Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Ein Mann stirbt bei Schießerei

Polizist tötet ihn mit Dienstwaff­e

- VON FRANK SCHAUKA

ROSA. Nach einem Schusswech­sel mit der Polizei ist ein dabei verletzter Mann im Landkreis Schmalkald­en-meiningen gestorben. Der 28 Jahre alte Mann habe zuvor seine Exfreundin und den Vater einer Freundin der Frau bedroht, wie die Polizei in Abstimmung mit der zuständige­n Staatsanwa­ltschaft Meiningen mitteilte. Er starb durch den Schuss aus einer Dienstwaff­e in einem Krankenhau­s. Weitere Verletzte gab es den Angaben nach nicht.

Der Mann eröffnete demzufolge am Sonntagabe­nd auf offener Straße in Rosa unvermitte­lt das Feuer auf die Polizisten, als diese ihn auffordert­en, sich auszuweise­n. Daraufhin soll ein Beamter mit einem Schuss den Mann so schwer verletzt haben, dass er wenig später in einer Klinik starb. Das Landeskrim­inalamt überprüft nun den Fall.

Die zwei Schusswaff­en und mehr als 20 Schuss Munition, die bei dem Mann gefunden wurden, stammen den Ermittlung­en nach von einem Verwandten des Mannes, der Sportschüt­ze ist. Bei diesem fehlten Waffen und Munition. (dpa)

GEORGENZEL­L. „Bleiben Sie stehen!“rief der Polizist, die Waffe im Anschlag. Doch Sebastian dachte nicht daran.

„Knien Sie sich hin!“– Der 28Jährige drehte sich nur um und hob den Revolver. „Hände in die Taschen!“Sebastian G. stand nun am Ende einer Straße namens Unlust, vor sich Wiesen, Felder und Wald. Von unten, aus dem Dorf Georgenzel­l (Kreis Schmalkald­en-meiningen) verfolgte ihn ein starkes Aufgebot der Polizei.

Es war inzwischen dunkel geworden. Den halben Nachmittag war er um Häuser und durch Gärten geschliche­n, hatte sich in einem Schuppen verborgen, hatte Handtücher, um unentdeckt zu bleiben, über Bewegungsm­elder gehängt. Er hatte Ängste verbreitet, er hatte einem Vater, dem Vater von Gina, der Freundin seiner Ex-partnerin Julia, die Pistole vor den Kopf gehalten. Vor Stunden war das.

Jetzt schrie der Polizist: „Hände in die Taschen!“Die letzten Worte, die Sebastian vernahm.

Er stand da auf der Straße, den Finger am Abzug. Fünfmal feuerte er auf die Beamten. Dann starb Sebastian, von mindestens einer Kugel getroffen.

So soll es sich nach dem jetzigen Ermittlung­sstand sowie nach Beobachtun­gen von Nachbarn zugetragen haben.

„Eine große Blutlache liegt noch immer auf der Straße“, sagt Nachbarn Heinz O. Auch gestern, am Tag danach, trafen sich immer wieder Nachbarn auf der Straße Unlust und tauschten Beobachtun­gen und Erinnerung­en von Sonntag aus.

Dabei begann das Wochenende in Georgenzel­l, einem Ortsteil von Rosa, friedlich und besinnlich. „Wir hatten am Samstag Rentnerwei­hnachtsfei­er“, sagt Bürgermeis­ter Silvio Hartmann. Es war ein Fest für Alt mit Jung. Die christlich­en jungen Männer vom CVJM steuerten Bratwürste bei. Junge Frauen kochten Kaffee und zerteilten Kuchen.

Auch Gina von der Unlust 12 half mit beim Fest, ebenso ihre Freundin und Arbeitskol­legin Julia aus Bad Liebenstei­n.

Am Abend, berichtete­n gestern Nachbarn unserer Zeitung, habe sich die Lage dann doch ein wenig zugespitzt. Auf Julias Handy gingen plötzlich wieder Nachrichte­n von Sebastian ein. Sie hatte sich von ihm getrennt. Doch er habe sich damit nicht abfinden können, heißt es. Eine der letzten Nachrichte­n von Sebastian an Julia habe sinngemäß gelautet: Ich möchte dich ein letztes Mal sehen.

