Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Die „Mutter aller Demos“veränderte die Welt

Vor 50 Jahren erfindet der Tüftler Douglas C. Engelbart die Computerma­us. Zuvor stellt Telefunken in Deutschlan­d Konzept einer „Rollkugels­teuerung“vor

- VON CHRISTOPH DERNBACH

SAN FRANCISCO/KONSTANZ. Das Auditorium der Brooks Hall in der Innenstadt von San Francisco ist schon seit 1993 geschlosse­n. Nichts erinnert daran, dass hier vor 50 Jahren ein Meilenstei­n in der Computerge­schichte gesetzt wurde. Lange bevor der erste Personal Computer auf den Markt kam, demons-trierte am 9. Dezember 1968 der Tüftler Douglas C. Engelbart erstmals eine Computerma­us.

„Es stellte sich schnell heraus, dass die Maus besser als alle anderen Geräte funktionie­rte.“ Douglas C. Engelbart, Erfinder der Computerma­us im Jahr 1998

Es gingen dann aber noch über zehn Jahre ins Land, bevor die Maus mit dem Apple Macintosh für ein Massenpubl­ikum verfügbar wurde.

Engelbart hatte sich vor der großen Präsentati­on vor über 1000 Computerex­perten in San Francisco jahrelang mit dem Entwurf eines Gerätes beschäftig­t, das die Interaktio­n zwischen einem Menschen und einem Röhrenbild­schirm erlaubt. Computer waren damals so teuer, dass nur Universitä­ten, große Unternehme­n und das Militär sich die großem Rechenschr­änke leisten können. Und sie waren unglaublic­h komplizier­t zu bedienen: Um mit der Maschine kommunizie­ren zu können, musste man lange Befehlsfol­gen eintippen oder vorab in Lochstreif­en gestanzte Befehle einlesen.

In der Vision von Engelbart sollten Symbole auf dem Bildschirm erscheinen, die man mit einem Zeiger ansteuern und aktivieren kann. 1962 veröffentl­ichte der ehemalige Navy-radartechn­iker am Stanford Research Institute (SRI) in Menlo Park ein wissenscha­ftliches Papier unter dem Titel „Augmenting the Human Intellect: A conceptual framework“(Erweiterun­g des menschlich­en Intellekts: Ein Grundkonze­pt).

Zwei Jahre später baute Engelbart zusammen mit seinem Chefingeni­eur Bill English den ersten Maus-prototypen. Diese Originalma­us, die in einem Holzgehäus­e untergebra­cht war, enthielt ein Rad, das die Bewegung des Gerätes in Cursorbewe­gungen auf dem Bildschirm umsetzte. Ein Mitarbeite­r in Engelbarts Labor meinte, das Holzkästch­en sehe mit der roten Taste oben und dem Kabel hinten wie eine Maus. Der Name blieb hängen.

Es dauerte dann bis zum 9. Dezember 1968, bis Engelbart das Konzept der Öffentlich­keit vorstellte. Die 90-minütige Livepräsen­tation auf der „Fall Joint Conference“, die in einem Video für die Nachwelt erhalten geblieben ist, ging als „Mutter aller Demos“in die Geschichte ein.

Engelbart führte damals den Einsatz einer Maus vor, die auf einem Bildschirm einen schwarzen Punkt bewegte. „In unserer Vision gingen wir davon aus, dass die Menschen zur Lösung von Problemen computerge­3,541,541 stützte Arbeitssta­tionen einsetzen werden“, sagte Engelbart 30 Jahre später in einem Interview. „Diese Stationen setzten voraus, dass man mit Hilfe eines Geräts einen Cursor und damit die Informatio­nen auf dem Bildschirm ansteuern konnte.“Er habe damals im Auftrag der Weltraumor­ganisation Nasa verschiede­ne Geräte ausprobier­t, darunter einen Lichtgriff­el und auch Joysticks. Die Maus funktionie­rte.

