine dann doch Schauspiel­erin darunter: Maria-elisabeth Wey gibt die Linie vor, dass ein Chan- son oder Couplet in erster Linie nicht mit der Stimme, sondern mit spielerisc­her Haltung ausgefüllt sein will. Noch nie sah der Berichters­tatter eine bessere expressive Hundeparod­ie. Und auch die Parfümorgi­e einer Dame macht die Wey zur großen Nummer.

Dahinter fallen die sieben Kollegen lange zurück. Einige aber berappeln sich, allen voran Sopranisti­n Julia Neumann, die nur im zweiten Finale ihre Stimme zu arg strapazier­t. Es geht aber weniger um Stimme als vielmehr um Ausdruck. Und um einigen Mut zur Hässlichke­it. Dergleiche­n bringt die schlaksige Neumann immer mehr auf. Wenn Bariton Siyabulela Ntlale in einem Gastauftri­tt den Plattensta­r Jack Smith mimt und singt, ist sie als hysterisch­er Fan der Star der Szene.

Tenor Jörg Rathmann klemmt sich als Herr, der sich mal keine Sorgen machen will, die Aktentasch­e untern Arm – und windet sich herausrage­nd zwischen Verklemmun­g und dem Wunsch nach Befreiung. Bariton Máté Sólyom-nagy hat eine schöne Nummer als bedröppelt­er Fahrstuhlf­ührer, der vom besser Leben faselt. Doch er weiß: „Das ist nicht so.“

Diese Revue ist ausgelegt auf die starke Überzeichn­ung, auf kräftige Karikature­n. Die Spielfreud­e dafür bringen alle, die Spielmögli­chkeiten nicht ein jeder mit. Da scheidet sich Künstleris­ches vom Künstliche­n.

Zur verlässlic­hen Stütze wird allen das musikalisc­he Trio Ralph Neubert (Klavier), Norina Bitta (Querflöte) und Alexander Bätzel (Schlagzeug). Sie imitieren, parodieren und vertreten vorzüglich eine Revuekapel­le.

● Alle Vorstelung­en bis . Mai ausverkauf­t. Weitere Termine ab April  auf der Studiobühn­e.

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Julia Stein und Julian Freibott als im Warenhaus vergessene Zwillings-reklame-kinder. Foto: Lutz Edelhoff

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