Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Plötzliche­s Ende eines Comebacks

Historisch­er Parteitag verläuft dramatisch: Friedrich Merz unterliegt Annegret Kramp-karrenbaue­r in der Stichwahl mit 482 zu 517 Stimmen

- VON TIM BRAUNE UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N

HAMBURG. Die CDU ohne Merkel, das war fast zwei Jahrzehnte unvorstell­bar. Viele in der Welt und Europa schauten am Freitag auf Hamburg. Nach einem dramatisch­en Parteitag kam es zum Fotofinish. Die 1000 Delegierte­n entschiede­n sich in einer Stichwahl mit 517:482 Stimmen für Annegret Kramp-karrenbaue­r und gegen Friedrich Merz. So lief die Zeitenwend­e in der CDU ab.

10.38 Uhr: Bevor Merkel zur Eröffnung ein Wort sagen kann, springen die meisten der 1000 Delegierte­n (nur einer fehlte) auf, applaudier­en ihrer 18-Jahrechefi­n. „Danke, Chefin“-schilder gehen in die Luft. Merkel wehrt die Begeisteru­ngsstürme lächelnd ab: „Wir haben heute viel vor.“Die in Hamburg geborene, in der DDR aufgewachs­ene Pfarrersto­chter preist den Gottesdien­st am Morgen im Michel, der Kraft für „diesen ganz besonderen Parteitag“der CDU gegeben habe.

13.51 Uhr: Endlich kommt Tagesordnu­ngspunkt 16. Die Wahl der Cdu-spitze. Annegret Kramp-karrenbaue­r, im schwarz-weiß gemusterte­n Blazer, legt mit belegter Stimme los. Sie sei 1981 in die CDU eingetrete­n, als manche Angst vor dem Ende der Welt nach einem Atomschlag verbreitet hätten. Die CDU habe sie fasziniert, weil sie „nicht den Schwarzmal­ern hintergela­ufen ist“. Ihre Augen suchen immer wieder mal das Manuskript. AKK hebt das Christlich­e hervor: „Das C ist der Leitstern.“Doch noch strahlt die Saarländer­in nicht, der gewaltige Druck ist ihr anzumerken. Im Lauf der Rede wird sie sicherer, persönlich­er. Wie Merkel habe sie 18 Jahre CDU und Land gedient – nur eben an

der Saar als Ministerin und Landesfürs­tin. „Ich stehe hier, wie ich bin und wie mich das Leben geformt hat.“Als dreifache Mutter wisse sie, wie schwierig Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen seien. Sie mahnt, die CDU dürfe nicht in Lager zerfallen. Die Partei müsse mutig sein, die Komfortzon­e verlassen, nicht ängstlich nach rechts und links schauen. In Europa sei die CDU unter den konservati­ven Parteien „das letzte Einhorn“. Eine Attacke reitet sie gegen Merz: Bei Führung komme es auf „innere Stärke“und „weniger auf äußere Lautstärke“an. Aber sie ist auch versöhnlic­h: „Keiner der drei Kandidaten wird der Untergang für diese Partei sein.“AKK endet selbstbewu­sst, frei nach Julius Cäsar: „Wir können das, wir wollen das, wir werden das.“Sie hätte auch dreimal Ich sagen können.

14.15 Uhr:friedrich Merz ist dran. AKK hat die Latte hochgelegt. Zu hoch? Seine konservati­ven Anhänger erwarten ein Feuerwerk. Merz hat Probleme, die Lunte zu zünden. In den ersten zwölf Minuten merkt man dem Sauerlände­r an, dass er zehn Jahre raus aus der Politik war. Er redet abgehackt, im Stakkato. Wo ist der coole Merz aus den acht Regionalko­nferenzen geblieben? Er klebt am Manuskript. Erst als er den Aufstieg der AFD anspricht, kommt Merz in Fahrt. Merkels CDU hatte er ja vorgeworfe­n, den Afd-durchmarsc­h in Bundestag und alle 16 Landtage „achselzuck­end“in Kauf genommen zu haben. Das regte viele in der Partei auf. Niemand bestreite den guten Willen, sagt Merz nun, die an die AFD verlorenen Wähler zurückzuho­len. „Aber es gelingt uns nicht.“Dass die AFD sich breitgemac­ht habe, sei für ihn unerträgli­ch. SPD, Grüne und SPD blieben die Hauptgegne­r. Trotz Koalition „unterschei­det uns unveränder­t vieles von dieser SPD“. Da muss sogar Merkel ihrem alten Rivalen applaudier­en, der sich mit Wolfgang Schäuble gegen sie verschwore­n hat. Klassenkam­pf mit der Wirtschaft, einen Staat, der über alles und jeden seine schützende Hand halte? „Das wollen wir nicht“, sagt Einkommens­millionär Merz. Balsam streicht er bei Flüchtling­en und Migration auf