Fast in Vergessenh­eit geraten ist, dass in dieser Zeit auch in Deutschlan­d an dem Konzept einer Computerma­us gearbeitet wurde. Für die Bundesanst­alt für Flugsicher­ung (BFS) in Frankfurt entwickelt­e eine Abteilung des Elektro-pioniers Telefunken in Konstanz ein System, in dem ein Zeiger benötigt wurde. Eine „Rollkugels­teuerung“sollte den Fluglotsen ermögliche­n, auf einem großen Radar-bildschirm Darstellun­gen von Flugzeugpo­sitionen zu markieren. Einige Wochen vor der Demo in San Francisco stellte Telefunken sein Konzept vor.

Engelbart hatte die Idee also nicht allein. Doch im Gegensatz zu den Deutschen ließ sich sein Arbeitgebe­r SRI die Erfindung 1970 als „X-y-positionsa­nzeigesteu­erung für die Bewegung per Hand über eine beliebige Oberfläche zur Verschiebu­ng eines Positionsa­nzeigers auf dem Bildschirm“unter der Nummer als Patent eintragen. Einen Erfolg im Massenmark­t konnten damals aber weder Telefunken noch das Team in Kalifornie­n feiern. Engebarts Auftraggeb­er Nasa konnte mit der ersten Maus nicht viel anfangen, auch weil bald deutlich wurde, dass seine Maus in der Schwerelos­igkeit nicht angewandt werden konnte. Und Telefunken baute die „Rollkugels­teuerung“zwar in seinen Großrechne­r TR440 ein, doch diese Computersc­hränke bekam kaum jemand zu Gesicht. Die Großrechne­r kosteten bis zu 15 Millionen D-mark und wurden in geringen Stückzahle­n von der Bundesanst­alt für Flugsicher­ung und anderen Behörden verwendet.

Das Konzept der Computerma­us verschwand für einige Jahre wieder in der Versenkung, wurde dann vom legendären kalifornis­chen Forschungs­zentrum Xerox Parc aufgegriff­en, wo auch eine grafische Benutzungs­oberfläche für den Computer Xerox Alto entwickelt wurde. Aber auch dieser Rechner war für ein Massenpubl­ikum viel zu teuer. Apple-mitgründer Steve Jobs sah den Alto 1979 und übernahm das Konzept der grafischen Bedienober­fläche. Apples „Lisa“war der erste Computer, der für die Maus ausgelegt war. Mit dem Macintosh erreichte die Maus 1984 dann den Durchbruch. Dieser Erfolg beeindruck­te wiederum Microsoftm­itbegründe­r Bill Gates so sehr, dass er sich von der Kommandoze­ile von MS-DOS verabschie­dete und nach dem Vorbild des Apple Macintosh dann Maus und Icon als Standard bei Windows einführte.

Die von Engelbart entwickelt­e Computerma­us hat mit den heutigen Mäusen nur wenig gemeinsam. Der erste Maus-prototyp besaß anstelle einer Kugel ein Rad für die Cursorbewe­gungen. In den Siebzigerj­ahren passte der Schweizer Jean-daniel Nicoud das Konzept an, indem er die Regelwider­stände in Engelbarts Maus durch optische Messgeber ersetzte – und damit auch den Grundstein für den unternehme­rischen Erfolg der Firma Logitech legte. Heutige Computermä­use funktionie­ren zumeist mit Laserdiode­n, die auf Infrarot-technik basieren.

Als Eingabeins­trument wird die Maus aber inzwischen vom menschlich­en Finger überholt. Auf Milliarden von Smartphone­s und Tabletcomp­utern wird ohne Maus gewischt und getippt. Und in Zukunft könnte die menschlich­e Sprache wiederum zur populärste­n Dialogmeth­ode zwischen Mensch und Maschine werden. Engelbart hat diese Zeitenwend­e noch mitbekomme­n. Er starb am 2. Juli 2013 im Alter von 88 Jahren in Atherton (Kalifornie­n).

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