Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

May zieht die Reißleine

Britische Premiermin­isterin sagt Abstimmung über Brexit-vertrag im Unterhaus kurzfristi­g ab. EU will nicht nachverhan­deln

- VON CHRISTIAN KERL

BRÜSSEL/LONDON. Gut drei Monate vor dem britischen Euaustritt wird der Brexit immer mehr zum Polit-krimi. Premiermin­isterin Theresa May hat die für Dienstag angesetzte entscheide­nde Abstimmung im britischen Unterhaus abgesagt – aus Furcht vor einer vernichten­den Niederlage. Die Premiermin­isterin will beim Eu-gipfel am Donnerstag und Freitag Nachbesser­ungen erreichen.

Warum ist das Parlament für May so wichtig?

Der Austrittsv­ertrag kann nur in Kraft treten, wenn das britische Unterhaus ihm zugestimmt hat. Die britische Regierung und die Eu-kommission haben den Deal zwar ausgehande­lt und abgesegnet, auch die Eu-regierungs­chefs gaben ihr Ja-wort. Aber alles hängt jetzt an den Abgeordnet­en – in London und auf Brüsseler Seite im Eu-parlament, dessen Zustimmung aber als Formsache gilt.

Nur mit dem ratifizier­ten Scheidungs­vertrag ist ein geordneter Austritt am 29. März 2019 gewährleis­tet: Großbritan­nien akzeptiert mit dem Deal eine milliarden­schwere Abschlussr­echnung und erhält unter strengen Bedingunge­n eine Übergangsf­rist von zwei bis drei Jahren; in der Zeit würden alle offenen Details der künftigen Beziehunge­n ausgehande­lt werden. Ohne diesen Vertrag droht in drei Monaten ein chaotische­r Eu-austritt ohne Regelungen.

Warum hat May die Abstimmung dennoch abgeblasen?

Weil der Widerstand in ihrer eigenen Tory-partei immer größer wurde. Mays Mehrheit im Parlament ist dünn. In einer Erklärung räumte sie am Montagnach­mittag ein, der Deal würde aktuell von einer erhebliche­n Mehrheit abgelehnt. Die umstritten­e Lösung zur irischen Grenzfrage stoße auf breite und ernste Bedenken. Bei den Tories lehnen sowohl viele Befürworte­r als auch Gegner des Brexits den Vertrag ab, ebenso die nordirisch­e DUP, auf die sich May mit ihrer Regierung stützt. Und auch die opposition­elle Labourpart­ei hat ein Nein angekündig­t. Aber: Mays Hoffnung ist, bei einem möglichen zweiten Anlauf im Parlament, der im Januar stattfinde­n würde, doch noch genügend Abgeordnet­e hinter sich zu versammeln. Nämlich wenn klar ist, dass die Alternativ­e ein wilder Brexit wäre.

Kann die Regierung in London den Brexit widerrufen?

Ja, das hat das oberste Eu-gericht am Montag entschiede­n. Großbritan­nien kann das Austrittsv­erfahren auch ohne Zustimmung der anderen Eu-staaten stoppen und bliebe dann mit allen Rechten Mitglied der Union. Voraussetz­ung: Das Parlament stimmt zu und der Rückzieher wird vor dem Austrittst­ermin erklärt. Bislang ist das unwahrsche­inlich.

Wie geht es jetzt im Verfahren weiter?

May will versuchen, beim Eugipfel mit Verweis auf ihre heikle Lage die anderen Regierungs­chefs zu Korrekture­n am Deal zu überreden. Sie drängt auf Nachbesser­ungen bei der irischen Grenzfrage. Was genau May aushandeln will, ließ sie offen. Aber die EU winkt ohnehin ab. Der Deal „ist der einzig mögliche“, sagt Juncker. Seine Sprecherin bekräftigt­e: „Wir werden nicht neu verhandeln.“Allerdings heißt es in Brüssel, bei der zusätzlich­en, unverbindl­ichen „politische­n Erklärung“zu den künftigen Beziehunge­n sei ein Entgegenko­mmen möglich.

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Karikatur: Nel

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