die geschunden­e wertkonser­vative Seele der Partei. Der Nationalst­aat sei nicht überholt, er vermittele Identität und Heimatgefü­hl. Deutschlan­d sei weltoffen, tolerant und hilfsberei­t: „Aber es gibt auch Grenzen unserer Möglichkei­ten.“Da hört sich Merz wie Altbundesp­räsident Joachim Gauck an. Aber Merz und Merkel, würde das gehen? Sie hatte ihn 2002 als Fraktionsc­hef in die Wüste geschickt. Wären die Tage der Kanzlerin unter Merz gezählt? „Natürlich geht das gut!“Er werde loyal sein. Erst das Land, dann die Partei, dann der Einzelne. „Und daran wird sich jeder halten, auch ein Vorsitzend­er Friedrich Merz.“

14.50 Uhr: Jens Spahn ist die größte Überraschu­ng. In Umfragen weit abgeschlag­en, tritt er sympathisc­h und klug auf. „Ich kann Ihnen nicht verspreche­n,

ein bequemer Parteivors­itzender zu sein“, kündigt der Gesundheit­sminister an. „Ich bin, wie ich bin. Ich werde auch in Zukunft manche Debatte anstoßen, wo dann morgen der Nachbar Sie anspricht: Was ist denn das nun wieder?“

15.39 Uhr: Der erste Wahlgang beginnt, die Spannung in der Halle ist zu greifen. Die Delegierte­n bauen ihre mobilen Wahlkabine­n aus Pappe auf, damit niemand spicken kann.

16.11 Uhr: Der Kieler Regierungs­chef Daniel Günther verkündet das Ergebnis. AKK liegt mit 45 Prozent vorne (450 Stimmen), Merz kommt auf 39,2 Prozent (392), Spahn auf 15,7 Prozent (157). Stichwahl AKK gegen Merz!

16.56 Uhr: Günther liest vom alles entscheide­nden Zettel vor. Merz, 482 Stimmen. Die AKKFANS springen auf, „Annegret“-sprechchör­e. Sie holt 517 Stimmen und genug Leute aus dem Spahn-lager.

16.58 Uhr: Kramp-karrenbaue­r ist überwältig­t, wischt sich Tränen der Freude und Rührung aus den Augen. Sie hat es geschafft, nimmt die Wahl natürlich an. Sofort eilt sie zu Merz, umarmt ihn, ebenso Spahn. Dann herzt Merkel sie. AKK bietet den Verlierern Merz und Spahn an, im Team mit ihr an der neuen CDU zu bauen. Sie ist momentan nur eine 50-Prozentvor­sitzende. Wichtigste Aufgabe für AKK bis zur Europawahl im Mai: die Spaltung der CDU schnell überwinden. „Ich würde mich sehr freuen, wenn sowohl Jens Spahn als auch Friedrich Merz gemeinsam an dieser Aufgabe mitarbeite­n. Das ist das, was die Mitglieder erwarten, und für beide ist ein Platz in dieser Partei.“

17.05 Uhr: Merz zeigt Größe in der Niederlage. „Liebe Annegret, herzlichen Glückwunsc­h zu deiner Wahl.“Er wünsche ihr Erfolg und Gottes Segen auf dem Weg, „den du jetzt vor dir hast“. Er selbst wolle mithelfen bei der Erneuerung der CDU. Merz ruft dann zwar die Delegierte­n auf, Spahn erneut ins Cdu-präsidium zu wählen. Auffällig aber ist, dass Merz selbst keine Kandidatur für einen Posten als Partei-vize oder im Präsidium ankündigt. In der CDU rechnen viele damit, dass Merz sich absehbar wieder verstärkt um seine Wirtschaft­skontakte kümmert.

17.11 Uhr: Spahn nimmt das Angebot der neuen Chefin AKK sofort an. „Wir sind ja so ein bisschen wie eine Rockband gemeinsam durch Deutschlan­d getourt“, sagt er über die Roadshow bei den Regionalko­nferenzen. „Es hat echt Spaß gemacht.“

„Für beide ist ein Platz in dieser Partei. “ Die neue Cdu-chefin, Annegret Kramp-karrenbaue­r, über die unterlegen­en Friedrich Merz und Jens Spahn

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Foto: Roland Magunia Friedrich Merz hat mit seiner Kandidatur den Parteitag spannend gemacht. Seine Frau Charlotte applaudier­t.
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Mit seinen , Prozent bekam Jens Spahn im ersten Wahlgang ein beachtlich­es Ergebnis. Foto: dpa

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