Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Merkels Mission

Mit großer Unterstütz­ung der Kanzlerin nehmen die Vereinten Nationen den umstritten­en Migrations­pakt an

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

MARRAKESCH. Ob es sich mit nur einem Amt befreiter auftreten lässt? Die erste Auslandsre­ise der Kanzlerin und Nunnicht-mehr-cdu-chefin Angela Merkel führte am Sonntag und Montag nach Marokko – zu einem heiklen Termin: Der zuvor so umstritten­e „Globale Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration“wurde bei einer internatio­nalen Un-konferenz am Montag angenommen. Noch im Dezember soll das Papier in die Un-vollversam­mlung eingebrach­t werden.

Es waren bei Weitem nicht von jedem der 159 Länder die Regierungs­chefs anwesend. Von den Eu-ländern schickten Spanien, Portugal, Griechenla­nd, Malta, Dänemark und Estland ihre Regierungs­spitzen nach Marokko. Frankreich und Großbritan­nien aber hatten nur Staatsmini­ster angemeldet. Warum kam die deutsche Kanzlerin?

Nach der heftigen Diskussion war es Merkel wichtig, zu signalisie­ren: Dieser Pakt ist im deutschen Interesse. Das machte sie bereits im Flieger klar. Die Regierungs­chefin ist der festen Überzeugun­g, dass Arbeitsmig­ration weltweit Regeln und Standards braucht. Außerdem war seit 1996 mit Helmut Kohl kein deutscher Kanzler mehr zu Gast in dem nordafrika­nischen Land, das in der deutschen Migrations­politik so eine wichtige Rolle spielt. Merkel ist der Dialog mit Afrika wichtig.

Grenzschut­z in Ländern soll gestärkt werden

Im extra aufgebaute­n Konferenzz­entrum vor den Toren Marrakesch­s sprach sie dann von einem „bedeutende­n Tag“. „Wir treffen erstmals auf globaler Ebene eine umfassende Vereinbaru­ng zur Migration.“Es sei ein „gutes Zeichen“, dass man sich mit dem Schicksal der vielen Millionen Migranten beschäftig­e. Menschenre­chte müssten auch für sie gelten. Merkels Auftritt war vor allem auch ein erneutes Eintreten für die enge Zusammenar­beit der Staaten untereinan­der, gegen die sich etwa Us-präsident Donald Trump wehrt. Die UN seien als Ergebnis des zweiten Weltkriegs gegründet worden. „Deswegen bin ich auch nach Marokko gekommen, um ein klares Bekenntnis zum Multilater­alismus abzulegen. Dem fühlt sich Deutschlan­d verpflicht­et.“

Die Kanzlerin machte klar, dass es bei dem Pakt besonders um Arbeitsmig­ration gehe, die – wenn sie legal erfolge – ein Gewinn für jedes Land sei. Deutschlan­d etwa sei aufgrund der älter werdenden Bevölkerun­g auf die Zuwanderun­g von Fachkräfte­n angewiesen. Diese dürfe aber nicht illegal geschehen: „Wir dürfen nicht gutheißen, dass Schleuser untereinan­der bestimmen, wer in ein anderes Land kommt. Jedem ist doch klar, dass nationale Alleingäng­e dieses Problem nicht lösen.“Merkel bekam viel Beifall, der Saal dankte ihr den prominente­n Auftritt.

Was genau ist der Pakt und warum ist er so umstritten? Drei Jahre wurde gearbeitet, im Juli stand dann das 32-seitige Dokument mit seinen 23 Zielen. Es ist der erste umfassende Ansatz weltweit, auf dessen Basis Länder besser zusammenar­beiten sollen, um gegen illegale und ungeordnet­e Migration vorzugehen. Um wen geht es? Vor allem um Arbeitsmig­ranten. Etwa Erntehelfe­r aus Nordafrika, die in Südspanien Tomaten und Früchte ernten. Oder Hausangest­ellte aus Südostasie­n, denen ihre Arbeitgebe­r in den arabischen Golfstaate­n die Pässe abnehmen.

Auch soll Schleuserk­riminalitä­t bekämpft werden. Der Grenzschut­z in den Ländern soll gestärkt und „irreguläre Migration“verhindert, stattdesse­n „sichere und reguläre“Grenzübert­ritte ermöglicht werden. Ein weiteres Ziel behandelt die Erleichter­ung einer „würdevolle­n Rückkehr“ins Ursprungsl­and – oft ein großes Problem.

Der Pakt ist sehr umstritten. Die USA stiegen bereits während der Verhandlun­gen aus. Er könne Migration fördern, so die Befürchtun­g. Obwohl der Pakt rechtlich nicht bindend ist und die Souveränit­ät der Mitgliedss­taaten betont, fürchten eine Reihe von Staaten um ihre nationale Hoheit. So könne aus den Leitlinien möglicherw­eise Gewohnheit­srecht werden, das mit der Zeit einklagbar werde.

Ungarn, Tschechien, Polen, Bulgarien, Australien, Israel gingen auf Distanz. Auch Österreich scherte aus. In Belgien brach die Regierung im Streit um den Pakt auseinande­r, weil die flämischen Nationalis­ten ausstiegen. Das Land steht aber zu dem Abkommen.

Auch in Deutschlan­d hagelte es Kritik. Die AFD ist der Auffassung, der Pakt werde die Migration nach Deutschlan­d deutlich verstärken. Es gab Vorwürfe, wonach der Pakt eine „Aufnahmepf­licht“statuiere, für alle, die behaupten, Opfer des „Klimawande­ls“zu sein. Es gab auch den Vorwurf, die Übereinkun­ft sei ein versteckte­s Umsiedlung­sprogramm für Wirtschaft­s- und Armutsflüc­htlinge.

„Wir dürfen nicht gutheißen, dass Schleuser untereinan­der bestimmen, wer in ein anderes Land kommt.“ Angela Merkel, Bundeskanz­lerin, auf der Un-konferenz in Marrakesch

Marokko ist nicht nur Ort des Gipfels, das Land hat 2018 Libyen als wichtigste­n Abfahrtsor­t illegal nach Europa übersetzen­der Migranten überholt. Von hier kamen rund 60.000 Migranten nach Europa. Marokko gehört mit Algerien und Tunesien zu den Ländern, die die Union zu sicheren Herkunftss­taaten erklären will. Doch die Grünen blockieren das Vorhaben.

Was ändert sich in Deutschlan­d nach der Annahme des Pakts? Nichts. Da der Pakt auch für die annehmende­n Länder gesetzlich nicht bindend ist, muss es auf nationaler Ebene keine direkten Auswirkung­en auf die Politik geben. Das Regelwerk soll seine Kraft – wie schon bei anderen Abkommen – über die politische Bindung seiner Mitglieder entfalten. Die Bundesregi­erung erhofft sich, dass der Un-pakt auch Staaten, die sich bislang nicht um Rechte von Migranten scheren, dazu bringen wird, ihre Gesetzgebu­ng zu ändern. Dadurch könnte langfristi­g der Migrations­druck in Richtung Westeuropa abnehmen. Allerdings: Eine Garantie dafür gibt es auch nicht.

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„Heute ist ein bedeutende­r Tag“, sagte Bundeskanz­lerin Angela Merkel, hier bei ihrer Ankunft in Marrakesch, wo der Un-migrations­pakt angenommen wurde. Foto: Mosa'ab Elshamy/dpa

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