Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Erweiterte Schulpflicht für Flüchtlinge
Schulgesetz mit Regelungen für junge Menschen mit unterbrochener Bildungsbiografie
ERFURT. Der Entwurf des neuen Thüringer Schulgesetzes beinhaltet erstmals auch Regelungen, die die besondere Situation von Flüchtlingen berücksichtigen. In Paragraf 8 Absatz 3 wird die Möglichkeit geschaffen, an den berufsbildenden Schulen Bildungsangebote für 16- bis 18jährige schulpflichtige Migranten zum Erwerb der deutschen Sprache und zu grundlegender schulischer Bildung einzurichten. „Mit der Erweiterung der Schulpflicht bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres für Jugendliche mit Migrationshintergrund, die keinen zehnjährigen Schulbesuch nachweisen können, ergibt sich die Notwendigkeit, schulische Angebote für diese Klientel vorzuhalten“, heißt es in den Erläuterungen der entsprechenden Kabinettsvorlage. Damit sollen jungen Menschen mit unterbrochener Bildungsbiografie schulische Angebote eröffnet werden.
In Paragraf 20 soll ergänzt werden, um klarzustellen, dass Schüler mit Migrationshintergrund zur Erfüllung ihrer Vollzeitschulpflicht neben den allgemein bildenden Schulen auch die Angebote der Berufsschulen besuchen können.
„Das ist ein Frontalangriff auf unser Bildungssystem. Im Endeffekt läutet Rot-rot-grün das Ende wohnortnaher Schulen ein.“
Christian Tischner (CDU)
Für Birgit Klaubert (Linke) stand einmal fest: Wenn Inklusion gelingen soll, brauche man mehr Personal. In den Jahren 2018 und 2019 seien 170 zusätzliche Stellen für Lehrer, Sonderpädagogen und Fachkräfte notwendig, um den gemeinsamen Unterricht von Schülern mit und ohne Handicap sicherzustellen, sagte die damalige Bildungsministerin. Das war im November vor zwei Jahren.
Seitdem ist viel passiert. Unter anderem hat Klaubert ihren Posten geräumt. Und ihr Nachfolger Helmut Holter (Linke) hat endlich den Entwurf für ein neues Schulgesetz vorgelegt. Aber die 170 angekündigten Stellen für die Inklusion sind in Vergessenheit geraten.
Das ist einer von zahlenreichen Kritikpunkten, die der Cdu-bildungspolitiker Christian Tischner erwähnt, nachdem er sich die Novelle zu Gemüte geführt hat.
„Es wurde nichts verändert“, kritisiert auch der Landesvorsitzende des Thüringer Lehrerverbandes, Rolf Busch, wenn er auf die Inklusion zu sprechen kommt. Weder personell noch baulich seien die Schulen ausreichend darauf vorbereitet.
Ähnlich verhält es sich nach Tischners Überzeugung beim Thema Migration. Dem Gesetz zufolge soll die Schulpflicht für Migranten bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres erweitert werden, damit auch Flüchtlingskinder mit so genannten gebrochenen Bildungsbiografien möglichst optimal beschult werden können. In der Regel endet die Pflicht zum Schulbesuch nach zehn Jahren, also mit 16. Zudem sollen 16- bis 18-jährige schulpflichtige Migranten an Berufsschulen bei Bedarf die Möglichkeit haben, an Sprachkursen teilzunehmen.
„Hier wird etwas festgelegt, ohne dass die Ressourcen geklärt sind“, sagt Tischner im Gespräch mit dieser Zeitung. Das führe zu einer Mehrbelastung bei den Lehrern und einem Qualitätsabfall. Wenn man die Vollzeitschulpflicht hochsetzt, müsse die Landesregierung auch erklären, wie viele Lehrer zusätzlich benötigt würden. „Und selbst wenn der Wille da sein sollte, weitere Pädagogen einzustellen, heißt das doch noch lange nicht, dass überhaupt ausreichend Personal vorhanden ist.“Als „ungerecht“empfindet er es zudem, dass für Migranten die spezifischen Lernmittel vom Land bereitgestellt werden sollen,
bei anderen Schülern das aber auf die Schulträger abgewälzt werde.
Im Bildungsministerium hält man dagegen und teilt mit: „Die Schulgesetznovelle enthält hinsichtlich des gemeinsamen Unterrichts keine Richtungsänderung gegenüber der derzeitigen Praxis. Es handele sich im Wesentlichen um Präzisierungen, Qualitäts- und Organisationsverbesserungen. Rot-rotgrün stelle so viele Lehrer ein wie keine Landesregierung zuvor, wird Holter nicht müde zu betonen. Nach den jeweils 500 Einstellungen von 2015 bis 2017 seien es in diesem Jahr schon 800 neue Lehrer.
Das allerdings ändert nichts an dem weiterhin hohen Ausfall
von Unterrichtsstunden. Und nicht nur an dieser Stelle legt die Union immer wieder den Finger in die Wunde. Auch Schulschließungen seien nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich, ist Tischner überzeugt. Selbst die von 160 auf 80 reduzierte Mindestschülerzahl für alle Grundschulen ändere an der Gefahr, dass vor allem im ländlichen Raum Schulen dicht machen müssten, nichts. Bei Grundschulen stehen laut Tischners Berechnungen aufgrund der ministeriellen Vorgaben 16 Prozent, bei Regel- und Gemeinschaftsschulen sowie Gymnasien sogar etwa 60 Prozent auf der Kippe.
„Das ist ein Frontalangriff auf unser Bildungssystem“, wettert Tischner. Im Endeffekt läute Rot-rot-grün das Ende wohnortnaher Schulen ein. Protegiert werde lediglich das Lieblingskind der Sozialdemokraten, die Gemeinschaftsschule.
Der Minister jedoch ist weiter sicher, dass keine Schule schließen muss, weil kleine Einrichtungen kooperieren könnten. Das letzte Wort in dieser Angelegenheit haben aber die Kommunen als Schulträger und nicht das Ministerium.
Am Freitag soll sich der Landtag erstmals mit dem Schulgesetzentwurf beschäftigen. Voraussichtlich Anfang Februar werden die Anhörungen von Experten und Verbänden stattfinden. Noch vor der Sommerpause, so der Plan der Koalitionäre, soll das Gesetz beschlossen werden.