Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Orthopäden sind wütend
Klassische Therapie wird zu schlecht bezahlt. Branche wehrt sich gegen Vorwurf, es werde zu schnell und zu viel operiert
ERFURT. Chirurgen und Orthopäden sehen in der schlechten Bezahlung konservativer Therapien einen Grund für zu viele Operationen. Anlass für die Kritik bot ein emotionales Podium im Rahmen eines Wirbelsäulensymposiums am Katholischen Krankenhaus in Erfurt.
Einleitend wies der Landeschef der Techniker Krankenkasse (TK), Guido Dressel, anhand von Erhebungen der Bertelsmannstiftung und der Krankenkassen auf regionale Unterschiede bei Operationen an der Wirbelsäule hin. Weder aus medizinischer Sicht noch mit der demografischen Entwicklung sei die Entwicklung nachvollziehbar. In Thüringen gebe es bundesweit die meisten Wirbelsäulen-ops. Bei der Entfernung von Bandscheibengewebe liege man 30 Prozent über dem Bundesschnitt. „Die Anreizsysteme im Gesundheitswesen sind falsch gesetzt“, so der Kassenchef. Nötig seien eine Honorarreform und die Besserstellung sprechender Medizin.
Chirurgen und Orthopäden nehmen dafür aber auch die Krankenkassen in die Pflicht. So streite man sich mit den Versicherern immer wieder über die Bezahlung klassischer Schmerztherapien. Einige Behandlungsformen seien im Honorarsystem nicht vorgesehen und könnten nur im Graubereich bezahlt werden, räumte Dressel ein.
Ein großes Problem sehen die Mediziner im „Praxis-sterben“ ambulanter Orthopädien. Wegen der zu geringen Quartalspauschalen würden niedergelassene Orthopäden entweder auf den privaten Sektor ausweichen oder ganz dichtmachen. Diese Kapazitäten fehlten bei der konservativen Behandlung.
Möglichkeiten zur Vermeidung von OPS
Ein niedergelassener Orthopäde aus Erfurt fasste die Situation so zusammen: „Wirbelsäulenchirurgen liefern heute in den Kliniken gute Arbeit. Die Qualität der orthopädischen Versorgung geht dagegen in den letzten Jahren immer mehr in die Knie und steht kurz vor dem Zusammenbruch. In der Ausbildung gibt es die konservative Orthopädie schon heute nicht mehr. Von knapp 20 Orthopädiesitzen in Erfurt ist nur ein Drittel konservativ tätig, alle anderen operieren, weil sie mit 34 Euro pro Quartal und Patient die Praxis nicht halten könnten. Wir an der Basis machen echt die Grätsche, das macht uns wütend.“
Mehrere Chirurgen warnten unterdessen vor einer pauschalen Verunglimpfung ihrer Leistungen. „Wir sind Chirurgen, wir operieren gern und gut“, sagte ein Klinikarzt. Die große Mehrzahl der Operateure arbeite nach strengen Leitlinien. Einerseits mache die Medizin große Fortschritte, andererseits werde die Gesellschaft älter – bei gleichzeitig steigenden Erwartungen der Patienten. Reine Zahlenspiele sagten nichts über die Behandlungsqualität. Operationen seien für viele Patienten ein Segen. Die Entscheidung dazu falle oft schon bei den Fachärzten.
Bernd Nagel, Schmerztherapeut aus Mainz, verwies zur Vermeidung von Operationen auf die Chancen der multimodalen Schmerztherapie. Gemeinsam könnten Ärzte, Psychologen, Bewegungstherapeuten und Ergotherapeuten psychosoziale sowie funktionell-somatische Faktoren chronischer Schmerzen erkennen, um frühzeitig zu einer adäquaten Therapie zu kommen. Auch diese Interdisziplinarität werde allerdings von den Kassen oft nicht bezahlt, beklagte er.