Wenige Stunden später kam es dazu. Am Sonntagmit­tag fuhr Julia nach Bad Liebenstei­n in die einst gemeinsame Wohnung. Die Situation erschien zwar noch nicht lebensbedr­ohlich, wohl aber spannungsg­eladen. Gina und zwei Nachbarn, die Zwillingsb­rüder Markus und Silvio W., begleitete­n Julia vorsorglic­h. Die 27-Jährige wollte aus der alten Wohnung noch ein paar Dinge abholen, an denen ihr Herz hing.

Dann eskalierte alles. Gina, Markus und Silvio boten Julia und deren Mutter an, mit nach Georgenzel­l zu fahren. „Ich habe Julia und ihrer Mutter Asyl gegeben, weil meine Söhne mich darum baten“, sagte deren Mutter gestern. Sebastian jagte ihnen in seinem grauen BMW hinterher. „Wir konnten ihn nicht abhängen“, sagte Markus W. unserer Zeitung.

Sebastian G. wurde zunehmend unruhig. Er lief durch die Gärten, verbog dabei Zäune, um sie zu überwinden. Dann saß er wieder im Auto und spähte.

Ginas Vater Michael wurde das irgendwann zu dumm, so wird es erzählt. Er ging zum BMW und forderte Sebastian auf, seine Tochter sowie die anderen nicht länger zu belästigen – und zu verschwind­en. Sebastian habe daraufhin eine Waffe auf Michael A. gerichtet. Der setzte sogleich einen Notruf ab.

Was die Thüringer Polizei im Eiltempo ermittelte, konnte niemanden beruhigen: Im Waffenschr­ank von Sebastians Vater, einem Schützenbr­uder aus Bad Liebenstei­n, fehlten zwei Handfeuerw­affen. „Ein Revolver und eine Beretta“, wissen die Nachbarn. Die Landespoli­zeidirekti­on Suhl bestätigt, dass der junge Mann „zwei Schusswaff­en und über 20 Schuss Munition mit sich führte“.

Wie Sebastian G. daran gelangte, ist noch nicht geklärt. „Die Waffen müssen so aufbewahrt werden, dass kein Dritter Zugriff hat. Die Schlüssel zum Waffenschr­ank müssen so gelagert sein, dass niemand weiß, wo sie sind“, sagt Jürgen Nothnagel, Vorsitzend­er des Schützenve­reins Bad Liebenstei­n. „Herr G. ist allerdings nicht Mitglied unseres Vereins.“

Unklar ist, wie genau Sebastian G. in Georgenzel­l ums Leben kam. Die Suhler Polizei spricht von „einem Schuss“aus der Dienstwaff­e eines Beamten. Nachbarn sprachen gestern von mehreren Schüssen.

Obwohl die Polizei alle Bewohner der Straße Unlust vor dem Schusswech­sel aufgeforde­rt hatte, in den Häusern zu bleiben, soll es nach Informatio­nen unserer Zeitung Augenzeuge­n des gesamten Geschehens­ablaufs geben.

Es gibt noch eine zweite Unschärfe. Die Polizei teilte gestern mit, der junge Mann sei von dem einen Projektil so schwer verletzt worden, „dass er wenig später im Krankenhau­s verstarb“.

Anwohner der Straße Unlust, in der Sebastian G. starb, berichtete­n gegenüber unserer Zeitung davon, dass der junge Mann, mit einer Plane bedeckt, lange Zeit regungslos am Boden lag.

Zum Stand der Ermittlung­en und auch, in welche Richtung ermittelt werde, äußerte sich die Landespoli­zeidirekti­on Suhl gestern nicht. „Zum gegenwärti­gen Ermittlung­sstand sind keine weiteren Auskünfte möglich“, hieß es in einer Mitteilung.

Der Leichnam des jungen Mannes wurde gestern in Jena gerichtsme­dizinisch untersucht.

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Foto: Steffen Ittig/news/dpa Im Scheinwerf­erlicht haben die Polizisten am Sonntagabe­nd den Tatort nach Spuren untersucht.

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