Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
May zieht die Reißleine
Britische Premierministerin sagt Abstimmung über Brexit-vertrag im Unterhaus kurzfristig ab. EU will nicht nachverhandeln
BRÜSSEL/LONDON. Gut drei Monate vor dem britischen Euaustritt wird der Brexit immer mehr zum Polit-krimi. Premierministerin Theresa May hat die für Dienstag angesetzte entscheidende Abstimmung im britischen Unterhaus abgesagt – aus Furcht vor einer vernichtenden Niederlage. Die Premierministerin will beim Eu-gipfel am Donnerstag und Freitag Nachbesserungen erreichen.
Warum ist das Parlament für May so wichtig?
Der Austrittsvertrag kann nur in Kraft treten, wenn das britische Unterhaus ihm zugestimmt hat. Die britische Regierung und die Eu-kommission haben den Deal zwar ausgehandelt und abgesegnet, auch die Eu-regierungschefs gaben ihr Ja-wort. Aber alles hängt jetzt an den Abgeordneten – in London und auf Brüsseler Seite im Eu-parlament, dessen Zustimmung aber als Formsache gilt.
Nur mit dem ratifizierten Scheidungsvertrag ist ein geordneter Austritt am 29. März 2019 gewährleistet: Großbritannien akzeptiert mit dem Deal eine milliardenschwere Abschlussrechnung und erhält unter strengen Bedingungen eine Übergangsfrist von zwei bis drei Jahren; in der Zeit würden alle offenen Details der künftigen Beziehungen ausgehandelt werden. Ohne diesen Vertrag droht in drei Monaten ein chaotischer Eu-austritt ohne Regelungen.
Warum hat May die Abstimmung dennoch abgeblasen?
Weil der Widerstand in ihrer eigenen Tory-partei immer größer wurde. Mays Mehrheit im Parlament ist dünn. In einer Erklärung räumte sie am Montagnachmittag ein, der Deal würde aktuell von einer erheblichen Mehrheit abgelehnt. Die umstrittene Lösung zur irischen Grenzfrage stoße auf breite und ernste Bedenken. Bei den Tories lehnen sowohl viele Befürworter als auch Gegner des Brexits den Vertrag ab, ebenso die nordirische DUP, auf die sich May mit ihrer Regierung stützt. Und auch die oppositionelle Labourpartei hat ein Nein angekündigt. Aber: Mays Hoffnung ist, bei einem möglichen zweiten Anlauf im Parlament, der im Januar stattfinden würde, doch noch genügend Abgeordnete hinter sich zu versammeln. Nämlich wenn klar ist, dass die Alternative ein wilder Brexit wäre.
Kann die Regierung in London den Brexit widerrufen?
Ja, das hat das oberste Eu-gericht am Montag entschieden. Großbritannien kann das Austrittsverfahren auch ohne Zustimmung der anderen Eu-staaten stoppen und bliebe dann mit allen Rechten Mitglied der Union. Voraussetzung: Das Parlament stimmt zu und der Rückzieher wird vor dem Austrittstermin erklärt. Bislang ist das unwahrscheinlich.
Wie geht es jetzt im Verfahren weiter?
May will versuchen, beim Eugipfel mit Verweis auf ihre heikle Lage die anderen Regierungschefs zu Korrekturen am Deal zu überreden. Sie drängt auf Nachbesserungen bei der irischen Grenzfrage. Was genau May aushandeln will, ließ sie offen. Aber die EU winkt ohnehin ab. Der Deal „ist der einzig mögliche“, sagt Juncker. Seine Sprecherin bekräftigte: „Wir werden nicht neu verhandeln.“Allerdings heißt es in Brüssel, bei der zusätzlichen, unverbindlichen „politischen Erklärung“zu den künftigen Beziehungen sei ein Entgegenkommen möglich.